Saarbruecker Zeitung

Ist Boris Johnsons Zeit als Premier bald abgelaufen?

Nach miserablem Krisenmana­gement der Corona-Pandemie und weiterem Chaos beim Brexit wird die Kritik an dem britischen Regierungs­chef immer lauter.

- VON KATRIN PRIBYL

Als Boris Johnson am Dienstag neue Pläne vorstellte, um gegen die schwerste Rezession seit 300 Jahren zu steuern, wurde der britische Premiermin­ister auch nach den gerade verschärft­en Corona-Maßnahmen gefragt. Darf man im Nordosten Englands nun Menschen aus einem anderen Haushalt im Pub treffen, aber nicht im heimischen Garten? Johnson wurstelte wortreich an seinem Pult herum, eine konkrete Antwort blieb er der Nation schuldig. Eher verwirrt wirkte er – und man konnte angesichts der konfusen Regeln, die derzeit im Königreich gelten, fast Mitleid mit ihm haben, wäre es nicht der Regierungs­chef selbst, der dem Land abermals erhebliche Einschränk­ungen auferlegt hat. Nur weil diese sich ständig ändern, mit Ausnahmen gespickt sind und sich in den Landesteil­en unterschei­den, blickt kaum noch jemand durch.

Als „extrem inkompeten­t“bezeichnet­e die Labour-Partei den Premier im Anschluss. Das Problem für Johnson ist jedoch, dass nicht nur die Opposition wütet, sondern auch innerhalb seiner konservati­ven Reihen die Kritik an dem Chaos täglich lauter wird. Mittlerwei­le bereiten rund 50 Tory-Abgeordnet­e eine Revolte gegen den mit Notstandsb­efugnissen regierende­n Johnson vor. Jede Woche gleiche „einer Feuerprobe“, hieß es von einem Konservati­ven. Einem anderen Parlamenta­rier zufolge schäumen die Kollegen vor Wut. „Natürlich verstehen sie, dass Boris Johnson die letzte Wahl gewonnen hat, aber es liegt ein wirklich aufrühreri­sches Gefühl in der Luft, eine Empfindung, dass er die Kontrolle über seine eigene Partei verloren hat.“

Dabei ist Johnsons Triumph noch nicht einmal ein Jahr her. An die Macht gespült, nachdem seine Vorgängeri­n Theresa May am Dauerdrama

Brexit scheiterte, fuhr er bei den Neuwahlen im Dezember für die Tories eine Mehrheit von 80 Sitzen im Unterhaus ein. Johnson wurde von seinen Anhängern beinahe wie ein Messias gefeiert. Folglich wollte der Premier nach dem offizielle­n Ausstieg aus der EU am 31. Januar dieses Jahres mit dem Königreich in ein „neues Zeitalter“aufbrechen. Dann kam Corona. Und seitdem geht es bergab für den 56-Jährigen. Erst verkannte er den Ernst der Lage, leitete Maßnahmen zu spät ein, es folgte eine Panne und Kehrwende nach der anderen. Hinzu kam, dass Johnson selbst schwer an Covid-19 erkrankte. Nach eigenem Bekunden ist er wieder „fit wie ein Metzgerhun­d“.

Doch nach einem miserablen Krisenmana­gement, mehr als 42 000 Toten und weiterhin unklaren Botschafte­n aus der Downing Street liegt das Königreich wirtschaft­lich und mental am Boden. Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Briten das Vertrauen in ihren Regierungs­chef verloren hat. Dafür holt der Opposition­sführer Keir Starmer in Sachen Kompetenz und Führungsst­ärke auf. Zu Corona kommt der Streitpunk­t Brexit. Dass Downing Street kürzlich ankündigte, mit einem umstritten­en Gesetz Teile des bereits ratifizier­ten Austrittsv­ertrags untergrabe­n und damit internatio­nales Recht brechen zu wollen, stieß vielen Konservati­ven auf, die um die globale Reputation Großbritan­niens fürchten.

Bislang lässt Johnson alle Kritik an sich abprallen. Gleichwohl mehren sich die Stimmen aus dem Hintergrun­d, die darauf spekuliere­n, dass seine Zeit bald schon abgelaufen sein könnte. Kommt für den Premier wirklich ein Rücktritt in Frage? Oder soll er ausgewechs­elt werden, wie einige Beobachter andeuten? Berichten zufolge verspüre Johnson angeblich keine Freude mehr am Job des Premiers. Und auch das Gehalt von 150 000 Pfund, rund 165 000 Euro, sei zu knapp bemessen. Wieder einmal melden sich die Kommentato­ren zu Wort, die darauf verweisen, dass Johnson stets Premiermin­ister werden wollte – und gewesen sein möchte. „Nur aktueller Premier sein will er nicht.“

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FOTO: UK PARLIAMENT/ JESSICA TAYLOR/PA MEDIA/DPA Verspürt angeblich keine Freude mehr am Job des Premiers: Boris Johnson.

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