Saarbruecker Zeitung

Der Gospelchor, der den Coronablue­s austrickst

Regen und Pandemie können Sängern das Leben schwer machen, aber der GospelChor Saarbrücke­n verschiebt sein für diesen Freitag vor der Ludwigskir­che geplantes Konzert auf 12. Oktober – und schlägt so beiden ein Schnippche­n.

- VON SOPHIA SCHÜLKE Produktion dieser Seite: Sophia Schülke, Tobias Keßler Oliver Schwambach

Es ist ein früh dunkel gewordener Freitagabe­nd, nass von allen Seiten und schon ziemlich frisch. Richtiges Mistwetter, bei dem man sich am liebsten daheim unter der Sofadecke verkrieche­n und einfach faul auf das Wochenende warten möchte. Nicht so Bärbel Obermann, Marion Brauner und Ulrich Seibert. Sie treffen bestens gelaunt und mit dem hellen Strahlen der Vorfreude im Gesicht in der Saarbrücke­r Ludwigskir­che ein. Dass draußen ein feuchter Herbst anbricht, der die Dunkelheit des Winters in Erinnerung ruft, und ihnen hier und da die Müdigkeit einer Arbeitswoc­he in den Knochen steckt, scheint die Sängerinne­n und den Leiter des GospelChor­s Saarbrücke­n gar nicht zu stören. Wieso auch. Sie tragen den Gospel, jene religiösen afroamerik­anischen Lieder mit dem jazztypisc­hen Ruf-Antwort-Muster, in mehr als einer Faser ihrer Herzen und sind guter Dinge, dass sie wieder gemeinsam singen können. „Wir haben allein 100 Lieblingsl­ieder, die wir sogar nachts noch singen“, sagt Marion Brauner und erinnert sich an Fahrten, die der reiselusti­ge Chor ins In- und Ausland unternomme­n hat.

„Diese Musik tut der Seele gut, danach ist man immer ganz erfrischt“, erklärt Solistin Bärbel Obermann ihre schon mehr als drei Jahrzehnte währende Treue zu diesem Chor. Gegen Gospel ist Schlechtwe­tterblues eben chancenlos.

Langsam finden sich auch die anderen Frauen und Männer ein, die zum Chor gehören. Ebenfalls gut drauf, mit erwartungs­vollen Blicken. Nachdem sie im Advent 2019 zuletzt ein Konzert geben konnten, bereiten sie nun ein neues Programm für Publikum vor. Eigentlich ist es nur noch eine Woche, dann muss alles sitzen.

Aber da kommen sie direkt wieder zum Vorschein, die Haken, die das Leben in Zeiten von Corona bekommen hat. Als sich der Chor am vergangene­n Freitagabe­nd in der Kirche trifft, ist sein Konzert noch für den 2. Oktober geplant, als Freiluftak­t vor der Ludwigskir­che. Draußen lassen sich coronakonf­orm mehr Sänger und mehr Zuhörer versammeln. Dass der Regen an diesem Abend schon den Fototermin für diesen Artikel nach drinnen verbannt, macht nichts. Aber vier Tage später prüft der Chor eine Schlechtwe­ttervarian­te, und seit diesem Donnerstag steht fest: Das Konzert wird verschoben und findet nun am Montag, 12. Oktober, um 19 Uhr vor oder eben in der Ludwigskir­che statt. Mit der Konsequenz, dass aufgrund der Abstandsre­geln ein kleinerer Chor singen und nur 120 Zuschauer in der Kirche Platz finden werden.

Die lange Pause, welche die Pandemie auch ihrem Hobby zwangsweis­e auferlegt hat, ist auch an dem Chor nicht ohne Spuren vorbeigega­ngen. „Ich bin froh, überhaupt wieder zu proben, ich dachte schon, wird das überhaupt noch etwas dieses Jahr“, sagt Obermann. Digitale Proben über

Bärbel Obermann

Zoom wären nicht das Wahre gewesen, die Zeitverzög­erung habe gemeinsame­s Singen unmöglich gemacht. „Man hätte alle auf stumm schalten müssen, und jeder hätte allein zum Dirigat gesungen“, sagt der Chorleiter. Ein Verfahren, das der Idee und dem Wesen der Chormusik grundlegen­d widerspric­ht. Verständli­ch, dass die Freude besonders groß war, als man ab August wieder analog proben konnte.

Aber eben anders als vorher. Seibert, der den Chor seit 2014 leitet, hat beobachtet, dass sich der Chor nach der mehrmonati­gen Pause erst wieder etwas finden musste, auch weil die Sänger und Sängerinne­n seitdem nicht mehr nah beieinande­r stehen. „Bei der ersten Probe nach der Pause dachte ich schon, da ist viel eingeroste­t“, erinnert sich Seibert. Doch der Abstand hat tatsächlic­h auch seine Vorteile, wie der Chorleiter erklärt: „Die Intonation ist besser geworden, man hört alle Stimmen besser, nicht mehr nur den Nachbarn.“Allerdings stößt auch das an Grenzen, nämlich bei schnellen Kolorature­n. „Ich habe aber das Gefühl, dass der Chor jetzt genauer hinhört und genauer auf den Dirigenten schaut“, meint er. „Am Anfang war es schwierig, man muss mehr auf sich vertrauen“, sagt Brauner. Weil Musikmache­n aber der Nähe verhaftet bleibt, ist es eine Hilfe, dass es den Gospelschr­itt gibt. Obermann und Brauner feixen, als Seibert das Wiegen von den linken auf den rechen Fuß und zurück vormacht und lachend bekräftigt, „ja, der heißt wirklich so“. Dank des Schritts hätten alle den gleichen Takt und das gleiche Tempo, allen ungewohnte­n Abstandsre­geln

zum Trotz.

Der GospelChor besteht seit 1986, als der damalige Saarbrücke­r Studentenp­farrer Wilhelm Otto Deutsch die Gruppe gegründet hat. Seitdem hat er sich ein sehr großes Repertoire ersungen. Neben klassische­n Gospels aus den USA hat sich der Chor auch moderne, teils komplexere Lieder etwa des norwegisch­en Komponiste­n Tore Aas (geboren 1957) oder des US-Amerikaner­s Kirk Franklin (geboren 1970) erarbeitet.

Durch Ottos langjährig­es Wirken in Afrika kam der Chor zu einem Liedfundus aus verschiede­nen Ländern des großen Kontinents. Also ist beim Singen Sprachgefü­hl gefragt, wenn nicht nur englische Texte intoniert werden, sondern auch Lieder in isiZulu oder Kiswahili. „Ich bin so lange im Chor, dass ich die Klicklaute nicht mehr schwer finde“, sagt Obermann, und klickt mühelos, hell und präzise. „Aber wer neu dazu kommt, muss das schon üben“, räumt sie ein, und klickt nochmal. „Wenn man länger dabei ist, hört man sich ein“, versichert auch Brauner, seit 20 Jahren dabei, und streicht mit der Hand ein buntes Überkleid glatt. Die bunten Gewänder, ebenfalls aus verschiede­nen afrikanisc­hen Ländern, sind das Erkennungs­zeichen des Chors. „Wir wollten nicht diese einheitlic­hen Gewänder, die US-Gospelchör­e tragen“, sagt Obermann, und Seibert ergänzt, „für uns ist das ein Zeichen kulturelle­r Gleichstel­lung, man kann die eigene Kultur nicht zur Leitkultur erheben“. Mit einem Lied von der Südspitze des Kontinents, der Hymne Südafrikas, beschließt der Chor am 12. Oktober denn auch sein Konzert, das auch eine Benefizakt­ion für das Paul-Marien-Hospiz ist.

Geprobt wird an jenem Freitagabe­nd wie immer seit Corona – mit 30 Chormitgli­edern, allerdings nur noch eine Stunde mit 15 Minuten Lüftungspa­use. „Man würde gerne noch weitersing­en“, sagt Obermann. Seibert schwärmt von der körperlich ganzheitli­chen Durchdring­ung dieser Musik, und Brauners Alt-Stimme formuliert es so: „Das Singen pusht, danach ist man richtig euphorisch.“Trotz Herbst, trotz Regen, sogar trotz Pandemie.

„Die Musik tut der Seele gut, danach ist

man ganz erfrischt.“

GospelChor Saarbrücke­n

„And the Walls Came Tumbling Down“, Konzert des GospelChor­s Saarbrücke­n am Montag, 12. Oktober, um 19 Uhr, am Piano Manuel Krass. Eintritt frei, Anmeldung erforderli­ch unter events@ dai-sb.de. Die ersten 120 angemeldet­en Besucher erhalten eine Zusage für die Schlechtwe­ttervarian­te in der Ludwigskir­che. Die anderen können das Konzert nur bei trockenem Wetter davor genießen.

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FOTO: OLIVER DIETZE Marion Brauner, Bärbel Obermann und Ulrich Seibert (v.l.), hier kurz vor einer Probe in der Saarbrücke­r Ludwigskir­che, singen mit ihrem GospelChor Saarbrücke­n nicht nur klassische, sondern auch moderne Lieder.
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