Wie die Rap-Kultur den Schmerzmittel-Missbrauch fördert
Das Mittel Tilidin ist derzeit unter Jugendlichen als euphorisierende Droge sehr beliebt. Es beruhigt und vertreibt den Kummer. Experten sorgen sich.
(dpa) Rapper thematisieren es vielfach in ihren Songs, und ein Geständnis des Musikers Capital Bra zu seiner Medikamentenabhängigkeit machte kürzlich medial die Runde: Der Konsum des verschreibungspflichtigen Schmerzmedikaments Tilidin erlebt seit geraumer Zeit eine Art Revival bei Jugendlichen – transportiert und nach Expertenansicht auch befördert durch die Stars der Rapkultur und ihre Songs wie „Tilidin“von Capital Bra und Samra oder „Tilidin weg“von Bonez MC. „Gerade in der Hip-Hop-Szen – unter anderem auch durch Bekanntwerden von prominenten Betroffenen – verbreitet sich die Substanz zurzeit“, warnt Maurice Cabanis, Leitender Oberarzt der Klinik für Suchtmedizin
und Abhängiges Verhalten am Klinikum Stuttgart. „Zudem sind Schmerzmittel derzeit zu einer Lifestyle-Droge geworden, die zunehmend von Jugendlichen und jungen Erwachsen konsumiert wird.“Die Gefahren beim Missbrauch von Schmerzmitteln als Droge würden unterschätzt. Zur Hochrisikogruppe gehören seinen Erfahrungen zufolge vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, die aus prekären Lebenssituationen kommen. Etwa, wenn sie vernachlässigt oder misshandelt wurden oder sexuelle Gewalt erleben mussten und traumatisiert sind. „Opioide bringen ein warmes und geborgenes Gefühl, das man zu Hause vielleicht nie hatte und nie gespürt hat“, sagt Cabanis. Wenn Tilidin dann in der Szene oder in Songs als Superdroge verherrlicht werde, sei dies fatal. Denn Tilidin könne süchtig machen; der Entzug sei je nach Konsummenge quälend, verbunden etwa mit starken Muskelschmerzen, Erbrechen, Unwohlsein, Zittern und Schwitzen.
Von den in seiner Abteilung stationär aufgenommenen Patienten, die Tilidin nehmen, sei das Schmerzmedikament irgendwann zur beherrschenden Droge geworden, sagt Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindesund Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Auch er verweist auf den Einfluss der Rapszene: „Jugendliche neigen zur Identifikation mit ihren Idolen, imitieren das Verhalten. Das ist aus suchtpräventiver Sicht hochproblematisch.“
Die Datenlage zum Tilidinkonsum von Jugendlichen ist schwierig. Zwar gebe es gute Hinweise beispielsweise aus dem Arzneiverordnungsreport von 2016, sagt Thomasius. „Darin ist für die Zeit zwischen 2006 und 2015 eine Zunahme von 30 Prozent der definierten Tagesdosen an Opioid-Analgetika, zu denen Tilidin gehört, beschrieben.“Das Problem sei aber nicht ausreichend wissenschaftlich erfasst. „Wir klammern das Problem des Medikamentenmissbrauchs bei Jugendlichen bisher aus.“
Aber wie kommen Jugendliche an das rezeptpflichtige Medikament? „Ich vermute, dass sie es sich auf dem Schwarzmarkt besorgen“, erklärt Ursula Sellerberg, Sprecherin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Das bestätigt auch Cabanis. Zudem ließen sich die Präparate über das Internet relativ einfach bestellen. Auf dem Schwarzmarkt ist Tilidin nach Einschätzung von Thomasius deutlich teurer als Cannabis. Aus seiner Sicht sollten Tilidintabletten in das Betäubungsmittelgesetz aufgenommen werden. „Die Suchtmittelkommission im Bundesgesundheitsministerium muss sich mit diesem Thema dringend auseinandersetzen.“