Eine Fernseh-Debatte ohne Anstandsregeln
In einem unwürdigen Spektakel fährt US-Präsident Donald Trump persönliche Attacken gegen Herausforderer Joe Biden. Der keilt zurück.
(her/dpa) Am Tag nach dem Debatten-Desaster hagelt es Kommentare, und alle sind pointiert. Selbst republikanische Parteifreunde üben Kritik an einem Präsidenten, der auf der Fernsehbühne sämtliche Anstandsregeln missachtet hat. Donald Trump habe zu aggressiv gewirkt, wie ein Hitzkopf, rügt sogar Chris Christie, der Ex-Gouverneur New Jerseys, der als Sparringspartner mit seinem alten Freund geübt hatte. Die Demokratin Nancy Pelosi, Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, geht so weit, am Sinn eines nächsten Streitgesprächs zu zweifeln. Im Grunde, sagt sie, dürfte sich niemand dafür hergeben, mit Trump auf einer Bühne zu stehen.
Vom Start weg bläst der Amtsinhaber zur Attacke. Trump will einen Aussetzer provozieren, indem er Biden ständig unterbricht. „Sleepy Joe“, behauptet er seit Monaten, sei zu tattrig, als dass man ihm die Staatsgeschäfte anvertrauen könnte. Die Art, ihm alle paar Sekunden ins Wort zu fallen, behält er über 90 Minuten bei.
„Leute, habt ihr eine Ahnung, was dieser Clown macht?“, fragt Biden, schon nach wenigen Minuten sichtlich genervt, nachdem er einen Satz nicht zu Ende bringen kann. „Können Sie mal den Mund halten, Mann?“„Sie sind der schlechteste Präsident, den Amerika je hatte.“Worauf Trump seinen Rivalen, der 1973 zum ersten Mal in den US-Senat
einzog, einmal mehr zum klassischen Vertreter einer politischen Klasse stempelt, die in seiner Skizze nur redet, statt zu handeln. „In 47 Monaten habe ich mehr getan als Sie in 47 Jahren“, sagt der Milliardär, der seit gut dreieinhalb Jahren im Weißen Haus residiert. Auch wenn die Zeitangabe, was ihn betrifft, nicht ganz korrekt ist: Die griffige Zeile soll sich ins Gedächtnis eingraben.
Vom Ambiente her steht das Duell an der Case Western Reserve University in Cleveland ganz im Zeichen der Epidemie. Im Saal sitzen nur knapp hundert Zuschauer. Mit welchen Programmen die beiden die nächsten vier Jahre angehen würden, darüber erfährt das Publikum so gut wie nichts. Geht es einmal um Inhaltliches, wird Altbekanntes wiederholt. Trump findet es mit Blick auf die aktuellen Machtverhältnisse völlig in Ordnung, die vakante Stelle am Supreme Court im Schnellverfahren mit der Juristin Amy Coney Barrett zu besetzen, während Biden erneut fordert, das Ergebnis des Votums am 3. November abzuwarten. Als Biden davor warnt, mit einer klaren konservativen Mehrheit könnte der Oberste Gerichtshof das seit 1973 landesweit geltende Recht auf Abtreibung kippen, weist Trump ihn zurecht: „Das können Sie gar nicht wissen“. Was immer Trump bisher gesagt habe, sei eine Lüge, keilt Biden zurück. „Jeder weiß, dass er ein Lügner ist.“
In dem Stil geht es weiter, egal, welches Thema der Moderator anschneidet. Chris Wallace, unabhängigster Kopf des ansonsten eindeutig konservativen Senders Fox News, wirkt so hilflos wie ein Lehrer, dessen Schüler im Klassenzimmer außer Rand und Band geraten sind.
Für den Umgang mit der Pandemie, der in den USA bisher über 200 000 Menschen zum Opfer fielen, gibt sich Trump Bestnoten. Biden hält ihm vor, zum einen nie einen Plan gehabt und zum anderen die Gefahr wochenlang, wider besseres Wissen, heruntergespielt zu haben. In der Krise habe er alles andere als klug gehandelt. Da wird Trump einmal mehr persönlich: Das Wort „klug“aus Bidens Mund verbitte er sich, der Mann habe an der Uni zu den Schlechtesten seines Jahrgangs gehört, „nichts an Ihnen ist schlau“.
Wieder wirft Trump dem Herausforderer vor, sich der „radikalen Linken“in seiner Partei zu unterwerfen. Wieder porträtiert er Biden als Geisel von „Sozialisten“, die Amerika ins Chaos abdriften ließen, während er, Trump, für Recht und Ordnung sorge. Wieder malt er seine – inzwischen widerlegte – These, der zufolge beim Briefwählen massiv manipuliert werde, in düsteren Farben aus. „Es wird Fälschungen geben, wie wir sie noch nie erlebt haben.“
Der Tiefpunkt ist erreicht, als Wallace beide auffordert, weißen Überlegenheitsdünkel zu verurteilen. „Nennen Sie einen Namen. Sagen Sie mir, wen ich verurteilen soll“, kontert Trump. „Die Proud Boys“, wirft Biden in die Runde. Er meint eine rechtsradikale Miliz, die zuletzt in Portland Zusammenstöße mit linken Demonstranten provozierte. „Die Proud Boys – haltet Abstand und steht bereit“, spinnt der Präsident den Faden weiter. „Aber ich sage Ihnen was, jemand muss was tun wegen Antifa und der Linken.“Es klingt, als rede er einen Bürgerkrieg förmlich herbei.
Bei den Fernseh-Zuschauern kommt das Spektakel nicht gut an. In einer CBS-Umfrage sagen 69 Prozent, die Debatte habe sie vor allem verärgert. 48 Prozent sehen Biden als Gewinner, 41 Prozent Trump. In einer CNN-Umfrage ist das Verhältnis sogar 60 zu 28 Prozent.
„In 47 Monaten habe ich mehr getan als Sie in 47 Jahren.“
Donald Trump
US-Präsident
„Sie sind der schlechteste Präsident, den Amerika je hatte.“
Joe Biden US-Präsidentschaftskandidat