Jegliche Schadenfreude ist jetzt fehl am Platz
Das Virus hat Donald Trump erwischt. Seit Freitag liegt er in einem Militärkrankenhaus in Bethesda, einem Vorort von Washington. Mit seinen 74 Jahren und seinem Übergewicht gehört er zur Risikogruppe der stark Gefährdeten, was eben auch dazu beiträgt, dass die Sorge um seinen Zustand akut ist. Trump hat monatelang in einer Blase gelebt, und diese Blase ist nun geplatzt. Ein Freund „alternativer Fakten“, der Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen säte, um ihnen eigene Wunschbilder entgegenzusetzen, ist auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet. Mehr als sieben Millionen Amerikaner sind seit Februar positiv auf das Coronavirus getestet worden. Mehr als 200 000 starben. Doch aus Sicht des Präsidenten war die Pandemie vor allem eines: ein Störfaktor, der seine Wiederwahl gefährdete.
Folglich prophezeite er im Februar, dass Sars-CoV-2 im April wie durch ein Wunder verschwinden würde. Den erfahrenen Virologen Anthony Fauci, der die raue Wirklichkeit so komplex beschrieb, wie sie ist, ließ er bei seinen Corona-Pressekonferenzen bald nicht mehr zu Wort kommen. Dann folgten die betont optimistischen Impfstoff-Szenarien, nach denen schon im Oktober, kurz vor dem Votum im November, ein Vakzin zur Verfügung stehen werde.
Doch medizinische Durchbrüche halten sich nicht an Wahlkalender. Also tat Trump so, als sei die Pandemie kein Thema mehr. In den Augen seiner Anhänger war die Seuche im Grunde schon Geschichte, aufgebauscht von den Demokraten, die den Leuten angeblich nur Angst einjagen wollen, damit sie den Amtsinhaber abwählen. Irgendwann scheint Trump den eigenen Sprüchen geglaubt zu haben. Anders lässt sich nicht erklären, dass er in der heißen Phase des Wahlkampfs ein unvertretbar hohes Risiko einging. In den Umfragen hinter Biden liegend, hoffte er, das Blatt dadurch zu wenden, dass er weit häufiger vor Publikum auftrat als der Herausforderer – und den er wegen seiner Vorsicht verspottete. Die Botschaft, die von den Auftritten vor tausenden Fans ausging, von denen die wenigsten einen Mund-Nasen-Schutz trugen, war die: Corona war gestern. Angesichts der Sorglosigkeit kann es kaum überraschen, dass er nun selbst betroffen ist.
Wobei jegliche Schadenfreude fehl am Platz ist, so groß die Versuchung auch sein mag. Gewiss, Trumps Kritiker haben recht, wenn sie darin erinnern, dass hunderttausende erkrankter Amerikaner – gerade als die Intensivstationen New Yorks im Chaos zu versinken drohten – nur träumen konnten von einer Behandlung, wie er sie jetzt in einer bestens ausgestatteten Klinik erfährt. Dennoch wären alle gut beraten, dem Beispiel Bidens zu folgen. Der ließ, kaum hatte die Nachricht von der Infektion seines Widersachers die Runde gemacht, sämtliche Negativwerbung zurückziehen. Werbung, wie sie normalerweise nicht wegzudenken ist aus amerikanischen Wahlkämpfen. Trump würde echte Lerneffekte signalisieren, sollte auch er rhetorisch abrüsten. Sollte er, zumindest darauf darf man vielleicht hoffen, mit einer Portion Demut aus dem Krankenhaus kommen.