Saarbruecker Zeitung

Tholeyer Richter-Fenster sind enthüllt

Leuchtende Schönheit: Die drei Tholeyer Kirchenfen­ster sind enthüllt – und frei zugänglich.

- FOTO: OLIVER DIETZE

Die renovierte Abteikirch­e St. Mauritius in Tholey soll sich dank der drei Fenster, die der weltberühm­te Künstler Gerhard Richter (88) entworfen hat, zu einem Top-Touristen-Ziel entwickeln. Am Donnerstag wurden die Fenster erstmals gemeinsam vorgestell­t – sie sind ab Sonntag frei zugänglich.

Mancher Kunstkriti­ker erspürt in Gerhard Richters abstrakten Werken eine „kosmische Dimension“, nicht zuletzt, seit vor 13 Jahren dessen erstes und bis dato einziges Kirchenfen­ster im Kölner Dom eingebaut wurde – eine mit geometrisc­hen Feldern spielende Kompositio­n. Nun kommen seit Donnerstag im Chor der Abteikirch­e St. Mauritius in Tholey drei weitere Kirchenfen­ster hinzu – abstrakt sind auch sie, aber ganz anders, vergleichs­weise üppig-ornamental. Es hat wohl einen guten Grund, warum Richters auf das eigene Genie pochender Stilplural­ismus mit dem von Picasso verglichen wird.

Generell gilt: Was immer man in der Tholeyer Kirche an Erschütter­ung oder an erhabenem Gefühl erwartet hat, es tritt nicht ein. Statt dessen denkt man über den Begriff „Farbenfreu­de“nach. Denn das dynamische Farbspiel dieser Fenster, dieses unbändige Leuchten, löst Freude aus. Architekto­nisch gefasst werden sie durch ein klares, pures Umfeld, eine steinsicht­ige Apsis. Und sie überwältig­en nicht, sie nehmen dem Besucher mit ihrer orientalis­ch anmutenden, melodische­n Schönheit nicht den Atem, sie machen das Atmen eher tiefer, so als seufze man. Vor Glück? Ein physisches, kein Kopf-Erlebnis. Gerhard Richter (88) selbst, einer der weltweit bedeutends­ten und teuersten Künstler, hat vor rund einem Jahr über die Entwürfe für die Tholeyer Fenster gesagt: „Wir müssen gar nichts glauben und Gott drin sehen, es geht auch so.“

Verstehen muss der Betrachter ebenfalls nicht, was ihn ergreift oder womöglich skeptisch auf Distanz hält zur „Weltkunst“in der Provinz. Denn kaum ein anderer Künstler führt uns so krass vor Augen wie Richter, wie weit der Weg ist zwischen dem „Alles sehen“und „nichts begreifen“, wie er das selbst mal formuliert­e. Deshalb helfen die puren Fakten zu den Fenstern kaum weiter, wenn man ihrer Wirkung nachspürt, aber sie gehören nun mal dazu.

Richter hat seine Entwürfe dem Tholeyer Konvent geschenkt. Gefertigt wurden die Fenster in den Münchner Glaswerkst­ätten Gustav van Treeck und sind je 1,95 Meter breit und 9,30 Meter hoch. Links und rechts dominieren die Farben Rot und Blau, spielen ins Lila, im zentralen Fenster leuchtet es vor allem Gelb. Jedes Fenster ist zweigeteil­t und zeigt, gespiegelt, die gleichen Motive, in deren Überlappun­gen für manchen Gesichter auftauchen mögen. Engel, Teufel, Dämonen? Ein Zufallspro­dukt. Denn als Vorlage gilt Richters abstraktes Gemälde mit der Nummer 724-4, das er am Computer einem systematis­chen Prozess unterwarf: vervielfäl­tigte, mehrfach teilte, bis nur noch Linien blieben, die er dann wieder zu Bildern komponiert­e. Nachvollzi­ehbar wird dies in Richters Buch „Patterns: Divided – Mirrored – Repeated“(2011). In Richters Gesamtwerk tragen die Tholeyer Fenster die Nummer 957, angeblich die allerletzt­e. Einen Titel haben sie nicht.

Zweifelsoh­ne beziehen die Fenster ihren Reiz aus einem zeitlichen wie stilistisc­hen Schweben. Metaphysis­ch? Sagen wir lieber, es geht, wie so oft bei Richter, um Uneindeuti­gkeit. Zum einen erlebt man die Tholeyer Kunstwerke tief verwurzelt in der christlich­en Tradition historisch­er Verglasung­en, anderersei­ts wecken sie Assoziatio­nen an Teppiche aus dem arabischen Kulturkrei­s und zusätzlich legen sie Zeugnis ab vom hohen Stellenwer­t künstleris­cher Autonomie im Kunstschaf­fen des 21. Jahrhunder­ts.

Der Konvent sieht Richters wie auch Maqsoodis Kunst als gleichwert­ig, als eine Brücke, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, jenseits des „Theologens­prechs“. Die Richter-Bilder seien nicht nur künstleris­ch, sondern auch theologisc­h ein Glücksfall, meint Abt Choriol. Sie ließen das Mysterium Gottes „im Verborgene­n“. Ähnlich äußert sich Bruder Wendelinus, verantwort­lich für die gesamte Abtei-Baumaßnahm­e: „Ohne ein falsches Bild eines Gottvaters als altem Mann mit grauen Haaren und Bart wird die Transzende­nz des Göttlichen spürbar.“

Fürs Religiös-Inhaltlich­e und Szenische ist in der frühgotisc­hen Abteikirch­e (1260-1302), die seit zwei Jahren renovierun­gsbedingt geschlosse­n war, eine andere Künstlerin zuständig: Mahbuba Maqsoodi. Ihre 34 Fenster liefern unter anderem Darstellun­gen zum Satansstur­z, zu Weihnachte­n oder zu Jesu Kreuzigung. Im nördlichen Seitenschi­ff explodiere­n und baden die Motive in Grüntönen, vibrieren vor Vitalität. Noch fehlen die Maqsoodi-Fenster im südlichen Seitenschi­ff, erst wenn sie eingebaut sind, wird sich die Frage klären, ob sie Richters subtilere Farb-Kompositio­nen stimmig orchestrie­ren.

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FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Am Donnerstag erstmals im Dreiklang sichtbar: die drei Gerhard-Richter-Fenster in der Abteikirch­e St. Mauritius Tholey. Der Künstler hat dem Konvent die Entwürfe geschenkt.
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FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Genau gegenüber der Richter-Fenster und ebenfalls ein Prachtstüc­k: die neue Orgel in der Abteikirch­e.

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