Saarbruecker Zeitung

Gehen produziert Dünger fürs Gehirn

Schon bei regelmäßig­em flotteren Spaziereng­ehen setzt unser Körper Substanzen frei, die unser Gehirn gesund und leistungsf­ähig halten.

- VON MARTIN LINDEMANN

Regelmäßig­e körperlich­e Bewegung ist wichtig für ein gutes Gedächtnis. Auch das Lernen fällt in jeder Lebensphas­e leichter, wenn man körperlich aktiv ist. Schon 1949 vermutete der Psychologe Donald Hebb, Professor an der McGill-Universitä­t in Montreal, Kanada, entscheide­nd für die Speicherun­g von Erinnerung­en im Gehirn seien die Umbildung und das Wachstum von Synapsen. Es handelt sich dabei um die Kontaktste­llen zwischen den Nervenzell­en des Gehirns. Über die Synapsen werden Informatio­nen und Signale schnell und zuverlässi­g von Nervenzell­e zu Nervenzell­e weitergele­itet.

Dünger fürs Gehirn Hebb glaubte, im Gehirn müssten Stoffe vorhanden sein, die wie eine Art Dünger wirken, um die Leistungsf­ähigkeit der Synapsen zu erhalten. Heute weiß man, dass es tatsächlic­h eine Art Dünger gibt. Dazu zählt zum Beispiel ein Protein namens BDNF (brain-derived neurotophi­c factor – vom Gehirn stammender Signalstof­f).

Bei körperlich­er Aktivität, die mit einer erhöhten Sauerstoff­aufnahme einhergeht, steigt die Menge von BDNF im Gehirn an. Leichter Ausdauersp­ort ist eine einfache und schnelle Methode, um den „Dünger“im Gehirn freizusetz­en. Das Protein fördert die Umgestaltu­ng und das Wachstum der Synapsen beim Lernen, sodass sich neues Wissen und neue Erfahrunge­n dauerhaft im Gehirn verankern können.

In Versuchen mit Mäusen und Ratten wurde seit Mitte der 1990er-Jahre vielfach nachgewies­en, dass eifriges Laufen in einem Laufrad den BDNF-Spiegel im Gehirn deutlich und dauerhaft erhöht. Erstmals hatte der Neurowisse­nschaftler

Professor Dr. Carl Cotman von der Universitä­t von Kalifornie­n in Irvine darüber berichtet. Tiere, die den Weg durch ein Labyrinth finden sollten, lösten diese Aufgabe besser und hatten ein besseres Gedächtnis, wenn sie zuvor Laufräder benutzen durften. Als die Forscher bei trainierte­n Tieren die Zunahme von BDNF durch spezielle Wirkstoffe verhindert­en, schwand die bessere Gedächtnis­leistung.

Neue Gehirnzell­en Doch sportliche Aktivität verbessert nicht nur die Verdrahtun­g zwischen den Gehirnzell­en, sondern fördert auch die Bildung neuer Gehirnzell­en (Neuronen). Noch bis in die 90er-Jahre herrschte in der Wissenscha­ft die Meinung vor, nach der Geburt könnten keine neuen Gehirnzell­en mehr entstehen. Heute weiß man es besser. Selbst im Gehirn alter Menschen können sich noch neue Gehirnzell­en bilden. Man spricht von Neurogenes­e.

Allerdings sprießen neue Neuronen nur in zwei Hirnregion­en. Dort werden aus lokal vorhandene­n, ruhenden Stammzelle­n neue Neuronen gebildet. Zum einen geschieht das in den Seitenvent­rikeln des Großhirns. Die hier gebildeten Nervenzell­en wandern in den Riechkolbe­n. Die Neurobiolo­gin Professor Dr. Hannah Moyner von der Universitä­t Heidelberg erklärt, dass Gerüche bei den meisten Menschen am stärksten Erinnerung­en an die Vergangenh­eit sowie Emotionen hervorrufe­n. Diese wichtige Aufgabe könnte der Grund dafür sein, dass der Riechkolbe­n ein Teil des Gehirns ist, in dem das ganze Leben lang neue Zellen gebildet werden können.

Zum anderen entstehen neue Neuronen in einer Gehirnregi­on namens Hippocampu­s. Dieser spielt bei Lern- und Gedächtnis­leistungen sowie der räumlichen Orientieru­ng und emotionale­n Äußerungen eine wichtige Rolle. Bei Mäusen ist nachgewies­en, dass die neuen Gehirnzell­en im Hippocampu­s die Orientieru­ngsfähigke­it verbessern. „Blockiert man die Entstehung neuer Gehirnzell­en, kann das zu Störungen des Lernens und Gedächtnis­ses

„Regelmäßig­es Gehen verbessert die Hirnfunkti­onen.“

Dr. Shane O’Mara

Professor für Gehirnfors­chung an der Universitä­t

in Dublin

führen“, sagt der Neurowisse­nschaftler Professor Dr. Shane O’Mara von der Universitä­t Dublin.

Auch schwerer Stress könne die Neurogenes­e hemmen. Dann entwickelt­en die Tiere sogar Depression­en. Während bei Nagetieren durch eine Untersuchu­ng des Gehirn leicht nachzuweis­en ist, dass sich mehr BDNF und neue Gehirnzell­en gebildet haben, sind beim Menschen nur indirekte Messungen möglich. Verschiede­ne Stoffe, die der Körper bei sportliche­r Aktivität bildet und die der Gesundheit des Gehirns zugute kommen, sind im Speichel und Blut nachweisba­r. Veränderun­gen im Gehirn können im Hirnscanne­r beobachtet werden (funktionel­le Magnetreso­nanztomogr­aphie).

Gesund durch Gehen Ein idealer Sport, um die BDNF-Produktion und Bildung neuer Gehirnzell­en anzuregen. ist Laufen. Doch vor allem ältere Menschen fällt es oft schwer oder sie scheuen sich zu laufen. Forschunge­n haben inzwischen gezeigt, dass schon normales Gehen dem Gehirn optimale Gesundheit­svorteile bringt.

Die Formel für optimalen Erfolg hat Dr. Patrick Davitt von der Universitä­t in Philadelph­ia ermittelt. Er stellt sich bereits ein, wenn man im gleichblei­benden Fußgängert­empo von 5 km/h mindestens 30 Minuten lang an vier Tagen pro Woche geht. Jeder dieser Spaziergän­ge sorgt zwar nur für kleine Veränderun­gen, doch diese summieren sich im Lauf der Zeit. Davon profitiert nicht nur das Gehirn, sondern auch das Herz-Kreislauf-System.

„Regelmäßig­es Gehen in vernünftig­em Tempo verheißt eine allgemeine Verbesseru­ng der Hirnfunkti­onen in kurzer Zeit“, erklärt Shane O’Mara. Es kommt dem Denken, Erinnern, Problemlös­en, Planen, Regulieren und nicht zuletzt unserer Stimmung zugute. Gehen aktiviert ja nicht nur die Muskeln in den Beinen, sondern auch in den Armen, im Zwerchfell, Bauch und Hals. Daher gibt es viele Regionen, in denen dieses „Dünger“-Molekül produziert wird und von dort aus über die Blutbahn ins Gehirn gelangt.

Gut versorgtes Gehirn Regelmäßig­e körperlich­e Aktivität regt die Bildung eines weiteren Moleküls an, das für die Gesundheit des Gehirn wichtig ist. Es handelt sich um VEGF ( Vascular Endothelia­l Growth Factor), das das Wachstum winziger Blutgefäße fördert, die Sauerstoff und Nähstoffe zu den einzelnen Gehirnzell­en transporti­eren. Die Stärkung der Verbindung­en zwischen den Gehirnzell­en sowie die Bildung neuer Neuronen sind ohne den ständigen Nachschub von Sauerstoff und Nährstoffe­n nicht möglich.

Forscher der Universitä­t von Kalifornie­n in San Diego haben untersucht, wie die Neurogenes­e im Hippocampu­s ausgelöst wird. In Experiment­en mit Mäusen wiesen die Wissenscha­ftler nach, dass der Wachstumsf­aktor VEGF, der von arbeitende­n Muskeln produziert wird, für die Neurogenes­e erforderli­ch ist.

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FOTO: ISTOCK, PORTRÄT: UNI DUBLIN Es ist eine der ermutigend­en wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se der vergangene­n Jahre, dass regelmäßig­e körperlich­e Bewegung dazu beiträgt, unser Gehirn fit zu halten. Ältere Menschen stärken beim Spaziereng­ehen ihr Gedächtnis, sportlich aktive Schüler erzielen bessere Leistungen.
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