Wirbel um Lafontaines Auftritt mit Sarrazin
Der Fraktionschef der Saar-Linken setzt sich mit Thilo Sarrazin auf ein Podium und hinterfragt die Flüchtlingsaufnahme. Der Ärger in seiner Partei ist groß.
SAARBRÜCKEN Wenn es um Zuwanderung geht, muss sich Oskar Lafontaine in seiner Partei wie ein Aussätziger fühlen. Schon vor Jahren warf der heutige Linken-Fraktionschef im Saar-Landtag die Frage auf, wann es denn so weit sei, dass „Spitzenpolitiker in Europa bei Wahlkämpfen die Zuwanderer in ihrer Heimatsprache umwerben“. Die Migration werde „einzig von den oberen Zehntausend gefordert“. Die linke Forderung nach offenen Grenzen für alle: naiv. Schon beim Aufkommen der Republikaner in den 1980ern bekam Lafontaine zu spüren, dass Teile der eigenen Wählerschaft anfällig für rechte Parolen sind. Im Parteiensystem, das ist daher sein strategischer Ansatz, will er eine Leerstelle besetzen, um sie nicht der AfD zu überlassen: für einen starken Sozialstaat und zugleich für eine restriktivere Zuwanderungspolitik. Die SPD hat den Kampf um diese Klientel längst aufgegeben, die Linke hat ihn gar nicht erst begonnen.
Bloß: Muss man sich deshalb mit Thilo Sarrazin aufs Podium setzen? Nachdem Lafontaine das am Montag tat, brach ein linkes Empörungsgewitter über ihn herein. Parteivize Martina Renner echauffierte sich: „Der Rassist Thilo Sarrazin geht auf Promotion-Tour für sein neues Machwerk, und ein linker Fraktionsvorsitzender macht das Maskottchen und sekundiert mit flüchtlingsfeindlichen Aussagen. So etwas macht man, wenn man die Partei Die Linke zerstören möchte.“Die Antikapitalistische Linke, eine parteiinterne Strömung, nannte Lafontaines Auftritt „parteischädigend“und forderte den 77-Jährigen auf, alle Ämter niederzulegen. Die Spitze der Saar-Linken, in deren Führung viele Lafontaine-Kritiker sitzen, ging am Donnerstag auf Tauchstation, kündigte aber an, intern darüber zu diskutieren.
Der Gescholtene versteht die Aufregung überhaupt nicht. „Wo kommen wir hin, wenn wir nicht mehr mit Politikern diskutieren, die völlig konträre Auffassungen haben?“Die Frage ist: Sind die Auffassungen von Lafontaine und Sarrazin, dem aus der SPD ausgeschlossenen Bestseller-Autor, wirklich so konträr?
Laut Bayerischem Rundfunk sagte Lafontaine bei dem Auftritt mit Sarrazin und dem CSU-Urgestein Peter Gauweiler, jedes unbegleitete Flüchtlingskind koste monatlich rund 5000 Euro – das sei ungerecht, denn das könne er einer Sozialrentnerin nicht guten Gewissens erklären. Da werde zu viel Geld für zu wenige Notleidende
ausgegeben. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat befand: „Ekelhafter geht es wirklich nicht mehr.“Zudem soll Lafontaine gesagt habe: Wenn hundert Menschen hungerten, sei es wenig sinnvoll, einen von ihnen ins „Feinschmecker-Lokal“einzuladen, wenn die dortige Rechnung allemal dafür ausreiche, allen Betroffenen Brot zu geben. Übertragen auf die Migration: mit deutschem Geld lieber vielen Kriegsflüchtlingen in den Flüchtlingslagern im Vorderen Orient und in Afrika helfen, als mit dem gleichen Geld deutlich weniger Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen. Um Fluchtursachen zu bekämpfen, müssten die „völkerrechtswidrigen Kriege“des Westens eingestellt und die US-Airbase in Ramstein geschlossen werden.
Lafontaine begründet seine migrationskritische Haltung, anders als Rechtspopulisten, nicht kulturell, sondern sozial, er liefert eine Art linke Migrationskritik: Die heutige Zuwanderung, so Lafontaine zu unserer Zeitung, schade den Ärmsten: in den Herkunftsländern durch die Abwanderung gut ausgebildeter Fachkräfte wie Ärzte und Krankenschwestern und in den Aufnahmeländern durch den entstehenden Lohndruck im Niedriglohnbereich und die steigenden Mieten für preisgünstige Wohnungen. In dieser Erzählung ist Migration also neoliberal – und Neoliberalismus ist für Lafontaine der Grund allen Übels.