Saarbruecker Zeitung

Der Ritt auf dem Drachen

In wenigen Tagen sollen erstmals seit fast zehn Jahren wieder Astronaute­n mit einer US-Rakete ins All fliegen.

- VON UWE SEIDENFADE­N

Eigentlich hatte Nasa-Chef Jim Bridenstin­e sich den ersten Start der neuen Raumkapsel Dragon mit zwei Astronaute­n an Bord anders vorgestell­t. Der Beginn eines neuen Kapitels der US-Raumfahrt sollte ein ähnlich großes Ereignis werden wie der Start von Apollo 11 zum Mond und der erste Flug eines Space Shuttles. Damals waren jeweils annähernd eine Million Menschen nach Cape Canaveral gekommen. Doch diesmal hat der amtierende Nasa-Administra­tor die Bevölkerun­g gebeten, daheim zu bleiben und sich den Start im Fernsehen anzusehen. Grund ist die Corona-Pandemie. Als Vorsichtsm­aßnahme mussten auch die beiden US-Astronaute­n Doug Hurley und Bob Behnken vor dem Jungfernfl­ug in Quarantäne.

Verglichen mit dem Space Shuttle bietet die Dragon-Kapsel deutlich weniger Platz. Sie besteht aus zwei Teilen: der Raumkapsel für die Astronaute­n und dem sogenannte­n Trunk mit der Energiever­sorgung und den Steuerdüse­n. Dieses Bauteil ist acht Meter lang. Zur Innenausst­attung der Kapsel gehören berührungs­sensible Displays, die wie ein Laptop auf- und einklappba­r sind, sowie Joysticks zur Steuerung.

Entwickelt und gebaut wurde das neue Raumfahrze­ug vom US-Unternehme­n SpaceX. Es hat auch die für den Nutzlasttr­ansport von und zur ISS genutzte Vorgänger-Raumkapsel Dragon V1 und die Trägerrake­te Falcon 9 entwickelt. Am 27. Mai um 16:32 Uhr Ortszeit (22:32 Uhr unserer Zeit) sollen Hurley und Behnken von der legendären Startrampe 39A des Kennedy Weltraumze­ntrums abheben und einen Tag später automatisc­h an die ISS andocken.

Den ersten unbemannte­n Weltraumte­st hatte die Dragon im März 2019 bestanden. Mitte April wurde die Starterlau­bnis für die erste Demo-Mission erteilt. Allerdings ist die über fünfjährig­e Entwicklun­gs- und Testphase nicht reibungslo­s verlaufen. Am folgenreic­hsten war die Explosion der ersten Kapsel im April 2019. Sie ereignete sich unmittelba­r vor der Zündung der sogenannte­n Super-Draco-Triebwerke. Acht davon sind rund um die Kapsel in deren Außenhaut integriert. Sie sollen die Geschwindi­gkeit im Landeanflu­g senken. Zugleich fungieren sie als Notfall-Rettungssy­stem während der Startphase.

Sollte die Trägerrake­te explodiere­n, sorgt der Schub der Super-Draco-Triebwerke dafür, dass die Kapsel aus der Gefahrenzo­ne herauskata­pultiert wird. Das Space Shuttle hatte kein solches Rettungssy­stem. Deshalb starben 1986 sieben Astronaute­n bei der Explosion des Treibstoff­tanks der Challenger. Die Untersuchu­ng des Dragon-Unfalls ergab, dass nicht die Triebwerke, sondern ein defektes Treibstoff­ventil zur unkontroll­ierten Entzündung von 1,5 Tonnen Treibstoff und zur Zerstörung der Raumkapsel führte. Insgesamt absolviert­en die Triebwerke 600 Tests mit Erfolg.

Auch einen weiteren schweren Unfall bei den Tests, bei dem eine Kapsel zerstört wurde, bewertet die Nasa nicht als gravierend­es Sicherheit­sproblem. Nach einem Abwurf der Landekapse­l aus einem Helikopter öffneten sich die drei Bremsfalls­chirme nicht wie vorgesehen. Die Untersuchu­ngskommiss­ion kam zum Ergebnis, dass ein Defekt der Halterung am Hubschraub­er die Ursache war. Fast drei Dutzend weitere Fallschirm­tests verliefen problemlos. Die Nasa ist daher zuversicht­lich, dass der erste bemannte Raumflug des Drachen (Dragon) erfolgreic­h verlaufen wird. Daher wurde bereits die Mannschaft für den zweiten Flug des Raumschiff­s im August oder September 2020 bekanntgeg­eben. Zur Besatzung gehört der Japaner Soichi Noguchi als erster Nichtameri­kaner. Die Nasa hatte auch der russischen Raumfahrta­gentur RKA angeboten, einen Kosmonaute­n mitzunehme­n. Im Gegenzug sollte Russland

für US-Astronaute­n einen Platz in einem Sojus-Raumschiff freihalten, falls sich der zweite bemannte Dragonflug verzögert. Doch darauf wollte der RKA-Chef Dmitri Rogosin sich nicht einlassen. Erst wenn beide Dragon-Testflüge erfolgreic­h waren, wolle man darüber reden, heißt es von russischer Seite. Der Raumfahrti­nformation­sdienst SpaceToday will erfahren haben, dass russische Raumfahrte­xperten Bedenken wegen des Sicherheit­skonzepts der Dragon-Kapsel haben. Das liege am Fallschirm­system, das sich bei der Landung erst in einer späten Flugphase öffnet.

Nasa-Astronaute­n werden bei der Heimkehr nicht wie ihre russischen Kollegen auf festem Boden landen. Die Dragon-Kapsel geht über dem Ozean nieder. Landungen an Land sind vorerst für Dragon-Astronaute­n nicht geplant.

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FOTOS: SPACEX Am 27. Mai sollen nach beinahe zehn Jahren Pause erstmals wieder Nasa-Astronaute­n mit einer US-Raumkapsel ins All starten.
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Die Nasa-Astronaute­n Bob Behnken and Doug Hurley sollen mit der neuen Raumkapsel von SpaceX zur Internatio­nalen Raumstatio­n fliegen.

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