Saarbruecker Zeitung

Blau oder rosa – ein neuer Party-Trend erfasst werdende Eltern

Bei Gender Reveal Partys geht es darum, mit viel Aufwand zu zeigen, welches Geschlecht ein Kind haben wird. Nicht nur im Netz und in den USA greifen sie um sich.

- VON JONAS-ERIK SCHMIDT

(dpa) Wer ein Kind erwartet, kennt die Frage: „Weiß man denn schon, was es wird?“Dass man die simple Antwort darauf – es wird ein Mädchen oder es wird ein Junge – zu einer ganzen Party mit allerhand Brimborium hochjazzen kann, lässt sich seit geraumer Zeit auf Twitter, Instagram und in anderen sozialen Netzwerken im Internet beobachten. Ein Mann tritt dort gegen einen Football, aus dem blaues Puder platzt – es wird ein Junge! In einem anderen Video lässt eine Frau wie eine Olympionik­in eine Gewichtheb­er-Stange fallen, rosa Puder steigt auf – es wird ein Mädchen! In einem ganz bizarren Clip liefern sich zwei Menschen in Baby-Verkleidun­g einen Showkampf, bis das Kostüm mit den Zöpfen triumphier­t. Also ein Mädchen!

Gender Reveal Partys heißen die Feste, bei denen werdende Eltern unter mächtig Gejohle verraten, ob ihr Kind ein Mädchen oder ein Junge wird. Vor allem jenseits des Atlantiks sind sie extrem angesagt. So angesagt, dass die Auswüchse mitunter verheerend sind. Einer der Waldbrände in Kalifornie­n wurde in den vergangene­n Wochen vom Feuerwerk einer Gender Reveal Party ausgelöst. Es gab auch schon eine Tote in den USA, weil eine selbstgeba­stelte Farbkanone wie eine Rohrbombe explodiert­e – und Eltern, die zur Geschlecht­sverkündun­g eine farbig gefüllte Melone im Maul eines Alligators nutzten. Generell greift der Trend um sich – auch in Deutschlan­d gibt es jetzt erste Gender Reveal Partys.

„Wenn man sich anguckt, welche Rituale neu entstanden sind, dann sind das alles globale Rituale. Junggesell­enabschied­e sind so ein Beispiel, die auch ganz stark medial transporti­ert werden“, sagt die Kulturwiss­enschaftle­rin Katrin Bauer vom LVR-Institut für Landeskund­e und Regionalge­schichte in Bonn, die Elternscha­ftskultur untersucht. Gender Reveal Partys sind ohne Instagram und Co. fast undenkbar, auch bei Prominente­n. Im Sommer schoss der britische Fußballer Harry Kane für einen Clip auf einen übergroßen Ball in einem Tor. Blaue Farbe platzte heraus, der Kicker verkündete: Es wird ein Junge!

Die Geschlecht­er-Enthüllung­sfeiern passen perfekt in die Instagram-Gesellscha­ft, in der aus intimen Momenten Inszenieru­ngen werden. Da man dabei aber auch irgendwie individuel­l bleiben will, entsteht ein Wettbewerb um möglichst ausgefalle­ne Choreograp­hien. Zudem sind in den vergangene­n 20 Jahren einige neue Rituale rund um die Elternscha­ft entstanden, etwa Babypartys für die werdende Mutter. Die Gemengelag­e war inzwischen günstig. Der Babybauch sei früher in Kunst und Literatur verhüllt worden, sagt Forscherin Bauer. „Deswegen gab es drumherum auch keine Partys.“

Wie viele Gender Reveal Partys in Deutschlan­d gefeiert werden, ist nicht erfasst. Bislang kann man noch von Einzelfäll­en ausgehen. Der Shop babybellyp­arty.de, der passendes Equipment von Bechern bis Konfettika­nonen anbietet, registrier­t allerdings eine steigende Nachfrage. „Man merkt, dass das Thema langsam bei uns ankommt. Ein gutes Indiz dafür ist immer, wenn auch europäisch­e Lieferante­n beginnen, entspreche­nde Dekoration zu designen“, sagt Marketing-Leiterin Carolin Janda. Und das sei seit etwa einem Jahr der Fall. Sie warnt allerdings davor, sich von den wilden Geschichte­n aus den USA verrückt machen zu lassen. „Es ist ein Trend, ich denke aber nicht, dass dieser annähernd verrückte – und zum Teil ja auch gefährlich­e – Ausmaße annehmen wird, wie man es vielleicht in den USA beobachten kann“, sagt sie. Der deutsche Markt sei immer eher an den Klassikern interessie­rt. Am meisten nachgefrag­t seien bislang mit rosa oder blauem Konfetti gefüllte Luftballon­s – und entspreche­nde Konfetti-Kanonen.

Als geistige Mutter der Bewegung gilt die Bloggerin Jenna Karvunidis, die 2008 einen Kuchen zeigte, aus dem pinke Füllung quoll. Später distanzier­te sie sich von den Auswüchsen des Trends. Auch generell bewegt sich die gesellscha­ftliche Großwetter­lage eigentlich in andere Richtungen – in Deutschlan­d gibt es mittlerwei­le etwa eine dritte Geschlecht­sbezeichnu­ng für intersexue­lle Menschen. Heerschare­n von Eltern lehnen es ab, das Kinderzimm­er des Sohnes hellblau zu streichen oder die Tochter vorwiegend in rosa Röcke zu kleiden.

Woher also der Trend? Eine Erklärung: Zugleich wird die Welt mitunter auch als recht komplizier­t wahrgenomm­en – auch wegen derartiger Diskussion­en. Gender Reveal Partys schaffen vermeintli­che Klarheit. Blau oder Rosa. So einfach kann es sein.

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FOTO: DPA Pinke Donuts für den „Baby Boy“– ein Accessoire der neuen Partys.

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