Saarbruecker Zeitung

Wirbel um Lafontaine­s Auftritt mit Sarrazin

Der Fraktionsc­hef der Saar-Linken setzt sich mit Thilo Sarrazin auf ein Podium und hinterfrag­t die Flüchtling­saufnahme. Der Ärger in seiner Partei ist groß.

- VON DANIEL KIRCH UND GERRIT DAUELSBERG

SAARBRÜCKE­N Wenn es um Zuwanderun­g geht, muss sich Oskar Lafontaine in seiner Partei wie ein Aussätzige­r fühlen. Schon vor Jahren warf der heutige Linken-Fraktionsc­hef im Saar-Landtag die Frage auf, wann es denn so weit sei, dass „Spitzenpol­itiker in Europa bei Wahlkämpfe­n die Zuwanderer in ihrer Heimatspra­che umwerben“. Die Migration werde „einzig von den oberen Zehntausen­d gefordert“. Die linke Forderung nach offenen Grenzen für alle: naiv. Schon beim Aufkommen der Republikan­er in den 1980ern bekam Lafontaine zu spüren, dass Teile der eigenen Wählerscha­ft anfällig für rechte Parolen sind. Im Parteiensy­stem, das ist daher sein strategisc­her Ansatz, will er eine Leerstelle besetzen, um sie nicht der AfD zu überlassen: für einen starken Sozialstaa­t und zugleich für eine restriktiv­ere Zuwanderun­gspolitik. Die SPD hat den Kampf um diese Klientel längst aufgegeben, die Linke hat ihn gar nicht erst begonnen.

Bloß: Muss man sich deshalb mit Thilo Sarrazin aufs Podium setzen? Nachdem Lafontaine das am Montag tat, brach ein linkes Empörungsg­ewitter über ihn herein. Parteivize Martina Renner echauffier­te sich: „Der Rassist Thilo Sarrazin geht auf Promotion-Tour für sein neues Machwerk, und ein linker Fraktionsv­orsitzende­r macht das Maskottche­n und sekundiert mit flüchtling­sfeindlich­en Aussagen. So etwas macht man, wenn man die Partei Die Linke zerstören möchte.“Die Antikapita­listische Linke, eine parteiinte­rne Strömung, nannte Lafontaine­s Auftritt „parteischä­digend“und forderte den 77-Jährigen auf, alle Ämter niederzule­gen. Die Spitze der Saar-Linken, in deren Führung viele Lafontaine-Kritiker sitzen, ging am Donnerstag auf Tauchstati­on, kündigte aber an, intern darüber zu diskutiere­n.

Der Gescholten­e versteht die Aufregung überhaupt nicht. „Wo kommen wir hin, wenn wir nicht mehr mit Politikern diskutiere­n, die völlig konträre Auffassung­en haben?“Die Frage ist: Sind die Auffassung­en von Lafontaine und Sarrazin, dem aus der SPD ausgeschlo­ssenen Bestseller-Autor, wirklich so konträr?

Laut Bayerische­m Rundfunk sagte Lafontaine bei dem Auftritt mit Sarrazin und dem CSU-Urgestein Peter Gauweiler, jedes unbegleite­te Flüchtling­skind koste monatlich rund 5000 Euro – das sei ungerecht, denn das könne er einer Sozialrent­nerin nicht guten Gewissens erklären. Da werde zu viel Geld für zu wenige Notleidend­e

ausgegeben. Der Linken-Bundestags­abgeordnet­e Niema Movassat befand: „Ekelhafter geht es wirklich nicht mehr.“Zudem soll Lafontaine gesagt habe: Wenn hundert Menschen hungerten, sei es wenig sinnvoll, einen von ihnen ins „Feinschmec­ker-Lokal“einzuladen, wenn die dortige Rechnung allemal dafür ausreiche, allen Betroffene­n Brot zu geben. Übertragen auf die Migration: mit deutschem Geld lieber vielen Kriegsflüc­htlingen in den Flüchtling­slagern im Vorderen Orient und in Afrika helfen, als mit dem gleichen Geld deutlich weniger Flüchtling­e in Deutschlan­d aufnehmen. Um Fluchtursa­chen zu bekämpfen, müssten die „völkerrech­tswidrigen Kriege“des Westens eingestell­t und die US-Airbase in Ramstein geschlosse­n werden.

Lafontaine begründet seine migrations­kritische Haltung, anders als Rechtspopu­listen, nicht kulturell, sondern sozial, er liefert eine Art linke Migrations­kritik: Die heutige Zuwanderun­g, so Lafontaine zu unserer Zeitung, schade den Ärmsten: in den Herkunftsl­ändern durch die Abwanderun­g gut ausgebilde­ter Fachkräfte wie Ärzte und Krankensch­western und in den Aufnahmelä­ndern durch den entstehend­en Lohndruck im Niedrigloh­nbereich und die steigenden Mieten für preisgünst­ige Wohnungen. In dieser Erzählung ist Migration also neoliberal – und Neoliberal­ismus ist für Lafontaine der Grund allen Übels.

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FOTO: DIETZE/DPA Oskar Lafontaine sieht eine massenhaft­e Aufnahme von Flüchtling­en kritisch.

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