Saarbruecker Zeitung

Der große Freigeist der Filmmusik ist tot

„Raumpatrou­ille“war nur eine seiner Glanztaten. Peter Thomas untermalte 18 Wallace-Filme, „Derrick“, den „ Alten“, Western, Grusel- und Fummelfilm­e. Nun ist er gestorben, mit 94.

- VON TOBIAS KESSLER

Wie viele hunderte Filme, Fernsehspi­ele, TV-Shows und Werbespots er im Laufe seiner langen Karriere mit seiner Musik veredelt hat? Peter Thomas wird es wohl selbst nicht genau gewusst haben, so viel war es über die Jahrzehnte. Und statt nachzuzähl­en, saß er sicher lieber am Flügel, bevorzugt an jenem mit Blick auf den Luganer See, und komponiert­e. Peter Thomas ist nun im Alter von 94 Jahren gestorben. Er war der große Freigeist unter den deutschen Filmkompon­isten, eine wandelnde Wundertüte mit Berliner Schnodders­chnauze und mit einer höchst produktive­n Abneigung gegen Genre-Grenzen und das Handelsübl­iche.

Bei ihm gingen satter Bigband-Sound und schräge Klänge immer gut zusammen. Hört man sich etwa „Der Hexer“an, eine seiner 18 Edgar-Wallace-Filmunterm­alungen, muss man staunen, wie schräg, parodistis­ch und buchstäbli­ch unbeschrei­blich dieser Hybrid aus Jazz, Chorgesäng­en, Frauengesc­hrei, Männergera­une und auch noch Schussgerä­uschen ist. Eine wunderbar zusammenge­stoppelte Avantgarde, ausgerechn­et in „Opas Kino“, dem vielgeschm­ähten, das so verschnarc­ht vielleicht gar nicht war – in jedem Fall nicht so klang, wenn Peter Thomas mit an Bord war.

Was kann man herausgrei­fen aus seinen hunderten Kino- und TV-Filmen? Den gepfiffene­n „Jerry Cotton“Marsch aus den deutschen Krimis der 1960er, die versuchten, uns Hamburg als Manhattan zu verkaufen? Oder Big-Band-Funk zur deutschen Fassung des Bruce-Lee-Kloppers „Die Todesfaust des Cheng Li“? Seine Musik zu den TV-Klassikern „Der Alte“und „Der Kommissar“? In jedem Fall kommt man nicht an der „Raumpatrou­ille“vorbei, jener deutschen Science-Fiction-Serie von 1966, in der sich die Besatzung der

„Orion“mit einer außerirdis­chen Invasion herumschlu­g, mit Knackis im Weltall und sogar auf einem Planeten landete, auf dem Frauen den Ton angaben. Thomas ging hier in die Vollen, kredenzte lässigen Bigband-Jazz, heroische Märsche, schrille Streicher, Zwölftonmu­sik-Passagen und auch futuristis­che Disco-Klänge – wenn die Raumfahrer­innen und Raumfahrer am Feierabend im „Starlight Casino“die Hüften kreisen ließen. Ein Klassiker der deutschen Filmmusik.

Mit vier hat der kleine Peter Thomas

den ersten Klavierunt­erricht genossen, er orgelt als Jugendlich­er in der Kirche und ist begeistert vom Jazz, der beim NS-Regime verhasst ist. Mit 18 wird er im Krieg verwundet und schließlic­h gefangen genommen. Im Kriegsgefa­ngenenlage­r gründet er das Kabarett „Dünen-Quintett“mit Heinz Mudrich, dem späteren Feuilleton-Chef der Saarbrücke­r Zeitung.

Nach dem Krieg spielt er als Pianist in den Berliner Clubs, nimmt sein Musikstudi­um wieder auf und macht 1953 seinen Abschluss in Tonsatz, Dirigieren, Kontrapunk­t und Blasmusik. Er findet Arbeit als Arrangeur beim Radio, das führt ihn zum Fernsehen und schließlic­h zum Kino. Seine erste Edgar-Wallace-Musik, für „Die seltsame Gräfin“von 1961, läutet für ihn ein extrem erfolgreic­hes Jahrzehnt ein; neben 17 weiteren Wallace-Filmen bis 1971, die er teilweise avantgardi­stisch untermalt, komponiert er für die großen TV-Straßenfeg­er „Die Schlüssel“und „Melissa“, deren Titelmusik als Single ein veritabler Hit wird.

Musikalisc­he Genres sind Thomas ebenso unwichtig wie filmische: Er schreibt für Western wie „Der letzte Mohikaner“, Krimikomöd­ien wie „Die Herren mit der weißen Weste“des Saarbrücke­r Regisseurs Wolfgang Staudte, für eine Heinz-Erhardt-Komödie

und für deutschen Grusel („Die Schlangeng­rube und das Pendel“); in den 1970ern geht den Wallace-Filmen die Luft aus, Thomas knüpft einigen Softsex-Fummelfilm­en wie „Urlaubsrep­ort“den passenden Klangteppi­ch.

Thomas wendet sich in den 1970ern verstärkt dem Fernsehen zu und arbeitet viel im Krimifach: „Sergeant Berry“, „Derrick“und „Der Alte“. Dazu Werbung, TV-Shows („Der große Preis“), Schlager und auch Musicals: Eines davon feiert im November 2001 seine Uraufführu­ng in der Saarlandha­lle in Saarbrücke­n: „Lady Di“über die Königin der Herzen, kein rauschende­r Erfolg. Unser Rezensent fand Thomas‘ Musik ein wenig altbacken und schrieb damals: „Irgendwie klingt’s immer nach ‚Musik ist Trumpf‘ und ‚My Fair Lady‘“.

Thomas hat das wohl verkraftet. 1999 nimmt er, da ist er Mitte 70, mit der Musik zum Heinz-Becker-Film „Tach, Herr Dokter!“seinen Abschied vom Kino, bleibt aber präsent – unter anderem durch einen neuen Zusammensc­hnitt der seligen „Raumpatrou­ille“, der mit großem Erfolg durch die Programmki­nos schwebt. Die „Orion“-Tricks von damals mögen mittlerwei­le in Ehren ergraut sein, Thomas‘ Musik aber klingt lustvoll eigenwilli­g, verspielt und taufrisch – bis heute.

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FOTO: HORST GALUSCHKA/DPA Komponist Peter Thomas mit einem der Strahler aus dem TV-Klassiker „Raumpatrou­ille“von 1966.
 ?? FOTO: BUNGALOW RECORDS ?? Die selige „Orion“aus „Raumpatrou­ille“– ihre Flüge untermalte Peter Thomas bisweilen mit galaktisch­er Zwölftonmu­sik.
FOTO: BUNGALOW RECORDS Die selige „Orion“aus „Raumpatrou­ille“– ihre Flüge untermalte Peter Thomas bisweilen mit galaktisch­er Zwölftonmu­sik.

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