Der Gospelchor, der den Coronablues austrickst
Regen und Pandemie können Sängern das Leben schwer machen, aber der GospelChor Saarbrücken verschiebt sein für diesen Freitag vor der Ludwigskirche geplantes Konzert auf 12. Oktober – und schlägt so beiden ein Schnippchen.
Es ist ein früh dunkel gewordener Freitagabend, nass von allen Seiten und schon ziemlich frisch. Richtiges Mistwetter, bei dem man sich am liebsten daheim unter der Sofadecke verkriechen und einfach faul auf das Wochenende warten möchte. Nicht so Bärbel Obermann, Marion Brauner und Ulrich Seibert. Sie treffen bestens gelaunt und mit dem hellen Strahlen der Vorfreude im Gesicht in der Saarbrücker Ludwigskirche ein. Dass draußen ein feuchter Herbst anbricht, der die Dunkelheit des Winters in Erinnerung ruft, und ihnen hier und da die Müdigkeit einer Arbeitswoche in den Knochen steckt, scheint die Sängerinnen und den Leiter des GospelChors Saarbrücken gar nicht zu stören. Wieso auch. Sie tragen den Gospel, jene religiösen afroamerikanischen Lieder mit dem jazztypischen Ruf-Antwort-Muster, in mehr als einer Faser ihrer Herzen und sind guter Dinge, dass sie wieder gemeinsam singen können. „Wir haben allein 100 Lieblingslieder, die wir sogar nachts noch singen“, sagt Marion Brauner und erinnert sich an Fahrten, die der reiselustige Chor ins In- und Ausland unternommen hat.
„Diese Musik tut der Seele gut, danach ist man immer ganz erfrischt“, erklärt Solistin Bärbel Obermann ihre schon mehr als drei Jahrzehnte währende Treue zu diesem Chor. Gegen Gospel ist Schlechtwetterblues eben chancenlos.
Langsam finden sich auch die anderen Frauen und Männer ein, die zum Chor gehören. Ebenfalls gut drauf, mit erwartungsvollen Blicken. Nachdem sie im Advent 2019 zuletzt ein Konzert geben konnten, bereiten sie nun ein neues Programm für Publikum vor. Eigentlich ist es nur noch eine Woche, dann muss alles sitzen.
Aber da kommen sie direkt wieder zum Vorschein, die Haken, die das Leben in Zeiten von Corona bekommen hat. Als sich der Chor am vergangenen Freitagabend in der Kirche trifft, ist sein Konzert noch für den 2. Oktober geplant, als Freiluftakt vor der Ludwigskirche. Draußen lassen sich coronakonform mehr Sänger und mehr Zuhörer versammeln. Dass der Regen an diesem Abend schon den Fototermin für diesen Artikel nach drinnen verbannt, macht nichts. Aber vier Tage später prüft der Chor eine Schlechtwettervariante, und seit diesem Donnerstag steht fest: Das Konzert wird verschoben und findet nun am Montag, 12. Oktober, um 19 Uhr vor oder eben in der Ludwigskirche statt. Mit der Konsequenz, dass aufgrund der Abstandsregeln ein kleinerer Chor singen und nur 120 Zuschauer in der Kirche Platz finden werden.
Die lange Pause, welche die Pandemie auch ihrem Hobby zwangsweise auferlegt hat, ist auch an dem Chor nicht ohne Spuren vorbeigegangen. „Ich bin froh, überhaupt wieder zu proben, ich dachte schon, wird das überhaupt noch etwas dieses Jahr“, sagt Obermann. Digitale Proben über
Bärbel Obermann
Zoom wären nicht das Wahre gewesen, die Zeitverzögerung habe gemeinsames Singen unmöglich gemacht. „Man hätte alle auf stumm schalten müssen, und jeder hätte allein zum Dirigat gesungen“, sagt der Chorleiter. Ein Verfahren, das der Idee und dem Wesen der Chormusik grundlegend widerspricht. Verständlich, dass die Freude besonders groß war, als man ab August wieder analog proben konnte.
Aber eben anders als vorher. Seibert, der den Chor seit 2014 leitet, hat beobachtet, dass sich der Chor nach der mehrmonatigen Pause erst wieder etwas finden musste, auch weil die Sänger und Sängerinnen seitdem nicht mehr nah beieinander stehen. „Bei der ersten Probe nach der Pause dachte ich schon, da ist viel eingerostet“, erinnert sich Seibert. Doch der Abstand hat tatsächlich auch seine Vorteile, wie der Chorleiter erklärt: „Die Intonation ist besser geworden, man hört alle Stimmen besser, nicht mehr nur den Nachbarn.“Allerdings stößt auch das an Grenzen, nämlich bei schnellen Koloraturen. „Ich habe aber das Gefühl, dass der Chor jetzt genauer hinhört und genauer auf den Dirigenten schaut“, meint er. „Am Anfang war es schwierig, man muss mehr auf sich vertrauen“, sagt Brauner. Weil Musikmachen aber der Nähe verhaftet bleibt, ist es eine Hilfe, dass es den Gospelschritt gibt. Obermann und Brauner feixen, als Seibert das Wiegen von den linken auf den rechen Fuß und zurück vormacht und lachend bekräftigt, „ja, der heißt wirklich so“. Dank des Schritts hätten alle den gleichen Takt und das gleiche Tempo, allen ungewohnten Abstandsregeln
zum Trotz.
Der GospelChor besteht seit 1986, als der damalige Saarbrücker Studentenpfarrer Wilhelm Otto Deutsch die Gruppe gegründet hat. Seitdem hat er sich ein sehr großes Repertoire ersungen. Neben klassischen Gospels aus den USA hat sich der Chor auch moderne, teils komplexere Lieder etwa des norwegischen Komponisten Tore Aas (geboren 1957) oder des US-Amerikaners Kirk Franklin (geboren 1970) erarbeitet.
Durch Ottos langjähriges Wirken in Afrika kam der Chor zu einem Liedfundus aus verschiedenen Ländern des großen Kontinents. Also ist beim Singen Sprachgefühl gefragt, wenn nicht nur englische Texte intoniert werden, sondern auch Lieder in isiZulu oder Kiswahili. „Ich bin so lange im Chor, dass ich die Klicklaute nicht mehr schwer finde“, sagt Obermann, und klickt mühelos, hell und präzise. „Aber wer neu dazu kommt, muss das schon üben“, räumt sie ein, und klickt nochmal. „Wenn man länger dabei ist, hört man sich ein“, versichert auch Brauner, seit 20 Jahren dabei, und streicht mit der Hand ein buntes Überkleid glatt. Die bunten Gewänder, ebenfalls aus verschiedenen afrikanischen Ländern, sind das Erkennungszeichen des Chors. „Wir wollten nicht diese einheitlichen Gewänder, die US-Gospelchöre tragen“, sagt Obermann, und Seibert ergänzt, „für uns ist das ein Zeichen kultureller Gleichstellung, man kann die eigene Kultur nicht zur Leitkultur erheben“. Mit einem Lied von der Südspitze des Kontinents, der Hymne Südafrikas, beschließt der Chor am 12. Oktober denn auch sein Konzert, das auch eine Benefizaktion für das Paul-Marien-Hospiz ist.
Geprobt wird an jenem Freitagabend wie immer seit Corona – mit 30 Chormitgliedern, allerdings nur noch eine Stunde mit 15 Minuten Lüftungspause. „Man würde gerne noch weitersingen“, sagt Obermann. Seibert schwärmt von der körperlich ganzheitlichen Durchdringung dieser Musik, und Brauners Alt-Stimme formuliert es so: „Das Singen pusht, danach ist man richtig euphorisch.“Trotz Herbst, trotz Regen, sogar trotz Pandemie.
„Die Musik tut der Seele gut, danach ist
man ganz erfrischt.“
GospelChor Saarbrücken
„And the Walls Came Tumbling Down“, Konzert des GospelChors Saarbrücken am Montag, 12. Oktober, um 19 Uhr, am Piano Manuel Krass. Eintritt frei, Anmeldung erforderlich unter events@ dai-sb.de. Die ersten 120 angemeldeten Besucher erhalten eine Zusage für die Schlechtwettervariante in der Ludwigskirche. Die anderen können das Konzert nur bei trockenem Wetter davor genießen.