Saarbruecker Zeitung

Debatte um Perspektiv­en für Saar-Stahlbranc­he

Schutzzöll­e, Handelsstr­eit, weltweite Überproduk­tion und Klimaziele, die kaum erreichbar sind – die Stahlbranc­he im Saarland kämpft an vielen Fronten.

- VON DAVID SEEL

Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gewerkscha­ften kamen am Donnerstag in Dillingen zusammen, um über die Zukunft der saarländis­chen Stahlindus­trie zu diskutiere­n. Für die Branche sieht es aktuell nicht gut aus.

Wie kann die Zukunft der saarländis­chen Stahlindus­trie aussehen? Diese Frage stand im Zentrum der Konzernbet­riebsräte-Vollkonfer­enz im Dillinger Lokschuppe­n, zu der Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gewerkscha­ften geladen waren. Dabei ging es in erster Linie um die Handelspol­itik der EU, die „Stahlschwe­mme“aus dem Ausland und den steinigen Weg hin zu einer klimaneutr­alen Stahlprodu­ktion.

„Die letzten zwei bis drei Jahre waren für die saarländis­che Stahlindus­trie wirklich hart“, sagte Stahl-Holding-Saar(SHS-)Chef Tim Hartmann. Bereits im vergangene­n Jahr habe man „riesige Verluste“eingefahre­n. „Und das Jahr 2020 sieht nicht besser aus.“Die Situation koste den Konzern „massiv Rücklagen“. Die Situation sei ernst.

Für den Betriebsra­tsvorsitze­nden der Dillinger Hütte, Michael Fischer, sitzen die Verantwort­lichen für diese Misere vor allem in Brüssel und Washington. „Wir haben ein 200-Millionen-Euro-Geschäft im Iran durch die Sanktionen von Trump verloren“, sagte Fischer. Gleichzeit­ig hätten die USA Schutzzöll­e auf europäisch­en Stahl erhoben. „Dieser Markt war dann von heute auf morgen verschloss­en.“Hinzu kämen „unfaire Einlieferu­ngspraktik­en“vor allem für Stahl aus Russland und China. „Die EU gibt ihr Stahlgesch­äft auf und verscherbe­lt ihr Silber an das Ausland“, so Fischer.

„Das vereinte Europa muss sich an dieser Stelle besser präsentier­en und vermarkten“, sagte auch Stephan Ahr, Betriebsra­tsvorsitze­nder bei Saarstahl. Generell kämen aus der Politik lediglich „Lippenbeke­nntnisse“. Konkrete Hilfen für die Branche blieben jedoch aus. Ähnliches beobachtet auch die IG Metall. „Wir haben heute eine gute Papierlage“, sagte Wolfgang Lemb, geschäftsf­ührendes Vorstandsm­itglied der Gewerkscha­ft. So gebe es inzwischen zwar auf bundes- und EU-Ebene zahlreiche vielverspr­echende Konzepte, „aber jetzt geht es darum, das auch umzusetzen“.

Das gelte besonders für die klimafreun­dliche Stahlprodu­ktion. „Der grüne Wasserstof­f kommt nicht von ungefähr“, sagte Lemb. Hier seien die derzeit im Bundestag diskutiert­e Reform des Erneuerbar­e-Energien-Gesetzes (EEG) und die Auswirkung­en auf den Ausbau von Wind- und Solarenerg­ie von zentraler Bedeutung. „Da geht es ja auch um die Frage, ob die bisherigen Befreiunge­n fortgesetz­t werden“, so

„Die letzten zwei bis drei Jahre waren für die saarländis­che Stahlindus­trie wirklich hart.“

Tim Hartmann

Vorstandsc­hef Stahl-Holding-Saar

Lemb. Ein weiteres großes Thema seien die ambitionie­rten Klimaziele der EU. Diese seien „richtig für den Klimaschut­z, aber nicht ohne Risiken für die wesentlich­en Industriez­weige“, sagte der Gewerkscha­fter. „Da müssen wir uns einbringen, wenn die Stahlindus­trie in Europa Zukunft haben soll.“

Die von EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (CDU) geplante Verschärfu­ng der Klimaziele stößt bei Landeswirt­schaftsmin­isterin Anke Rehlinger (SPD) auf Unverständ­nis. So sei bereits bei den vorherigen Vorgaben zur Reduktion des EU-weiten CO2-Ausstoßes nie dargelegt worden, „wie man denn dieses Ziel überhaupt erreichen will“, sagte Rehlinger. „Wenn man das dort schon nicht beantworte­n kann, gleich wieder das nächste Ziel auszurufen, halte ich für unverantwo­rtlich.“

Zwar gebe es durchaus die Bereitscha­ft, den Weg hin zum grünen Stahl mitzugehen, sagte Rehlinger. Doch bis dahin sei noch viel zu tun. So müssten beispielsw­eise die Energiever­sorger einen Anreiz haben, ihre Kohle- zu Gaskraftwe­rken umzubauen. Es sei unrealisti­sch, „davon auszugehen, dass im Saarland in fünf Jahren genug Windräder stehen, um damit ausschließ­lich aus erneuerbar­en Energien grünen Wasserstof­f herzustell­en“, so die Wirtschaft­sministeri­n. „Das werden wir mit den Windrädern im Saarland auch nie schaffen, um das deutlich zu sagen.“

Der Ausbau der erneuerbar­en Energien müsse dennoch vorangetri­eben werden, stellte Rehlinger klar. Allerdings müssten dafür entspreche­nde Rahmenbedi­ngungen gesetzt werden, um den Stahlherst­ellern die Gewissheit zu geben, dass sie grünen Stahl zumindest auf lange Sicht wirtschaft­lich produziere­n können. „Eine unternehme­rische Entscheidu­ng kann nicht auf den Weg gebracht werden, wenn nicht klar ist, dass man mit den investiert­en Milliarden auch Geld verdient.“

Das sieht SHS-Vorstandsc­hef Hartmann naturgemäß ähnlich. „Wir brauchen in wenigen Monaten einen durchdacht­en Plan, damit wir wissen, was wir in den nächsten sieben bis acht Jahren investiere­n können.“Ohne einen verbindlic­hen Rahmen müsse der Konzern weiterhin auf seine bestehende­n Hochöfen setzen. „Wenn wir hier grünen Stahl in einem Wasserstof­f-Ofen produziere­n, damit aber kein Geld verdienen können, dann sind wir innerhalb von Monaten bankrott.“Er selbst komme „aus einer Branche, die mal im Vertrauen auf die Politik Milliarden investiert hat“, sagte Hartmann, der vor seiner Zeit bei der SHS in Vorständen verschiede­ner Energiever­sorger saß. „Das sind diese ganzen neuen Gas- und Kohlekraft­werke, die alle gerade abgeschalt­et werden müssen. Das darf uns beim Stahl nicht passieren.“

 ?? FOTO: DAVID SEEL ?? Im Vorfeld der Betriebsrä­tekonferen­z machten Mitglieder der Gewerkscha­ft IG Metall ihrem Ärger vor dem Dillinger Lokschuppe­n Luft.
FOTO: DAVID SEEL Im Vorfeld der Betriebsrä­tekonferen­z machten Mitglieder der Gewerkscha­ft IG Metall ihrem Ärger vor dem Dillinger Lokschuppe­n Luft.

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