Viel Händewaschen an Schule in Coronazeiten
In der Corona-Pandemie müssen sich die Bildungseinrichtungen im Saarland an einen 32-seitigen Hygieneplan halten. Wir zeigen, wie eine Grundschule die Vorgaben umsetzt.
Ein Mädchen aus der dritten Klasse seift sich ausgiebig die Hände ein. Dafür gibt es ein Sonderlob von Anette Schmitt. Die Schulleiterin führt an diesem Vormittag durch ihre Grundschule in Furpach, einem Stadtteil von Neunkirchen. Schmitt zeigt, wie sie und ihr Kollegium den 32 Seiten starken Musterhygieneplan des saarländischen Bildungsministeriums umsetzen. Es wird eine Bildungsreise durch die Schule in Corona-Zeiten.
Gerade wirft die Direktorin einen Blick in die Schultoiletten im Erdgeschoss. Schmitt trägt wie ihre Schüler eine Maske. Über dem Waschbecken klebt ein halbes Dutzend Zettel an der Wand. Auf einem steht: „So waschen wir unsere Hände richtig.“Und daneben: „Nun heißt es 30 Sekunden die Seife einreiben. Das ist wie 2mal Happy Birthday singen.“
Die Drittklässlerin hat ihre kleine Aufgabe im Kampf gegen das Coronavirus gemeistert, vergnügt läuft das Kind an Schmitt vorbei zu seinem Klassensaal. Im benachbarten Raum, bei den Jungs, steht ein Schüler summend vor dem Wasserhahn. „Wir brauchen im Moment viel Zeit zum Händewaschen“, sagt Schmitt. Die Schüler dazu anhalten muss die Direktorin nicht. „Die Kinder achten sehr auf die Hygiene.“
Seit sechs Jahren führt Schmitt die Stadtteilschule in der Industriestadt, das bedeutete schon vor der Corona-Krise reichlich Arbeit. Sie ist verantwortlich für 176 Kinder in acht Klassen, elf Lehrerinnen, zwei Förderkräfte. Nun organisiert die Pädagogin nebenbei den Ausnahmezustand. Die Hygieneregeln an ihrer Schule haben Schmitt „viele, viele Stunden, Abende, Wochenenden“gekostet, berichtet sie. „Der Übergang vom totalen Lockdown war das Schwierigste“, erinnert sie sich: „Wie fangen wir es wieder an? Wie werden die Kinder, die Eltern reagieren?“Das wusste niemand vorherzusagen. Dann ging es wieder los: „Alle kamen mit ihren Masken, die Eltern standen am Zaun. Das war ein Gänsehaut-Moment.“
Im März schloss das Land in der ersten Welle der Pandemie über Nacht seine Schulen, nach gut sechs Wochen kehrten die Kinder schrittweise zurück. Den ersten Hygieneplan veröffentlichte das Bildungsministerium im Mai, in den Klassenräumen schrieb dieser strikt Abstände von zwei Metern vor. Ein Gebot, das heute nicht mehr gilt – was vielfach auf Kritik stieß. Mittlerweile sind die Bildungseinrichtungen zum Regelbetrieb übergegangen, in einen ungekannten Alltag. Beinahe täglich müssen Kinder oder ganze Klassen im Saarland in Quarantäne.
Deshalb stellt sich auch bei Anette Schmitt in Furpach keine Routine ein – obwohl es an ihrer Grundschule bisher erst einen Verdachtsfall auf Corona gab. „Man wird sofort hellwach, wenn Kinder krankgemeldet werden oder man von einem Fall hört“, sagt sie. Wie erlebt Schmitt die Reaktionen auf den Schullalltag in der Pandemie? „Was ich bemerke, sind große Ängste und Unsicherheit bei den Eltern.“
Das beginnt schon bei der Frage, wie gefährlich eine Schnupfnase ist. Der Musterhygieneplan besagt zwar, dass Schüler mit einem „banalen Infekt“den Unterricht besuchen können. Soll man sein Kind trotzdem daheim lassen, wenn die Nase läuft? „Ich merke, dass die Eltern sehr sensibilisiert sind und die Kinder auch zu Hause lassen“, berichtet Schmitt. So tasten sich alle in die „neue Normalität“vor.
Bereits vor einem Monat befragte die Bildungsgewerkschaft GEW ihre Mitglieder, wie zufrieden sie mit den Hygieneplänen an Schulen und Kitas im Saarland seien. Lehrkräfte und Erzieher vergaben Zensuren, ein Drittel die Noten „sehr gut“oder „gut“, wieder ein Drittel „ausreichend“bis „ungenügend“. Aus dem Ministerium heißt es, der Hygieneplan habe sich „insgesamt bewährt“. Doch nun beginnt die kalte Jahreszeit, bundesweit fürchtet man eine rasche Übertragung des Coronavirus durch Aerosole, die durch überfüllte Klassenräume wabern. Diskutiert wird über eine Maskenpflicht im Unterricht, Luftreiniger oder CO2-Ampeln, die anzeigen, wann man durchlüften sollte. Der Musterhygieneplan empfiehlt ein Stoß- oder Querlüften, mindestens nach jeder Unterrichtsstunde. In der Grundschule in Furpach lassen sich alle Fenster öffnen, was nicht überall so ist. Doch schon in den letzten Sommertagen bibberten die Schüler mit Fensterplatz am Morgen.
Was plant das Land? Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) kündigte am vergangenen Dienstag ein Lüftungskonzept für die Schulen an. Das Bildungsministerium überarbeitet derzeit den Hygieneplan. Dafür gibt es in der Behörde einen Arbeitsstab, externe Experten lud man zu einer Fachkonferenz ein. Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) suchte auch den Kontakt zu Schulen mit Quarantänefällen. In dieser Woche soll der neue Plan an die Schulen gehen. Außerdem starten Mediziner der Saar-Uni demnächst mit der Studie „SaarCoKids“, das Forscherteam soll nach „Optimierungsmöglichkeiten“bei den Hygienemaßnahmen suchen, so das Ministerium.
„Wir haben überlegt: Was macht Sinn“, sagt Schmitt über die bisherigen Vorkehrungen an ihrer Schule. Herausgekommen sind eigene Lösungen: An manchen Grundschulen sammeln sich die Kinder morgens an festen Punkten auf dem Hof, alleine dürfen sie das Gebäude nicht betreten. Denn die Gruppen sollen sich möglichst wenig durchmischen, vor allem nicht über die Jahrgänge hinweg. In Furpach hat Schmitt jeder Klassenstufe einen Eingang zugeteilt, die Lehrerinnen empfangen die Kinder in ihren Räumen. „Hausschuhe anziehen, in den Saal gehen, Händewaschen“, so lautet der Ablauf für die Kleinsten. Ihre Masken dürfen sie beim Lernen ablegen. „Wir haben festgestellt, dass die Klassenstufen eins und zwei eigentlich die diszipliniertesten sind“, erklärt Schmitt. Im Gebäude verzichtete die Schulleiterin darauf, genaue Laufwege einzuzeichnen oder Einbahnstraßen einzurichten. „Das überfordert die Kinder“, ist sie überzeugt.
Die Stundenpläne haben sich durch die Pandemie verändert. „Es ist nicht der normale 45-Minutentakt“, erklärt Schmitt. An etlichen Stellen müssen die Lehrkräfte mehr Zeit einplanen, ob zum Lüften oder für getrennte Hofpausen. „Das erfordert von den Kollegen viel Flexibilität.“In den Lerngruppen stehen nun durchgängig die Klassenlehrerinnen vor den Kindern. Um längeren Infektionsketten vorzubeugen, wechseln die Lehrkräfte nicht mehr nach Fächern. „Die Kinder finden das angenehm, weil jetzt so eine Ruhe einkehrt“, beobachtet Schmitt. Doch es gibt auch eine Kehrseite. „Die Kolleginnen und ich, wir haben keine Pausen.“
Die Schulleiterin unterrichtet jede Woche noch 20 Stunden selbst, auch eine erste Klasse, in deren Unterricht sie einen kurzen Einblick gewährt. Schmitt steht in der offenen Tür, als einer ihrer Erstklässler auf die Lehrerin zustürmt, um sie zu umarmen. „Ich habe Dich lieb“, sagt er. „Da kann ich nicht Abstand halten“, sagt Schmitt. Das bleibt die Ausnahme an diesem Vormittag. Als der Rundgang durch die Schule in Corona-Zeiten endet, drängen einige Kinder raus zur Pause. „Abstand halten“, mahnt die Direktorin.