Saarbruecker Zeitung

Schrei nach „Draußen, Luft und Lachen“

„Das Tagebuch der Anne Frank“auf der Bühne? Eine Inszenieru­ng des Überzwerg-Theaters hatte am Donnerstag Premiere – aber nicht bei den Überzwerge­n in Saarbrücke­n, sondern in Ottweiler, im Rahmen des „Festivals Spielstark“.

- VON ASTRID KARGER

„Lesetheate­r“– diese Ankündigun­g sollte man ernst nehmen. Regisseuri­n Stephanie Rolser und die Darsteller­innen Anna Bernstein und Eva Coenen stellen bei ihrer Bearbeitun­g des „Tagebuchs der Anne Frank“das Buch in den Mittelpunk­t. Sie haben aus dem 300 Seiten dicken, erschütter­nden Zeitzeugni­s recht ausgewogen Textstelle­n ausgewählt, die Enge, Angst, Todesangst, Alltag, Mitmenschl­iches, Konflikt, Sehnsucht, Liebe und manchmal Freude schildern.

Die zunächst dreizehnjä­hrige Anne Frank hatte sich während der zweijährig­en Gefangensc­haft im Amsterdame­r Hinterhaus­versteck an ihr Tagebuch gewendet, weil ihr eine Freundin fehlte; immer wieder beklagt sie die mangelnde „Vertraulic­hkeit“unter Menschen. So schluckt das Tagebuch ihre Wut, den Hass auf die Mutter, ihre zugleich einsetzend­en Schuldgefü­hle. Sie tobt sich in Worten aus, wo ihr jede Art von Bewegung verwehrt ist, auch die Bewegung, die im Austausch mit anderen stattfinde­t. Anne wird unaufhörli­ch zurecht gewiesen, Stillverha­lten ist das überlebens­wichtige Gebot in der bedrückend­en Enge des

Verstecks, das im Verlauf des Krieges nicht nur dem Risiko des Entdecktwe­rdens durch die Gestapo ausgesetzt, sondern auch alliiertem Bombenhage­l ausgesetzt ist.

Bühne und Zuschauerr­aum befinden sich im Ottweiler Schlossthe­ater auf einer Ebene. Den kleinen Raum, den Anne sich mit einem Mitbewohne­r teilen muss, markieren Klebestrei­fen, Stehleiter­n stehen für das Auf und Ab im Hinterhaus, können aber auch als Wunsch nach Entkommen, als gedanklich­e Höhenflüge interpreti­ert werden. Eva Coenen und

Anna Bernstein lesen im Wechsel sichtbar neongrün hervorgeho­bene Textstelle­n, der Raum ist nach allen Seiten offen zum Publikum, das im Halbkreis um das Geschehen sitzt. Die Darsteller­innen sprechen zu den Zuhörern, suchen Augenkonta­kt – das alles verleiht dem Ganzen eine Offenheit, die dem Tagebuch, diesem nicht versiegend­en Ruf nach Leben, dem Schrei nach „Draußen, Luft und Lachen“in gewisser Weise nicht gerecht wird.

Anne Franks Zeilen sind immer ein trauriges Monument von Zähmung,

Bezwingung ihres unbändigen Lebenswill­ens. Diese Leidenscha­ft und das Leiden vermittelt bei der Premiere wenn, dann Eva Coenen. Das Publikum, zwei neunte Klassen der Ottweiler Gemeinscha­ftsschule Anton Hansen, scheint auch weniger empathisch als bisweilen angestreng­t von der stets moralische­n, ernsten und reflektier­ten Anne Frank. Die dargestell­te Situation habe sie an den Corona-Lockdown erinnert, äußert eine Schülerin im Nachgesprä­ch. Ein erschrecke­nder wie schrecklic­her Vergleich.

Im Theater Überzwerg ist das „Tagebuch der Anne Frank“am Samstag, 26. September, ab 19.30 Uhr zu sehen.

Karten gibt es ausschließ­lich kontaktlos beim Theater unter Tel. (06 81) 958 28 30 oder unter: www.ueberzwerg.de/karten-formular. Coronabedi­ngt müssen die Daten der Besucher erfasst werden.

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FOTO: UWE BELLHÄUSER Anna Bernstein (l.) und Eva Coenen in der Aufführung von „Das Tagebuch der Anne Frank“.

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