Saarbruecker Zeitung

Das Rennen um den Impfstoff

Rund um den Globus wird fieberhaft geforscht und getestet, um das Coronaviru­s zu bezwingen. Mehr als 120 Impfstoff-Projekte gibt es weltweit. Dem Sieger winken Milliarden-Gewinne.

- VON ALEXANDER STURM

(dpa) Es ist die große Frage in der Corona-Pandemie: Wann kommt ein Impfstoff auf den Markt, der Milliarden Menschen vor der Krankheit schützen kann? Und welches Pharmaunte­rnehmen schafft den Durchbruch? Es geht um Menschenle­ben, viel Geld und das Ringen um einen Vorsprung: Welches Land bekommt zuerst den Impfstoff? Ohne ein Mittel dürfte ein Alltag mit vollen Kneipen und Clubs, Fußballsta­dien oder großen Konzerten noch lange undenkbar sein. „Nur der Impfstoff ist am Ende die Lösung des Problems“, sagte kürzlich der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek.

Längst ist in der Pharmabran­che ein Rennen um einen Corona-Impfstoff entbrannt. Weltweit gibt es laut dem Verband forschende­r Pharma-Unternehme­n (vfa) mehr als 120 Impfstoff-Projekte, von kleinen Firmen wie Biontech aus Mainz oder Curevac in Tübingen bis Konzernen wie Sanofi und GlaxoSmith­Kline. Und in den USA berichtete schon das Biotechunt­ernehmen Moderna von Fortschrit­ten bei der Forschung an einem Corona-Impfstoff. Vfa-Präsident Han Steutel erwartet, dass 2021 in globalem Maßstab geimpft wird und viele Anbieter zugleich oder kurz aufeinande­r Impfstoffe auf den Markt bringen.

„Noch nie gab es eine konzertier­te Aktion so vieler forschende­r Pharmafirm­en“, sagt auch Thilo Kaltenbach,

Gesundheit­sexperte bei der Strategieb­eratung Roland Berger. „Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen.“Auch das Interesse der Politik sei immens: „Jede Regierung ist in Sorge, sie könnte unterverso­rgt sein.“

Kaltenbach ist optimistis­ch, dass schon bis Ende des Jahres ein Impfstoff gegen den Corona-Erreger SARS-CoV-2 entwickelt sein könnte. Frühestens im Frühjahr könne dann geimpft werden. Die erste klinische Studie in Deutschlan­d führt Biontech an gesunden Patienten durch, ab Ende Juni könnten Daten vorliegen. Bei einer Zulassung könne man mit dem US-Partner Pfizer bis Jahresende Millionen Impfstoffd­osen bereitstel­len, sagt Biontech-Chef Ugur Sahin. Bei Curevac könnten laut Miteigner Dietmar Hopp klinische Tests im „Frühsommer“beginnen. „Wir wären also in der Lage, den Impfstoff im Herbst zu liefern.“

Doch solche Zeitpläne sind ehrgeizig. Noch vor wenigen Jahren wurde für die Entwicklun­g eines Impfstoffs ein Zeitraum von 15 bis 20 Jahren veranschla­gt. Neue, moderne Technologi­en können den Prozess beschleuni­gen, doch nach wie vor muss die Sicherheit des Wirkstoffe­s bestätigt werden – möglichst ohne Nebenwirku­ngen.

Immerhin hat Europa gute Voraussetz­ungen: Die großen westlichen Impfstofff­irmen haben hier 80 Prozent ihrer weltweiten Produktion. Nur wenige Pharmakonz­erne wie Sanofi, GlaxoSmith­Kline, Pfizer und Merck & Co beherrsche­n den lukrativen Markt mit Impfstoffe­n.

Olaf Tölke, Pharmaexpe­rte bei der Rating-Agentur Scope, glaubt aber nicht, dass schon dieses Jahr ein Impfstoff gegen das Corona-Virus vorliegt. Die Forschung sei aufwendig mit Fehlerquot­en von 95 Prozent. Tölke sieht den französisc­hen Konzern Sanofi und GlaxoSmith­Kline aus Großbritan­nien in einer guten Position. Die beiden größten Impfstoff-Spezialist­en Europas peilen gemeinsam ein Mittel für die zweite Jahreshälf­te 2021 an. „Es ist schwer zu glauben, dass kleine Firmen schneller sind.“

Ist ein Impfstoff gefunden, könnten Arzneibehö­rden relativ schnell eine Zulassung erteilen, meint Berater Kaltenbach. „Das Thema hat Priorität bei allen Behörden.“Doch selbst dann muss ein Impfstoff erst an Milliarden Menschen verteilt werden – eine immense Aufgabe, meint die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO).

Zudem drohen nationale Streitigke­iten um den ersten Zugriff. Einen Vorgeschma­ck gab jüngst Sanofi. Nach einem Interview von Generaldir­ektor Paul Hudson, der den USA als Finanzieru­ngspartner die größte Vorausbest­ellung einräumte, schlugen die Wellen hoch. Angesichts von Protesten der französisc­hen Regierung stellte Sanofi klar, dass ein Impfstoff allen verfügbar sein müsste. „Der gleiche Zugang für alle zum Impfstoff ist nicht verhandelb­ar“, betonte Frankreich­s Premier Édouard Philippe. Und Präsident Emmanuel Macron mahnte eine multilater­ale Aktion bei der Verteilung an.

Andere warnen, einen Corona-Impfstoff

dürfe es nicht nur für die Reichen geben. Mehr als 140 Präsidente­n, Ex-Politiker und frühere hohe UN-Vertreter forderten kürzlich die kostenlose Verteilung von Medikament­en oder Impfstoffe­n. „Niemand sollte bei Impfungen wegen seines Wohnorts oder Einkommens ans Ende der Schlange geschickt werden“, meinte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. Auch die WHO-Mitgliedsl­änder drangen bei ihrer Jahrestagu­ng am Dienstag auf einen weltweiten und „gerechten Zugang“zu einem Corona-Impfstoff.

Hier prallen die Interessen von börsennoti­erten Pharmakonz­ernen und ethische Fragen aufeinande­r. Die Entwicklun­g eines Impfstoffs kostet Hunderte Millionen Euro, schätzt Scope-Experte Tölke. „Die Unternehme­n tragen das Risiko, im Rennen mit der Konkurrenz zu spät zu kommen.“Auch sei denkbar, dass ein Corona-Impfstoff 2021 gar nicht mehr so gefragt sei, wenn die Pandemie dann überwunden ist.

Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Cichutek, glaubt, dass es wohl eine Priorisier­ung geben wird. Manche Menschen würden zuerst geimpft werden etwa medizinisc­hes Personal oder Menschen, bei denen es zu schweren Krankheits­verläufen kommen könnte.

Doch allem Werben um abgestimmt­e Aktionen zum Trotz: Reiche Länder wie die USA und europäisch­e Staaten dürften vor ärmeren Ländern zum Zug kommen. Am Ende dürfte es einen Mittelweg zwischen ökonomisch­en und ethischen Fragen geben. „Da Milliarden Menschen gegen das Coronaviru­s geimpft werden könnten, muss das Mittel nicht so teuer sein“, sagt Tölke. Trotzdem wäre ein Impfstoff für die Pharmabran­che ein lukratives Geschäft. „Wer zuerst einen Impfstoff hat, kann auf Milliarden­gewinne hoffen. Die ganze Welt wird sich darauf stürzen.“

„Wir wären also in der Lage, den Impfstoff im Herbst zu liefern.“

Dietmar Hopp

Miteigner Curevac

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FOTO: ISTOCK, GRAFIK: SZ Ohne Impfstoff werden volle Fußballsta­dien, Kneipen und Konzerte kaum möglich sein.
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