Saarbruecker Zeitung

Sie erlebte das Leid und gab anderen Kraft

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Maria Cymmor.

- VON CORNELIA JUNG stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorben­er vor. Online unter saarbrueck­er-zeitung.de/lebenswege

In diesem Jahr jährte sich der Todestag von Maria Theresia Cymmor zum zehnten Mal – für die Familie der richtige Zeitpunkt, um über deren ereignisre­iches Leben zu sprechen.

Sie wurde im Juli 1914 als erstes von neun Kindern der Eheleute Peter Terentius und Anna Margaretha Wälder in Stennweile­r geboren. Ihr Vater, von Beruf Bergmann und Bauer, stammte aus Mainzweile­r und zog nach der Heirat mit seiner Frau Anna in deren Elternhaus in das Dorf, das heute zur Gemeinde Schiffweil­er gehört. 1937 heiratete Maria Wälder Walter Theodor Cymmor, einen Bergmann, mit dem sie nach Hüttigweil­er zog, wo sie die beiden Söhne, Alois Peter 1938 und 1942 Anton Walter, zur Welt brachte.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde der Ehemann eingezogen, aber wieder aus dem Wehrdienst

entlassen, da die Bergleute in den Saargruben knapp wurden. Das war 1942. Kurz zuvor, am 1. Dezember 1941, ereilte Maria Cymmor mit dem Tod ihres 21-jährigen Bruders Willi, der in Russland fiel, ein erster Schicksals­schlag. Walter Cymmor erkrankte 1944 an Tuberkulos­e, die nicht heilen wollte, so dass er im August 1945 im Alter von nur 31 Jahren seiner Krankheit erlag. Im Fränkische­n, wohin das Sonnenberg-Klinikum verlagert wurde, ist er auf einem Ehrenfried­hof bestattet.

Bis Mitte der 50er-Jahre stritt seine Ehefrau mit dem Versorgung­samt um eine Anerkennun­g dieses Todes als Spätfolge einer Erkrankung aus seiner Zeit bei der Wehrmacht und die damit verbundene Gewährung einer Hinterblie­benenverso­rgung. Alle Anträge wurden abgelehnt, weshalb Maria Cymmor in dieser schwierige­n Zeit auf sich allein gestellt war. Deshalb zog sie mit ihren Söhnen zurück nach Stennweile­r, zuerst in eine Mietwohnun­g, später ins Elternhaus, wo sie Unterstütz­ung bei ihrer Familie fand. Mit dem Austragen von Zeitungen und der Mithilfe bei einem Bauern besserte sie ihre kleine Witwenrent­e auf.

Aber auch in der Familie wurde ihre helfende Hand gebraucht – nicht nur bei der Kindererzi­ehung der Söhne. So pflegte sie ihren Onkel Nikolaus Limbach, der 1948 starb, und später versorgte sie ihre Eltern bis zu deren Tod 1956 sowie 1966. Im Februar 1972 kam dann für Maria Cymmor mit dem Tod ihres Jüngsten der nächste Schicksals­schlag. Toni, der seit einiger Zeit in Neuenburg lebte, erkrankte an einem offenen Magengesch­wür und verstarb daran in Freiburg. Er wurde nur 30 Jahre alt. Seine Beisetzung fand in Stennweile­r unter großer Anteilnahm­e statt, zumal er beim dortigen SV auch Mitglied der Meisterman­nschaft von 1960 war und damit Fußballges­chichte geschriebe­n hatte.

Sein älterer Bruder, Samy gerufen, hatte sich dem Motorradsp­ort verschrieb­en. Er war ein Draufgänge­r-Typ, fuhr Motorrad- und später auch Autorennen. Als Lkw-Fahrer arbeitete er für eine Autotransp­ort-Spedition. Mit einem solchen vollbelade­nen Transporte­r verunglück­te der damals 38-Jährige im Mai 1976 tödlich, als er im Elsass frontal mit einem Holztransp­orter zusammenst­ieß. Nun hatte Maria alles verloren, ihre Familie war ausgelösch­t. Aber trotzdem verließ sie der Lebensmut nie, wie ihr Neffe Markus Wälder und Nichte Irene Christmann bei einem Treffen im „Cafe Maria“in Stennweile­r, das nach ihrer Tante benannt ist, erzählen.

Am Tisch sitzen noch mehr Verwandte und Bekannte von Maria Cymmor, die sich alle gern an sie erinnern. „Sie war der positivste Mensch, den ich je kennengele­rnt habe“, sagt Katja Decker, ein ehemaliges Nachbarski­nd, „in Situatione­n, wo jeder von uns schon die Decke über den Kopf gezogen hätte, hat sie noch ein Lied draus gemacht.“Eine Legende sei sie gewesen, ein liebenswer­ter Mensch, der alle im Dorf kannte. Sie war und ist dort so bekannt wie der sprichwört­liche bunte Hund. Sie verfolgte mit Interesse

die Entwicklun­g ihrer Umgebung, nahm aktiv am Dorfgesche­hen teil und kannte jeden Stammbaum. Der Satz „Do muss ich mol es Maria frohe“oder „das wäs ich net, am bäschte frohscht de mol es Maria“zeugen von ihrer guten Kenntnis Stennweile­rs und ihrem phänomenal­en Erinnerung­svermögen. „Sie konnte sich Gedichte mit mehr als 20 Strophen merken“, wirft dann auch jemand in die Runde.

Maria Cymmor war ein Vorbild für viele, denn obwohl ihr das Leben übel mitgespiel­t hatte, verfiel sie nicht in Depression­en. Im Gegenteil, sie war lebensbeja­hend, zufrieden, hat nie gejammert, war bescheiden, gemütlich, Lieblingso­ma und Herzensmen­sch, sehr sozial und verschenkt­e noch gern von dem wenigen, was sie selbst hatte. Dafür wurde sie sehr geschätzt.

Bei der Fastnacht war die lebenslust­ige Maria immer dabei. Und da, wo gesungen wurde, denn das war ihre Leidenscha­ft, ob im Singkreis oder Kirchencho­r. Der „Bajazzo“war ihr Lieblingsl­ied. Selbst im Ottweiler Altenheim, wohin sie nach einem Sturz Ende 2008 kam und wo sie sich „wie im Urlaub“gefühlt habe, hatte sie immer ein Lied auf den Lippen. Gern war sie unter Leuten, genoss die Gemeinscha­ft. Nie war sie einsam, obwohl sie allein war. 2010 starb sie kurz vor ihrem 96. Geburtstag.

Selbst im hohen Alter war sie noch so gesellig, „dass sie, wäre sie heute hier, noch bis tief in die Nacht die Leute unterhalte­n und als Letzte das Licht ausmachen würde“, erinnert sich Katja Decker lachend. Trotz vieler Tiefen im Leben haderte Maria Cymmor, die von einer Nachbarin als „Engel auf Erden“beschriebe­n wird, nicht mit Gott und gab anderen Kraft – auch mit ihrem herzhaften Lachen und ihrer Authentizi­tät.

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FOTOS: FAMILIENAL­BUM Das Hochzeitsp­aar Maria und Walter Cymmor 1937
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Trotz unfassbar vieler Schicksals­schläge blieb Maria Cymmor (hier 2007) ein positiver Mensch, der gern lachte.

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