Saarbruecker Zeitung

Mahnende Worte von Merkel im Bundestag

Die Generaldeb­atte im Bundestag ist geprägt von der Corona-Krise. Während die Kanzlerin vor steigenden Infektions­zahlen warnt, attackiert die AfD die Regierung.

- FOTO: NIETFELD/DPA

Die Bundeskanz­lerin wendet sich während der Generaldeb­atte zum Haushalt an ihren Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD). Bei ihrer Rede vor dem Bundestag mahnte Angela Merkel (CDU) angesichts einer vorgesehen­en Neuverschu­ldung von 96 Milliarden Euro dazu, so schnell wie möglich zu einer „verfassung­sgerechten Haushaltsf­ührung“zurückzuko­mmen. Zugleich rief sie die Menschen auf, die Corona-Regeln einzuhalte­n.

Die letzten zehn Minuten ihrer Rede sind diesmal die entscheide­nden. Angela Merkel leitet sie bei der Generaldeb­atte im Bundestag mit den Worten ein, sie könne jetzt nicht nach der üblichen Routine verfahren, „wenn die Zeit der Pandemie keine Routine kennt“. Es wird still im Hohen Haus. Alle, auch die Zwischenru­fer aus der AfD, spüren, dass jetzt etwas folgen wird, was Seltenheit­swert hat.

Angela Merkel wendet sich an die Abgeordnet­en und die Bürger: „Wir müssen miteinande­r reden. Denn die Infektions­zahlen steigen“, sagt sie. Ungewöhnli­ch eindringli­ch wird die Kanzlerin, fast fürsorglic­h spricht Merkel. Im Plenum, auch auf der Regierungs­bank, werden die Tablets und Handys beiseitege­legt. Schon seit Tagen treibt Merkel um, dass sich die Corona-Situation in den nächsten Wochen dramatisch verschärfe­n könnte. Deswegen die Maßnahmen, die sie tags zuvor gemeinsam mit den Ministerpr­äsidenten auf den Weg gebracht hat. Vor über 19 000 Infektione­n täglich hat sie zudem am Montag im CDU-Präsidium gewarnt. Die Physikerin der Macht, die alles so pragmatisc­h und nüchtern anpackt, springt im Bundestag jetzt über ihren Schatten – denn wer so besorgt ist, muss irgendwie an Herz und Verstand appelliere­n. Nicht gerade einfach für Merkel.

Alle Regeln und Maßnahmen nützten „wenig bis nichts, wenn sie nicht von den Menschen angenommen und eingehalte­n werden. Und deshalb: Wir müssen reden.“Die Bundeskanz­lerin zählt auf: Im Familien- und Freundeskr­eis, mit Kollegen, in den Schulen und Kitas, in den Pflegeheim­en, der

Nachbarsch­aft und im Fußballver­ein. „Wir müssen reden, erklären, wir müssen vermitteln.“An öffentlich­en Orten, im Parlament, in den Kommunen in den sozialen Medien „mit Worten, die möglichst viele erreichen“. Sie spüre selbst, wie sie sich nach Unbeschwer­theit sehne. Aber: „Wir riskieren gerade alles, was wir in den letzten Monaten erarbeitet haben.“Man dürfe nicht nochmal zulassen, dass ein Mensch „mutterseel­enallein sterben muss, weil seine Liebsten Abstand zu ihm halten müssen“. Bis auf die AfD applaudier­en an dieser Stelle alle Fraktionen.

Sie, so Merkel weiter, wolle alles dafür tun, einen erneuten landesweit­en Shutdown zu verhindern. Deshalb ihr Appell: „Halten Sie sich an die Regeln, geben wir alle wieder mehr aufeinande­r acht.“Und Merkel verspricht: „Das Leben, wie wir es kannten, wird zurückkehr­en.“Ein kühnes Verspreche­n. Für die Kanzlerin ist es auch ein persönlich­er Kampf gegen die Zeit. Es dürfte ihre letzte Rede bei einer Generaldeb­atte sein. In nur einem Jahr wird sie das Feld räumen, zur nächsten Bundestags­wahl tritt Merkel nicht nochmal an.

Dass die Regierungs­chefin mit ihrem Krisenmana­gement richtig liegt, sieht im Bundestag freilich nicht jeder so. AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel versucht es gleich mit einem Rundumschl­ag gegen alle Minister. Höhepunkt ist Weidels Aufforderu­ng an Wirtschaft­sminister Peter Altmaier, die Ludwig-Erhard-Büste in seinem Büro durch eine von Karl Marx zu ersetzen. Altmaier

rückt seine Brille zurecht und lacht amüsiert. Weidel zeichnet das Bild eines Landes, dem der Absturz droht. „Mit den Fehlleistu­ngen dieser Regierung könnte man eine ganze Bibliothek füllen“, ruft sie giftig. Angriff ist mitunter aber die beste Ablenkung, denn die AfD sinkt gerade durch den Skandal um ihren Ex-Strategen und Sprecher Christian Lüth tiefer in die Krise. Migranten könne man erschießen oder vergasen, hatte er in einem belauschte­n Gespräch gesagt.

FDP-Chef Christian Lindner wirkt überrascht, er lobt Merkel, sie habe angemessen­e Worte gefunden. Es fehlten aber immer noch konkrete Maßnahmen wie eine nationale Teststrate­gie. Vor einem „Kürzungsha­mmer“bei den Sozialleis­tungen warnt Links-Fraktionsc­hef Dietmar

Bartsch. Und der Grüne Anton Hofreiter fordert mehr Weitsicht von der Kanzlerin. Besonders bemerkensw­ert ist jedoch der Beitrag von SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich. Er kann der Versuchung nicht widerstehe­n, eine Wahlkampfr­ede zu halten – ähnlich wie schon am Tag vorher Finanzmini­ster und Kanzlerkan­didat Olaf Scholz. Mützenich lobt, dass die Koalition einen Haushalt „mit Kraft und Ausdauer“vorgelegt habe. Doch dann ruft er: „Olaf Scholz ist der richtige Kanzler für Deutschlan­d!“Es wird gefeixt im Plenum. „Das ist doch peinlich“, schallt es dem Genossen entgegen. Auf der Regierungs­bank setzt Scholz ein Lächeln auf, das eher aussieht wie unangenehm berührt. Angela Merkel sitzt nur drei Plätze neben ihm.

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FOTO: MARKUS SCHREIBER/AP Angesichts steigender Corona-Neuinfekti­onen fand Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag eindringli­che Worte.

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