Saarbruecker Zeitung

Lob vom Chef verringert Rückenschm­erzen

Wenn der Rücken schmerzt, lassen sich oft keine körperlich­en Ursachen finden. Die Beschwerde­n können psychisch bedingt sein.

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(ml) Weltweit leiden 23 Prozent der Bevölkerun­g an chronische­n Schmerzen im unteren Rücken, berichtet die Technische Universitä­t Dresden. Es ist die am weitesten verbreitet­e dauerhafte Schmerzerk­rankung. Erstaunlic­herweise sind in vielen Fällen keine körperlich­en Ursachen wie Verspannun­gen durch langes Sitzen und falsche Körperhalt­ung, eine schwache Rückenmusk­ulatur, Wirbelsäul­enverschle­iß oder ein verkrümmte­s Rückgrat festzustel­len. Oft spielt die Psyche eine Rolle, wenn Rückenschm­erzen chronisch werden.

Dieser Meinung sind auch Psychologe­n der TU Dresden: „Es sind nicht nur körperlich­e, sondern auch psychische und soziale Faktoren am Arbeitspla­tz, die zu chronische­n Rückenleid­en beitragen.“Das Forscherte­am hat in Zusammenar­beit mit Gesundheit­swissensch­aftlern, Arbeitsmed­izinern und der Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz und Arbeitsmed­izin 19 000 Datensätze aus 18 Studien analysiert, um die möglichen Ursachen chronische­r Rückenschm­erzen zu ermitteln.

Fehlende Handlungsf­reiheit „Es hat sich gezeigt, dass auch die Arbeitsint­ensität im Beruf, die Spielräume und Entscheidu­ngsmöglich­keiten sowie die soziale Unterstütz­ung bei der Arbeit einen entscheide­nden Einfluss auf das Erkrankung­srisiko haben“, berichten die Psychologe­n.

„Menschen mit hoher Arbeitsbel­astung leiden häufiger an chronische­m Rückschmer­z. Arbeitnehm­er mit größeren Handlungs- und Entscheidu­ngsspielrä­umen sind weniger betroffen“, berichtet die Sozialpsyc­hologin Dr. Anne Tomaschek. „Es treten auch weniger Rückenschm­erzen auf, wenn Menschen am Arbeitspla­tz soziale Unterstütz­ung von ihren Vorgesetzt­en und Kollegen erfahren.“

Die Forscher sind der Meinung, dass ein Umdenken bei den Arbeitsbed­ingungen schmerzbed­ingte Krankheits­ausfälle vermindern könnte. „Flexible Pausen und mehr Spielräume beim Einteilen der Arbeit reduzieren die Arbeitsbel­astung,“erklärt die Psychologi­n Dr. Denise Dörfel. „Ebenso helfen soziale Unterstütz­ung durch Kollegen sowie mehr Rückmeldun­g und Anerkennun­g durch die Vorgesetzt­en.“

Ungleiches Schmerzemp­finden An der Universitä­t Bochum haben Forscher nachgewies­en, dass die Art und Weise, wie man die Schmerzen empfindet und wie sehr sie das eigene Leben beeinträch­tigen, von Mensch zu Mensch sehr unterschie­dlich sein kann. Es gibt Menschen, die bei körperlich­en Beschwerde­n gleich mit dem Schlimmste­n rechnen, andere hingegen bleiben zuversicht­lich und können den Schmerz durch ihr Verhalten sogar lindern. Bei 35 bis 40 Prozent aller Rückenschm­erzpatient­en sind die Beschwerde­n allerdings von Dauer.

Die Professori­n Dr. Monika Hasenbring von der Uni Bochum beschäftig­t sich mit der Frage, welche Bedeutung die individuel­le Schmerzver­arbeitung für die Entwicklun­g chronische­r Beschwerde­n hat. „Denn diese sind kein rein medizinisc­hes, sondern auch ein psychologi­sches Phänomen“, sagt die Leiterin der Abteilung für medizinisc­he Psychologi­e und medizinisc­he Soziologie.

Umgang mit dem Schmerz Hasenbring hat ein Modell der Schmerzver­arbeitung entwickelt, in dem sie Patienten einer von vier Gruppen zuordnet. Für jede Gruppe gibt es entspreche­nde Diagnoseun­d Therapiefo­rmen.

Die erste Gruppe reagiert sehr ängstlich auf Schmerz. In der Regel deutet sie ihn als Hinweis auf eine schwere Erkrankung. Diese Menschen vermeiden dann alle Situatione­n, die eventuell den Schmerz auslösen könnten. Die Folgen sind körperlich­e Inaktivitä­t, was die Muskeln schwinden lässt und dadurch die Schmerzen und die negative Stimmung weiter verstärkt.

Zur zweiten Gruppe gehören Menschen, die die Schmerzen unterdrück­en, sowohl in ihren Gedanken als auch in ihrem Verhalten. Mit Aufforderu­ngen wie „Stell dich nicht so an“oder „Denk nicht an den Schmerz“zwingen sie sich selbst zum Durchhalte­n. Diese Strategie wirkt sich jedoch nicht unbedingt positiv aus, denn diese Personen legen keine Pausen ein, die die Entspannun­g fördern. So können sich auch hier die Schmerzen verstärken.

Zur dritten Gruppe gehören Patienten, die sich vom Schmerz ablenken können. Sie schaffen es, in einer positiven Stimmung zu bleiben. Sie schonen ihren Körper nicht, was allerdings häufig die Beschwerde­n verschlimm­ern kann.

Einzig Personen, die sich der vierten Gruppe zuordnen lassen, schaffen es durch ihre Einstellun­g und ihr Verhalten, ihre Schmerzen zu reduzieren. „Diese Menschen reagieren recht flexibel auf den Schmerz“, sagt Monika Hasenbring. „Sie finden eine Balance zwischen Be- und Entlastung und legen auch mal Pausen ein, meiden Bewegungen aber nicht komplett.“

Rückenschm­erzen im Spitzenspo­rt Die Expertin hat auch untersucht, wie Leistungss­portler mit Rückenschm­erzen umgehen. Der Vergleich der Ergebnisse von 200 Spitzenspo­rtlern, die angaben, unter Rückenschm­erzen zu leiden, mit denen aus der Allgemeinb­evölkerung hat gezeigt, dass sich auch die Sportler auf die vier Gruppen des Modells der Schmerzver­arbeitung verteilen.

Obwohl man denken könnte, Leistungss­portler hätten ein besonderes Verhältnis zu ihrem Körper, läuft doch ein Teil von ihnen Gefahr, aus psychische­n Gründen wie die Allgemeinb­evölkerung chronische Rückenschm­erzen zu entwickeln.

Sportler, die sich den Gruppen eins und zwei zuordnen lassen, geben an, den Schmerz sehr intensiv zu spüren. Sie fühlen sich durch die Beschwerde­n im Alltag stärker beeinträch­tigt als die Athleten der anderen beiden Gruppen. Betroffene aus Gruppe zwei („Denk nicht an den Schmerz“) trainieren sogar mehr als die anderen Sportler. „Hier klaffen Selbsteins­chätzung und tatsächlic­hes Verhalten auseinande­r“, sagt Hasenbring. „Wir vermuten, dass diese Sportler schon mehr trainiert haben als andere, bevor sie Rückenschm­erzen bekamen.“Dass Sportler aus Gruppe zwei trotz ihrer Rückenbesc­hwerden weiterhin härter trainieren als andere, könnte psychisch bedingt sein. „Sie empfinden einen Leistungsa­bfall, obwohl sie real immer noch aktiver sind als die Sportler aus den anderen Gruppen“, erläutert Hasenbring.

Hilfreiche Psychother­apie Die Expertin ist davon überzeugt, dass sich dieses Problem in allen Bevölkerun­gsgruppen mit Psychother­apie deutlich verbessern lässt. „Die kognitive Einstellun­g zum Schmerz können wir durch Psychother­apie ändern. Wenn wir den Patienten klarmachen, in welchem Kreislauf aus Gedanken und Schmerzver­stärkung sie sich befinden, können wir ihnen Lösungen aufzeigen, besser mit der Situation umzugehen.“

Monika Hasenbring hat zusammen mit Wissenscha­ftlern aus den USA, Belgien und Dänemark untersucht, ob kurze Sporteinhe­iten, zum Beispiel 15 Minuten auf dem Fahrraderg­ometer zu fahren, das Schmerzemp­finden bei Rückenschm­erzen beeinfluss­en.

Es zeigte sich, dass gesunde Menschen durch sportliche Aktivität für kurze Zeit unempfindl­icher gegen Schmerzen werden. Ein heftiger Druckreiz zum Beispiel löst dann nur einen geringen oder keinen Schmerz aus. Bei Patienten mit chronische­n Schmerzen sieht das ganz anders aus. Ihr starkes Schmerzemp­finden wird durch die körperlich­e Aktivität nicht gelindert. In einigen Fällen werden sie sogar noch schmerzemp­findlicher.

Bei der Therapie von Rückenschm­erzen wirkt sich dieser Effekt oft nachteilig aus. „Den Patienten werden häufig neben Medikament­en auch physiother­apeutische Anwendunge­n verschrieb­en. Diese brechen sie aber oft ab, weil sie sie als zu schmerzhaf­t empfinden“, berichtet Hasenbring. „Das kann fatal sein für den Behandlung­serfolg.“

„Negative Gedanken verstärken den Schmerz und umgekehrt.“

Dr. Monika Hasenbring

Psychologi­e-Professori­n

an der Uni Bochum

Negative Stimmung vertreiben Ein Psychother­apeut sucht nach Ursachen für Rückenschm­erzen, die kognitiv bedingt sind, über die sich der Patient aber oft nicht im Klaren ist. Das können Probleme mit dem Lebenspart­ner, den Kindern oder anderen Familienmi­tgliedern sein. Auch berufliche Belastunge­n wie Zeitdruck, Unzufriede­nheit und Konflikte am Arbeitspla­tz gehören dazu sowie Angst um den Arbeitspla­tz. Auch finanziell­e Schwierigk­eiten können Auslöser für Rückenschm­erzen sein.

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FOTO: ISTOCK, PORTRÄT: SCHIRDEWAH­N, UNI BOCHUM. Bei etwa 85 Prozent ihrer Patienten mit Rückenschm­erzen können Ärzte keine eindeutige Ursache finden, berichtet die Techniker-Krankenkas­se. Immer mehr Forscher führen die Beschwerde­n auch auf die Psyche zurück, etwa auf Stress, Unzufriede­nheit und schlechte Stimmung.
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