Die Stadt als Urban-Art-Museum: Neunkirchen macht weiter
Das Hüttenarbeiter-Porträt war also keine Eintagsfliege: Neunkirchen macht ernst mit dem 2019 begonnenen Projekt einer Urban-Art-Gallery. Man hört die famose Botschaft mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge. Denn die Stadt verlässt ein für sie genuines Feld, das der Industriekultur. Im vergangenen Jahr schuf der international bekannte Streetart-Künstler Hendrik Beikirch eine Art Arbeiter-Denkmal, er übertrug das realistische Porträt eines Neunkircher Hüttenarbeiters in ein riesiges Format, auf eine Häuserfassade. Es war dies eine Aufsehen erregende Erinnerungskultur-Aktion,
zumal Neunkirchen damit landesweit allein stand. Es auch leider blieb. Weder in Völklingen noch in Riegelsberg, wo ebenfalls über ähnliche Urban-Art-Projekte zum Thema Arbeiterkultur nachgedacht wurde, kam es zu einer Realisierung. Auch das Kultusministerium sprang nicht auf den Gedanken an, das Saarland durch ein flächendeckendes Netz an Arbeiter-Porträts in verschiedenen Kommunen in ein befahrbares Riesen-Memorial zu verwandeln.
Nicht überall gibt es eben eine Edda Petri. Die Leiterin des Neunkircher Kutscherhauses brachte 2019 als Privatfrau ihre Begeisterung und Initiative ein, um ein geeignetes Gebäude zu finden, dessen Eigentümer zu überzeugen und den Künstler zu gewinnen. Petri hatte im damaligen Oberbürgermeister Jürgen Fried (SPD) sofort einen Unterstützer und
Finanzier für die Idee, Bürgern niederschwelligen Zugang zu bildender Kunst zu erlauben. Angenehm geringe Kosten fallen dafür an: Petri nennt rund 10 000 Euro für das 2020er Projekt.
Fried-Nachfolger Jörg Aumann hat das Geld organisiert, er trägt das Konzept also weiter. Ab 7. Oktober wird der italienische Graffiti-Künstler Manuel Di Rita – genannt PEETA – in Neunkirchen auftauchen. Er bringt eine ganz andere – abstrakte – Kunstrichtung in die Stadt. PEETA transformiert Gebäude durch malerische 3-D-Effekte in kolossale Skulpturen. Seine Wandbilder brechen die Fläche auf, scheinen Farb- und Form-Explosionen frei zu setzen und dadurch in den Stadtraum
zu wuchern. Reizvoll ist das sicher, wie Fotos verraten. Doch klar ist auch: Ein bunt gemischter Urban-ArtWalk, wie ihn mittlerweile viele Städte eingerichtet haben, um Stadtquartiere aufzuwerten, taugt als Alleinstellungsmerkmal nicht. Auch in der Landeshauptstadt Saarbrücken entwickelte man beispielsweise einen Urban-ArtWalk, ohne dass dies je besondere Aufmerksamkeit erzeugt hätte.
Trotzdem beschreitet nun auch Neunkirchen diesen Weg, verlässt das monothematische Modell. Warum? Zum einen sind laut Petri industriekulturelle Themen in der Graffiti-Kunst rar, und außerdem gilt für sie: „Ausschließlich Arbeiter-Porträts oder Beikirch-Arbeiten in Neunkirchen zu zeigen und das Projekt dadurch thematisch einzuschränken, widerspricht meiner Vorstellung von einem lebendigen Museum in der Stadt“. Ähnlich argumentiert Oberbürgermeister Jörg Aumann (SPD): „Wir sind eine bunte Stadt. Kultur drückt gerade die Vielfalt unserer Stadt aus. Auch die Kunst soll diese Pluralität im Stadtbild unterstreichen.“
Der Künstler PEETA wird zwischen 7. und 15. Oktober öffentlich arbeiten. Der Ort: Giebelwand des JUZ, Süduferstraße 14.