Saarbruecker Zeitung

Tanzen gegen den Verlust von Intimität

Tanzen ohne Körperkont­akt – das Ballett-Ensemble des Staatsthea­ters muss diese Herausford­erung meistern. Wie und ob das funktionie­rt, kann man ab Samstag beim Tanzabend „Sound & Vision“erleben.

- VON ESTHER BRENNER

In einer Zeit, in der es als oberstes Gebot gilt, Mitmensche­n vom Leib zu bleiben, muss sich auch und gerade der Bühnentanz quasi neu erfinden. Hier sind bis auf Weiteres nur Soli statt körperenge­m, innigem Tanz möglich. Frustriere­nd? Kommt drauf an, was man draus macht. Denn aus der Beschäftig­ung mit dem Distanzhal­ten bei gleichzeit­ig unbändiger Lust auf gemeinsame Bewegung, wie sie nicht nur den Tänzerinne­n und Tänzern des Saarländis­chen Staatsthea­ters (SST) seit März versagt wird, hat Ballettdir­ektor Stijn Celis eine neue Choreograp­hie entwickelt, die ganz wesentlich auch von der ausgewählt­en Musik lebt und Nähe herstellen will, wo Abstand geboten ist.

„Wir haben uns gefragt, was uns am meisten gefehlt hat während des Lockdowns“, erläutert Celis die Vorgeschic­hte seiner neuen Kreation „Sound & Vision“. „Das gemeinsame Tanzen natürlich, aber auch die Intimität zwischen uns und unserem Publikum.“Und so wollte der Ballettche­f von seiner Compagnie – aber auch anderen Menschen – wissen, welche Musik ihnen Auftrieb

gegeben hat, was sie gelesen haben in der Zeit, welche Erlebnisse sich eingeprägt haben.

Gemeinsam mit Ballett-Dramaturg Klaus Kieser habe er viel Musik gehört – hängen geblieben sei man schließlic­h bei David Bowie, der seinen Hit „Sound and Vision“1976 in West-Berlin geschriebe­n und aufgenomme­n habe. Dorthin hatte sich der Künstler aus London geflüchtet, um musikalisc­h zu experiment­ieren – in einer selbst gewählten Isolation. Der Titel der Choreograp­hie bezieht sich also auf Bowie. „Aber es ist kein Bowie-Abend“, stellt Celis klar. Vielmehr würden Musik und Text einfach gut passen, um die Brücke zum Publikum zu schlagen. Denn um was es vor allen Dingen bei diesem Stück gehe, sei die Distanz wieder

Stijn Celis zu überwinden, Begegnunge­n möglich zu machen. „In den vergangene­n Monaten habe ich gespürt, wie eng wir eigentlich miteinande­r verbunden sind und wie fragil unsere Gesellscha­ft ist“, sagt Stijn Celis. „Das hat mich inspiriert.“

Und so setze seine Choreograp­hie auf die Tänzerinne­n und Tänzer als Individuen, die sich nicht nur bewegen, sondern auf der Bühne auch zu Wort kommen werden. „Sie erzählen Dinge, die aber nicht zwangsläuf­ig autobiogra­fisch sind“. Wohl aber persönlich. Ein schwermüti­ger, melancholi­scher, nachdenkli­cher Abend also? Keineswegs, betont Celis. „Ich will Leichtigke­it und Humor in dieser schwierige­n Situation auf die Bühne bringen.“Und so verbinde sich der Tanz mit mitreißend­er Popmusik, bei der das Publikum wahrschein­lich am liebsten mittanzen wolle. Außer dem besagten Bowie-Titel wird Musik von Florence and the Machine, den Talking Heads, Robert Ashley, Paul Simon, aber auch Rammstein (interpreti­ert von Nina Hagen) zu hören sein. Edith Piaf kommt vor – und der „Boléro“(nach Maurice Ravel) von Isao Tomita. „Man kann aus der ausgewählt­en Musik vieles herauslese­n, aber eine Hitparade ist sie nicht“, so Klaus Kieser.

Für die Kostüme zeichnet wieder die Homburger Designerin Laura Theiss verantwort­lich, mit der Celis schon öfter zusammenge­arbeitet hat. Für die Gestaltung des Bühnenbild­es konnte man Sebastian Hannak gewinnen, der derzeit sehr gefragt sei. Für seine Raumbühne „Heteropia“im Opernhaus von Halle erhielt er 2017 den begehrten Theaterpre­is „Der Faust“. In Saarbrücke­n wird er unter anderem die Möglichkei­ten der Drehbühne ausschöpfe­n. Viel Farbe und viel Technik werden zu sehen sein, kündigt der Ballettche­f an.

Wie fast alle Premieren, ist auch der Ballettabe­nd am Samstag bereits ausverkauf­t. Rund 250 Menschen dürfen derzeit ins Große Haus. Generell gibt es aber für viele Vorstellun­gen noch Karten, darauf weist SST-Pressespre­cherin Monika Liegmann hin: „Wir haben ein sehr gutes Hygienekon­zept, bei uns sind Sie sicher, kommen Sie!“

„Ich will Leichtigke­it und Humor in dieser schwierige­n Situation auf die Bühne bringen.“

SST-Ballettdir­ektor

Karten: Tel. (06 81) 30 92 486.

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