Netanjahu auf der Anklagebank
Betrug, Untreue, Korruption: Israels Regierungschef wird der Prozess gemacht. Zum Auftakt schaltet der 70-Jährige auf Angriff.
(dpa) Es ist ein Bild mit starker Symbolkraft: Mit blauer Schutzmaske steht Benjamin Netanjahu am Sonntag als erster amtierender Ministerpräsident Israels vor Gericht. Der 70-Jährige ist wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit angeklagt. Sein Anwalt bestätigt vor dem Jerusalemer Bezirksgericht, Netanjahu habe die Anklageschrift gelesen und verstanden. Der Prozess beginnt.
Mit Netanjahu sind weitere Personen angeklagt. Drei Kronzeugen – ehemalige enge Mitarbeiter – sollen gegen Netanjahu aussagen. Bei seiner
Juval Schani Ankunft im Gericht holt Israels am längsten amtierender Ministerpräsident zu einem Rundumschlag aus. Er wirft Polizei und Staatsanwaltschaft vor, sie hätten die Anklage gegen ihn „fabriziert“. Es handele sich um den Versuch, „einen starken amtierenden Regierungschef der Rechten zu stürzen“.
Der Oppositionspolitiker Jair Lapid wirft Netanjahu vor, er versuche, in Israel einen Bürgerkrieg zu entfachen, um einer Verurteilung zu entgehen. In Jerusalem demonstrieren Hunderte Menschen für und gegen Netanjahu – auch vor dem Gericht.
Mit dem Verfahren befassen sich drei Richter, mehr als 300 Zeugen sollen befragt werden. Die nächste Sitzung sei am 19. Juli geplant, teilt das Gericht mit. Die Vorsitzende Richterin Rivka Friedman-Feldman hat Erfahrung mit Korruptionsverfahren: Sie war auch Teil eines Gremiums, das 2015 einen von Netanjahus Amtsvorgängern, Ehud Olmert, verurteilt hatte.
Netanjahu war erst vor einer Woche erneut vereidigt worden. Nur wenige Stunden vor Prozessbeginn hielt er am Sonntag die erste Kabinettssitzung mit seinem Koalitionspartner
Benny Gantz vom Mitte-Bündnis ab. Netanjahus fünfte Amtszeit ist wegen des Korruptionsprozesses äußerst umstritten. Kritiker befürchten, er könne versuchen, eine Verurteilung über eine systematische Schwächung des Justizsystems und Gesetzesänderungen zu verhindern.
Zurücktreten müsste Netanjahu erst im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung. Bis dahin könnten aber mehrere Jahre vergehen. Sollte er wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, drohen Netanjahu bis zu zehn Jahre Haft. Im Falle einer
Verurteilung wegen Betrugs und Untreue wäre die Höchststrafe drei Jahre Gefängnis.
Der Juraprofessor Juval Schani vom Israelischen Demokratie-Institut sagt zu Netanjahus Anklage: „Es ist wirklich ein noch nie dagewesener Fall in Israel, dass ein amtierender Regierungschef vor Gericht steht.“
Der Ministerpräsident wird verdächtigt, als Kommunikationsminister dem Telekom-Riesen Bezeq Vergünstigungen gewährt zu haben. Mit dem Mehrheitsaktionär Schaul Elovitsch hat Netanjahu laut Anklage
eine Korruptionsbeziehung von „Geben und Nehmen“geführt und diesem Profite in Höhe von 1,8 Milliarden Schekel (473 Millionen Euro) ermöglicht. Im Gegenzug soll das zum Konzern gehörende Medium Walla positiv über Netanjahu berichtet haben.
Außerdem wird Netanjahu verdächtigt, von befreundeten Milliardären Luxusgeschenke im Wert von rund 184 000 Euro angenommen zu haben – Schmuck, Zigarren und rosa Champagner. Zudem soll er dem kritischen Verleger Arnon Moses angeboten haben, im Gegenzug für positive Berichterstattung dessen Konkurrenzblatt zu schwächen.
„Es ist grundsätzlich höchst problematisch, wenn der Chef der Exekutive ein Angeklagter ist, der sehr aggressiv kämpft, um die Behörden zu schwächen, die ihn strafrechtlich verfolgen“, sagt Professor Schani. Alle Entscheidungen Netanjahus als Regierungschef könnten nun in zweifelhaftem Licht erscheinen. Netanjahu führe einen gefährlichen „Kreuzzug gegen das Justizsystem“.
Seine Verteidigung werde Netanjahu neben seinem Amt als Regierungschef viel Zeit kosten, meint der Juraprofessor. „Und es gibt auch den psychologischen Aspekt – eine Anklage bedeutet großen Stress.“Neben dem Prozess muss sich Netanjahu auch mit der Bewältigung der Corona-Krise befassen. Zudem könnten Annexionspläne im besetzten Westjordanland zu größeren politischen Spannungen mit den Palästinensern und Israels Nachbarn führen.
„Es ist höchst problematisch, wenn der Chef der Exekutive
ein Angeklagter ist.“
Israelisches Demokratie-Institut