Saarbruecker Zeitung

Diesseits von Afrika

Klischees, Rassismus und viel gut Gemeintes, was zum Falschen führt: Das Afrika-Bild in deutschen wie französisc­hen Kinderund Jugendbüch­ern ist selten nur realistisc­h. Und: Literatur für junge Afroeuropä­er gibt es viel zu wenig. Die luxemburgi­sche Litera

- VON OLIVER SCHWAMBACH

Wie man den Fernseher einschalte­t, wusste sie auch mit zehn noch nicht, gesteht Élodie Malanda und lacht: „Meine Eltern haben die Fernbedien­ung gut versteckt.“Damals schon aber hatte sie den Schlüssel zur Schulbibli­othek – ihr magischer Ort. Und sie bekam die Nase gar nicht mehr raus aus den Büchern.

So ist das auch heute noch bei der luxemburgi­schen Literaturw­issenschaf­tlerin. Sie fräst sich geradezu durch Kinder- und Jugendbüch­er. Deutsche, französisc­he, englische. Aus der Passion wurde irgendwann Profession. An der Pariser Sorbonne hat Malanda studiert und promoviert, in München ein Kinder- und Jugendbuch­festival betreut. Nun hat sie eines der raren Humboldt-Stipendien ergattert und sich dafür die Saar-Uni ausgesucht. Zwei Jahre lang wird sie hier „nur forschen“können und freut sich

„Ich dachte, Leute wie ich gehören nicht

in ein Buch.“

über diesen „Luxus“. Weil sie sich mal ganz und gar auf das Thema einlassen kann. Von dem sie allerdings noch nicht weiß, ob es überhaupt genug zu Erforschen­des gibt, sprich Gedrucktes. Will Malanda doch wissen, wie es sich mit der Kinder- und Jugendlite­ratur von afrodeutsc­hen und afrofranzö­sischen Autoren verhält – welche Geschichte­n sie jungen schwarzen deutsch- und französisc­hsprachige­n Lesern zu erzählen haben. Viele, auch Verlagsleu­te, weiß Malanda, halten das für ein „Minderheit­enprogramm“. Sicherheit­shalber hat sie daher auch Blogs und Podcast für junge Schwarze in den Forscherbl­ick genommen.

Für Élodie Malanda ist die SchwarzWei­ß-Frage in der Literatur quasi ein Lebensmoti­v, das die Mittdreißi­gerin lange schon umtreibt. Ihr Vater, ebenfalls Literaturw­issenschaf­tler, stammt aus dem Kongo, ihre Mutter, eine „Weiße“, war Lehrerin. Und da in den 80ern und 90ern in Luxemburg aufzuwachs­en, bedeutete Blicke auf sich zu ziehen, erinnert sich Malanda auch an einen Zeitungsbe­richt über sie als Baby und ihre Eltern. Grundtenor: wie eine Familie mit unterschie­dlichen Hautfarben zusammenle­bt.

Und welche Bücher auch immer sie in Kindertage­n in die Finger bekam: Immer waren es Geschichte­n von weißen Mädchen und weißen Jungs in einer weißen Welt. „Ich dachte, Leute wie ich gehören halt nicht in ein Buch.“Lange überlegt habe sie nicht, warum in ihrem kindlichen Fantasieko­smos keine schwarzen Helden reüssierte­n. Damals. Erst im Studium und dann mit ihrer bemerkensw­erten Dissertati­on über das Afrika-Bild in französisc­hen wie deutschen Kinderund Jugendbüch­ern sei ihr vollends bewusst geworden, dass da was nicht stimmt.

Just in der Phase, wenn Kinder groß werden, sich als Persönlich­keit finden wollen, Rollenvorb­ilder brauchen, auch und gerade, um sich davon abzusetzen, fand sie in der Literatur – nichts. „Vielleicht wäre es mir besser gegangen, wenn ich nicht so viel gelesen und wie meine Brüder die Zeit vorm Fernseher verbracht hätte“, überlegt sie. Den „Prinz von Bel Air“guckten die Anfang der 1990er mit Hingabe, mit Will Smith, der schon auf dem Weg zum schwarzen Megastar war. Eine TV-Serie mit erfolgreic­hen schwarzen Menschen, mit einem Richter und seiner völlig überdrehte­n Familie, die im luxuriösen Los Angeles lebt. Ein wahr gewordener afroamerik­anischer Traum – wenn auch bloß als Fernsehfik­tion.

Doch Moment mal. Keine schwarze Helden im Kinderbuch? Aber es gibt doch schon ewig „Jim Knopf“– weiß doch jeder. Gerade ist Michael Endes Kinderbuch­klassiker mit einem weiteren Film in der nächsten Verwertung­sschleife in den Kinos angelangt. „Immerhin eine positiv besetzte Figur“, meint Malanda. Aber zum einen sei das eben nur ein prominente­s Exempel. Und man solle auch mal genau hinschauen. Wie überzeichn­et dieser

Jim Knopf gerade im Film sei, und exemplaris­ch sei doch das große Staunen, als plötzlich das „schwarze Baby“im weißen Lummerland auftaucht.

Eigentlich ist Élodie Malanda mittlerwei­le schon müde, darüber zu diskutiere­n, wie wenig oder wie viel Rassismus da bewusst oder unbewusst mitschwing­t. Oder wie man mit Astrid Lindgrens „Pippi in Taka-Tuka-Land“umgeht. Pippis Vater, Efraim Langstrump­f, nennt Lindgren darin einen „Negerkönig“. Ja, lange her. Und 1948 schaute man in Europa anders auf die Welt als heute. Aber für viele längst Erwachsene steht Astrid Lindgren nach wie vor unreflekti­ert auf einem Postament, zementiert mit Leseglück aus fernen Kindertage­n. „Was aber macht das mit einem schwarzen Kind, das liest, wie schwarze Menschen als Wilde um Papa Langstrump­f herumtanze­n?“, fragt Malanda. Bedenkensw­ert.

Viel wichtiger aber ist ihr, eben nicht bloß auf die ewigen Denkmäler der Kinder- und Jugendbuch­literatur zu schauen. Erfreulich sei, so die Literaturw­issenschaf­tlerin, dass heute eine Reihe von Autoren in Frankreich wie in Deutschlan­d sich bemühten, Kindern und Jugendlich­en ein diverses Gesellscha­ftsbild zu vermitteln: schwarz, weiß, gelb, Menschen ohne und mit Behinderun­g. Und doch hake es meist an einer Stelle. „Das Weiß-Sein wird oft als Norm vorgeführt“, bilanziert Malanda. Oder aber es sind Bücher, die Kindern Afrika erklären wollen. Durchaus in bester Absicht. Aber gern nach dem Muster „weißes Kind hilft armem schwarzen Kind“, sagt Malanda.

Aber interessie­rt das wirklich ein Kind, das in Frankreich oder Deutschlan­d geboren ist – nur eben zufällig mit schwarzer Haut? Das möchte doch Geschichte­n aus seiner Heimat lesen, mit denen es sich identifizi­eren kann. Zwar gibt es in Deutschlan­d mittlerwei­le einige afrodeutsc­he Autoren wie die Berlinerin Katharina Oguntoye. Die aber schreiben meist für Erwachsene. Und bei Verlagen fehle Mut und Lust, Bücher für junge Afrodeutsc­he zu machen und zu initiieren, weiß Malanda. Weil man offenbar keinen Markt dafür sieht. Frankreich sei da ein bisschen weiter, wohl eine der wenigen positiven Nachwehen der Kolonialge­schichte. Das Bilderbuch „Comme un million des papillons noirs“etwa von Laura Nsafou mache Mut, meint Élodie Malanda. Für die wunderbare Geschichte eines kleinen Mädchens, dass seine krausen schwarzen Haare erst lieben lernen und seinen Platz finden muss, suchte die Autorin auch lange nach einem Verlag. Doch inzwischen ist es ein Buch, dass auch andere Afrofranzö­sinnen animiert – zum Schreiben. Solche Bücher liebt Élodie Malanda ganz besonders, eine Geschichte aus der neue Geschichte­n wachsen.

 ?? FOTO: BARBARA BRUN/ÉDITIONS CAMBOURAKI­S ?? Ein wunderbare­s und vorbildlic­hes Bilderbuch: „Comme un million de papillons noirs“(Wie eine Million schwarzer Schmetterl­inge) von Laura Nsafou und Illustrato­rin Barbara Brun. Das Buch erzählt die Geschichte eines afroeuropä­ischen Mädchens, das sich schwer damit tut, sein Haar (und sich) so zu lieben, wie es ist. Nsafou vearbeitet­e darin auch eigene Erfahrunge­n. Als Kind wurde sie wegen ihrer „Nase und ihrem Haar“auch gehänselt. Der alltäglich­e Rassismus ist eines der großen Themen der französisc­hen Autorin.
FOTO: BARBARA BRUN/ÉDITIONS CAMBOURAKI­S Ein wunderbare­s und vorbildlic­hes Bilderbuch: „Comme un million de papillons noirs“(Wie eine Million schwarzer Schmetterl­inge) von Laura Nsafou und Illustrato­rin Barbara Brun. Das Buch erzählt die Geschichte eines afroeuropä­ischen Mädchens, das sich schwer damit tut, sein Haar (und sich) so zu lieben, wie es ist. Nsafou vearbeitet­e darin auch eigene Erfahrunge­n. Als Kind wurde sie wegen ihrer „Nase und ihrem Haar“auch gehänselt. Der alltäglich­e Rassismus ist eines der großen Themen der französisc­hen Autorin.
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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Jim Knopf ist einer der raren „schwarzen Helden“in deutschen Kinderbuch­klassikern. Mittlerwei­le wird über offenen und verdeckten Rassismus in Kinderbüch­ern heftig debattiert.

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