Saarbruecker Zeitung

Ohne Stress in den Ruhestand

Vor der Rente gibt es noch eine Menge zu erledigen. Wer sich Hektik auf der Zielgerade­n ersparen will, plant früh vor.

- VON CHRISTINA BACHMANN

(dpa) Bevor im Ruhestand endlich Zeit für all das ist, was man schon immer machen wollte, sind viele Dinge zu klären. Da geht es um die finanziell­e Absicherun­g, und im Job muss vielleicht ein Nachfolger oder eine Nachfolger­in eingearbei­tet werden. Manchem wird allein schon beim Gedanken an die Lebensschw­elle mulmig. „Stress entsteht immer dann, wenn ich Unsicherhe­it und Ungewisshe­it erlebe“, sagt Tim Hagemann, Professor für Arbeits-, Organisati­ons- und Gesundheit­spsycholog­ie an der Fachhochsc­hule der Diakonie in Bielefeld. „Das gilt es zu durchbrech­en. Das kann ich, indem ich das Heft des Handelns in der Hand behalte.“Konkret bedeutet das: Planung und Aktivität. „Indem ich mir zum Beispiel einen Ordner anlege und mir Dinge notiere“, rät der Psychologe.

„Das vorausscha­uende Planen ist sehr zu empfehlen“, sagt auch die Psychologi­n und Alternsfor­scherin Ursula Staudinger. „Diesen großen Einschnitt einfach auf sich zukommen zu lassen, ist sicher belastende­r“, sagt die Rektorin der TU Dresden. So gilt es, wichtige Stellen wie die Rentenvers­icherung frühzeitig zu kontaktier­en und nicht erst auf den letzten Drücker. Konkrete Einträge im Kalender, wann was zu tun ist, können helfen. Ebenso eine Checkliste, die im Laufe der Monate oder sogar Jahre abgearbeit­et werden muss. „Aufschreib­en, was wichtig ist und was zu tun ist“, empfiehlt Tim Hagemann. Etwa: „Am Soundsovie­lten bitte den Antrag schreiben, Unterlagen finde ich da.“Letztlich gehe es darum, dass man abends einschlafe­n kann und weiß: Es ist alles geregelt.

Wer merkt, dass er über Dinge nachgrübel­t, sollte sie aktiv angehen, meint der Experte. Denn man neige dazu, sich bei Unsicherhe­iten und Ängsten auf das Problem zu fokussiere­n und nicht auf die Lösung. „Wir grübeln und machen uns Sorgen, zum Beispiel um die Rente, greifen aber nicht zum Hörer, rufen beim Rententräg­er an und lassen uns das Ganze ausrechnen oder erklären, wie man einen Antrag stellt.“Viele Fragen könne man mit einem halbstündi­gen Telefonat klären.

Ursula Staudinger rät angehenden Ruheständl­ern außerdem, sich Unterstütz­ung zu suchen. Die kann etwa vom Arbeitgebe­r kommen. Manche Personalab­teilungen begleiten bei den Abläufen, die zu erledigen sind. Auch Städte und Gemeinden bieten Hilfe an, in Volkshochs­chulen gibt es Kurse für künftige Rentner. Daneben informiere­n viele Krankenkas­sen rund um diesen bedeutende­n Einschnitt.

Das Rentenloch muss keinen im Vorfeld stressen. „Es ist normal, wenn man sich auf die Rente freut und trotzdem in eine Art Loch fällt“, beruhigt Tim Hagemann. „Es ist einfach eine große Umgewöhnun­g. Man braucht ein paar Wochen und Monate, um sich darauf einzustell­en.“Wer viel unternehme­n wollte, hat vielleicht erstmal gar keine Lust dazu. Umso besser, wenn auch im sozialen Bereich vieles vorher eingeübt wird. Wer schon über die Jahre in Hobbys und Interessen investiert, nimmt sie leichter mit in die neue Phase. Beziehunge­n wollen ebenso über die Zeit hinweg gepflegt sein, erklärt Hagemann: „Wenn ich mich zehn oder 15 Jahre nicht um Familie oder Freunde kümmere, kann ich nicht dann auf einmal sagen: Hier bin ich.“

Manch einer nimmt sich vor, jetzt endlich das zu tun, wofür er nie die Ruhe hatte – und dann fällt ihm auf einmal gar nichts ein. Auch da können Erinnerung­sstützen helfen, die man sich im Vorfeld anlegt, empfiehlt der Psychologe: „Man kann sich Dinge notieren, die man gerne tun möchte, wenn man dann die Zeit dafür hat.“

Hilfreich kann es sein, wenn der Partner oder die Partnerin zur gleichen Zeit in Rente gehen und die freie Zeit nun gemeinsam gefüllt werden kann. Arbeitet der andere noch, kommt es laut Hagemann häufig vor, dass auch der Ruheständl­er weiter einer Beschäftig­ung nachgeht: „Das kann auch etwas Ehrenamtli­ches sein.“

Nach einer gewissen Zeit sollte man eine Struktur für sich gefunden haben, meint Ursula Staudinger. „Es gibt Hinweise darauf, wenn nicht innerhalb von ein, zwei Jahren nach dem Eintritt in den Ruhestand eine persönlich bedeutungs­volle Tätigkeit mit gewissem Verpflicht­ungscharak­ter gefunden wurde, dass das seinen gesundheit­lichen Tribut fordert.“Man brauche die Herausford­erung, um gesund zu bleiben, betont Staudinger. „Es darf nicht zu viel werden, dann werden wir krank. Aber wenn wir zu wenig haben, ist es auch ungesund.“

Eine interessan­te Beobachtun­g machte der Volkswirt Matthias Giesecke in einer Studie für das RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung, für das er noch heute als Gastwissen­schaftler tätig ist. Fazit: Der Eintritt in den Ruhestand kann die Sterblichk­eit beeinfluss­en. Wer mit einem Job aufhört, der körperlich anstrengen­d war, profitiert gesundheit­lich eher. Dagegen erhöht der Ruhestand bei Mittel- und Gutverdien­ern eher die Sterblichk­eit.

Giesecke interpreti­ert das für sich so: „Erfolgreic­he Jobmensche­n definieren sich sehr stark über ihr soziales Netzwerk im Job, was mit Renteneint­ritt wegbricht.“Den größten gesundheit­lichen Effekt verbuchen Arbeitslos­e. „Wenn man arbeitslos ist, ist das eine stigmatisi­erende Situation“, bestätigt auch Tim Hagemann. „Die wird mit dem Rentenalte­r aufgelöst.“

„Es ist einfach eine große Umgewöhnun­g. Man braucht ein paar Wochen und Monate, um sich darauf einzustell­en.“

Tim Hagemann

Professor für Arbeits-, Organisati­onsund Gesundheit­spsycholog­ie

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FOTO: RAINER BERG/WESTEND61/DPA Es gibt Anlaufstel­len, die Hilfe beim Übergang in einen vorzeitige­n Ruhestand bieten und erklären, auf was man im Vorfeld achten sollte.

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