Raumfahrt-Sprechstunde in Zeiten von Corona
Im Livestream beantwortete der Groniger Astronaut Matthias Maurer eine Stunde lang die Fragen der Internet-Nutzer.
SAARBRÜCKEN/KÖLN Mit dem Beginn der Corona-Pandemie hat die saarländische Landesregierung ein neues Format auf ihren Online-Kanälen gestartet. Im Facebook-Livestream beantworten ausgewählte Personen die Fragen der Internet-Nutzer. In der jüngsten Sendung war Matthias Maurer zu Gast. Im Gespräch mit Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) und dem Bevollmächtigten für Innovation und Strategie, Ammar Alkassar (CDU), stand der Groniger Astronaut Rede und Antwort. Hauptthema: Wo kann die Raumfahrt in Zeiten des Coronavirus sinnvolle Beiträge leisten? SZ-Redakteurin Sarah Konrad hat das Gespräch in Auszügen dokumentiert.
Ammar Alkassar Du hast vor ein paar Tagen auf Twitter eine Klopapier-Challenge gestartet. (...) Was hat es damit auf sich?
MAURER Die Challenge, zu der ich da aufgerufen habe, war eine scherzhafte Antwort auf die Hamsterkäufe. (...) Wenn wir in den Weltraum fliegen, ist unsere Kapsel der einzige Raum, den wir vollstopfen können mit Material, Essen, Trinken, Experimenten, aber auch mit Toilettenpapier. Würden wir zum Mond fliegen, würde diese Mission (…) zirka drei Wochen dauern. Für drei Wochen würde ich sicherlich nicht mehr als zwei Rollen Toilettenpapier mitnehmen. Das ist meine Challenge. Ich möchte den Leuten mitgeben, die Corona-Zeit mal so ein bisschen mit Abstand zu planen und nicht (...) wie verrückt zu hamstern. Überlegt Euch mal,
was Ihr eigentlich braucht. Wenn Ihr eine Woche lang wandern geht, nehmt Ihr ja auch nicht Material für ein Jahr mit.
Alkassar Wenn Ihr zu einer Raumfahrtmission aufbrecht, müsst Ihr aufpassen, dass Ihr keine Viren in die ISS einschleppt. (…)
MAURER Bevor wir in den Weltraum fliegen, müssen wir erst einmal sicherstellen, dass die Astronauten gesund und fit sind. Deswegen gibt es sehr viele Medizin-Tests. (...) Die letzten zwei bis drei Wochen vor dem Start (...) gehen wir in Quarantäne. Wir möchten Kontakt mit Leuten vermeiden, die vielleicht eine Grippe oder sonst eine ansteckende Krankheit haben. (...) Vor dem Start müssen wir den ganzen Körper mit einer Alkohollösung abreiben.
Zuschauerfrage Kann sich ein Virus im Weltall verbreiten?
MAURER (...) In der ISS können sich definitiv Bakterien und Viren verbreiten. Wir haben da oben ja ganz normale Luft. Sie wird umgewälzt und muss immer wieder gereinigt werden. Dafür gibt es spezielle Filter. Wir kontrollieren die Luft auch, um zu sehen, ob sie verschmutzt ist. (...) Wir können ja nicht einfach die Türen aufmachen, um durchzulüften. Dann hätten wir nur noch ein Vakuum und würden ersticken. (...) Die Reinhaltung der Luft ist also ein ganz wichtiges Thema für uns Astronauten.
Zuschauerfrage Können Viren draußen im Weltall überleben?
MAURER Virus ist nicht gleich Virus und Bakterium nicht gleich Bakterium. Da gibt es Unterschiede. Das Coronavirus wird mit Sicherheit nicht im Vakuum des Weltraums überleben können. Aber es gibt ganz kleine Einzeller, denen das gelingt. (…) Wir nehmen diese Strukturen mit zur ISS, um sie zu studieren. Eine ganz große Frage, die wir haben (...) ist, ob es noch irgendwo Leben außerhalb der Erde gibt. Deswegen wollen wir in Zukunft auch zum Mars fliegen. Dort gab es in der Vergangenheit mal Wasser. Und Wasser ist ja eine Urquelle des Lebens. Deswegen möchten wir gucken, ob es auf dem Mars noch Spuren von vergangenem Leben gibt. (...) Wenn ich dort dann eine Probe einsammele, ist es ganz wichtig, dass ich sauber arbeite. (...) Es dürfen keine Viren und Bakterien, die ich an meinen schmutzigen Händen hatte, an die Probe gelangen. Deswegen trainieren wir, mit sterilen Handschuhen und Masken im Labor zu arbeiten. (...)
Christine Streichert-Clivot Die Menschen sind bundesweit angehalten, soziale Kontakte sehr stark zu reduzieren. (...) Wie bereiten Sie
sich auf die Isolation und den fehlenden sozialen Kontakt zu anderen Menschen vor?
MAURER Für uns Astronauten ist diese Isolation, in der wir jetzt zu Hause sind, nichts Neues oder Unerwartetes. Wenn wir in den Weltraum fliegen, verbringen wir auf der ISS in der Regel sechs Monate mit sechs Astronauten. Wir kommen aus unterschiedlichen Ländern, sprechen unterschiedliche Sprachen, haben unterschiedliche Kulturen – all das schreit danach, dass es irgendwann Streit gibt. Das darf aber nicht passieren, weil wir als Team arbeiten müssen. (...) Deswegen werden wir für diese Einsamkeit ausgebildet. Bei der Astronauten-Auswahl sind bereits Psychologen dabei. Außerdem haben wir ein Training, da verbringen wir sechs Tage und fünf Nächte in einer Höhle. Dabei (...) lernen wir, dass wir im Team den besten Erfolg haben. Es kommt also gar nicht darauf an, dass ich immer im Vordergrund stehe. Ganz im Gegenteil: Ich muss weniger auf mich, sondern mehr auf meine Team-Mitglieder achten. Die Team-Mitglieder sind in der jetzigen Situation die Familien-Mitglieder. (...) Wenn jeder
auf den anderen achtet, (...) wird das auch ein voller Erfolg für das Team, sprich für die Familie zu Hause.
Zuschauerfrage Hat sich auf der ISS durch die Corona-Krise etwas verändert?
Maurer (...) Wenn wir in den Weltraum fliegen, sind wir dort abgeschottet. Wir leben in einer sicheren, recht sauberen Umgebung. Unser Immunsystem verändert sich dort ein bisschen. Die Wissenschaftler forschen noch daran, warum das so ist. (...) Auf jeden Fall wird unser Immunsystem deutlich schwächer. (…) Deswegen ist es so wichtig, dass wir, wenn wir auf die Erde zurückfliegen, nicht sofort Kontakt mit verschiedenen Leuten haben. Da könnten wir uns anstecken und sehr schnell krank werden. (...) Daher begeben wir uns auch direkt nach der Rückkehr wieder in Quarantäne. So lange, bis sich unser Immunsystem angepasst hat. (...) Wir Astronauten sind aber nur ein paar Leute. Insgesamt arbeiten ja weit mehr als 1000 Personen an dem ISS-Projekt. (…) Da sind die Menschen in den Bodenkontrollzentren, die uns unterstützen. (…) Sie arbeiten auf der
ganzen Welt verteilt und sind auch mit Corona konfrontiert. Momentan haben wir überall nur eine Notbesatzung (...).
Alkassar Was können Astronauten zur Lösung der aktuellen Herausforderungen beitragen? Fällt Dir da was ein?
MAURER Da fallen mir sehr viele Sachen ein. (...) Ein tolles Beispiel kommt sogar aus dem Saarland. Wir haben hier an der Universität Professor Frank Mücklich. Er hat zum Beispiel eine Kupferlegierung entwickelt, die an der Oberfläche noch mittels Laserverfahren strukturiert wurde. Dieses Material ist sehr gut geeignet, um Bakterien auf der Oberfläche abzutöten. Daher werden wird das Experiment nächstes Jahr auf die ISS fliegen. (...) Die Idee ist, in Krankenhäusern etwa Türklinken oder Knöpfe in Fahrstühlen mit diesem Material auszustatten, um die Krankenhauskeime nicht zu übertragen. Das wirkt vermutlich auch gut gegen die Viren. (...) Dann untersuchen wir, wie sich Viren, Bakterien und das Immunsystem in der Schwerelosigkeit verhalten. All das machen wir, um besser zu verstehen, wie der Mensch mit diesen Erregern interagiert (...). Auf der ISS haben wir auch viele Experimente, die darauf fokussieren, Medikamente mit neuen Verfahren zu testen. (…)
Alkassar Wie hältst Du Dich in der jetzigen Zeit fit?
MAURER Als Astronaut muss ich fit bleiben, das steht sogar in meiner Jahreszielvereinbarung (...). Deswegen versuche ich, jeden Tag eine Stunde rauszugehen (...), um zu joggen oder andere Übungen zu machen (...). Und ich habe mir zu Hause ein kleines Fitnessstudio mit Gummibändern und Gewichten eingerichtet. (...) Sportübungen sind auch sehr gut für das moralische und seelische Gleichgewicht. Ich fühle mich deutlich entspannter, wenn ich Sport gemacht habe. Das schüttet Endorphine aus. Ich kann jedem nur empfehlen, regelmäßig Sport zu treiben und so jeden Tag ein bisschen Freude zu haben.