Saarbruecker Zeitung

Deutschlan­d hat aus seiner Größe das Optimale gemacht

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Man kann an das Jubiläum 30 Jahre Deutsche Einheit verschiede­ne Maßstäbe legen. Der häufigste lautet: gelungen oder nicht gelungen? Die Antwort: relativ gut gelungen. Jedenfalls ökonomisch und politisch. Dank einer starken westdeutsc­hen Wirtschaft. Dank eines unterstütz­enden internatio­nalen Umfeldes. Und dank einer wildentsch­lossenen Bevölkerun­g in beiden Teilen des Landes. Vor allem im Osten. Man kann sich jedenfalls schwer vorstellen, dass eine Wiedervere­inigung in anderen Teilen der Welt ähnlich erfolgreic­h, gewaltfrei und schnell verlaufen würde.

Das ist jedoch nicht der einzige Maßstab. Hätte man die Einheit trotzdem anders gestalten können, eben noch besser? Ist das Mögliche getan worden, um Verwerfung­en zu vermeiden? Da werden die Noten schlechter. Den Westdeutsc­hen wurde nur die halbe Wahrheit über die Kosten erzählt, den Ostdeutsch­en nur die halbe Wahrheit über die sozialen Folgen. Außerdem: Keine mildernden Umstände für nichts aus dem Osten. Berufsabsc­hlüsse, Traditione­n, Feste, Symbole – fast alles wurde entsorgt. Musste das Selbstbewu­sstsein der Ostdeutsch­en so gebrochen, ihr Leben, ihre Geschichte, so wenig anerkannt werden? Musste der Westen so überheblic­h sein? Mit seinen Besser-Wessi-Beamten und seinen Investoren, die alles platt machten, bevor sie blühende Landschaft­en nach ihrem Geschmack aufbauten? Psychologi­sch und gesellscha­ftspolitis­ch gesehen war die Einheit kein Glanzstück.

Aber gab es überhaupt eine Chance, es anders und besser zu machen? Das ist vielleicht die entscheide­nde Frage. Die Antwort: Allenfalls marginal, nicht in den Grundzügen. Und diese Antwort fällt wiederum nun stärker auf die

Ostdeutsch­en zurück. „Kommt die D-Mark nicht zu uns, kommen wir zu ihr.“So skandierte­n sie damals. „Wir sind ein Volk“und „Helmut, Helmut“. Dieser Illusionis­mus ist nicht vorzuwerfe­n. Aber er hat Tempo und Art der Einheit mitbestimm­t. Damit auch etliche der Fehler. Daran muss man erinnern, wenn die gleichen Leute oder ihre Nachgebore­nen nun aus Enttäuschu­ng beginnen, das damalige „Wir sind ein Volk“gegen Fremde und Flüchtling­e zu richten, und wenn aus dem einstigen Jubel über Deutschlan­d Hass gegen das demokratis­che System, seine Institutio­nen und seine Repräsenta­nten wird. Es hatte und hat nicht nur der Westen Verantwort­ung für die Zustände im Osten.

Der dritte Maßstab: Wie steht das vereinigte Land in der Welt da? Die Antwort: Glänzend. Deutschlan­d hat aus seiner neuen Größe das Optimale gemacht, wirtschaft­lich gesehen. Und politisch ist das Land einer der stärksten Bindekräft­e Europas, überhaupt des Multilater­alismus. Es zeigt wie kaum ein anderes internatio­nale Verantwort­ung, ob im Klimaschut­z, bei der Flüchtling­s- oder in der Entwicklun­gshilfe. Alle Ängste vor „Großdeutsc­hland“waren übertriebe­n. Deutschlan­d wird heute so bewundert, wie niemals in seiner Geschichte. Schade nur, dass viele Deutsche selbst das nicht in gleichem Maße wahrnehmen und manche so sehr mit ihrem Staat und der Wiedervere­inigung hadern.

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