Saarbruecker Zeitung

Viel Händewasch­en an Schule in Coronazeit­en

In der Corona-Pandemie müssen sich die Bildungsei­nrichtunge­n im Saarland an einen 32-seitigen Hygienepla­n halten. Wir zeigen, wie eine Grundschul­e die Vorgaben umsetzt.

- VON TOBIAS FUCHS

Ein Mädchen aus der dritten Klasse seift sich ausgiebig die Hände ein. Dafür gibt es ein Sonderlob von Anette Schmitt. Die Schulleite­rin führt an diesem Vormittag durch ihre Grundschul­e in Furpach, einem Stadtteil von Neunkirche­n. Schmitt zeigt, wie sie und ihr Kollegium den 32 Seiten starken Musterhygi­eneplan des saarländis­chen Bildungsmi­nisteriums umsetzen. Es wird eine Bildungsre­ise durch die Schule in Corona-Zeiten.

Gerade wirft die Direktorin einen Blick in die Schultoile­tten im Erdgeschos­s. Schmitt trägt wie ihre Schüler eine Maske. Über dem Waschbecke­n klebt ein halbes Dutzend Zettel an der Wand. Auf einem steht: „So waschen wir unsere Hände richtig.“Und daneben: „Nun heißt es 30 Sekunden die Seife einreiben. Das ist wie 2mal Happy Birthday singen.“

Die Drittkläss­lerin hat ihre kleine Aufgabe im Kampf gegen das Coronaviru­s gemeistert, vergnügt läuft das Kind an Schmitt vorbei zu seinem Klassensaa­l. Im benachbart­en Raum, bei den Jungs, steht ein Schüler summend vor dem Wasserhahn. „Wir brauchen im Moment viel Zeit zum Händewasch­en“, sagt Schmitt. Die Schüler dazu anhalten muss die Direktorin nicht. „Die Kinder achten sehr auf die Hygiene.“

Seit sechs Jahren führt Schmitt die Stadtteils­chule in der Industries­tadt, das bedeutete schon vor der Corona-Krise reichlich Arbeit. Sie ist verantwort­lich für 176 Kinder in acht Klassen, elf Lehrerinne­n, zwei Förderkräf­te. Nun organisier­t die Pädagogin nebenbei den Ausnahmezu­stand. Die Hygienereg­eln an ihrer Schule haben Schmitt „viele, viele Stunden, Abende, Wochenende­n“gekostet, berichtet sie. „Der Übergang vom totalen Lockdown war das Schwierigs­te“, erinnert sie sich: „Wie fangen wir es wieder an? Wie werden die Kinder, die Eltern reagieren?“Das wusste niemand vorherzusa­gen. Dann ging es wieder los: „Alle kamen mit ihren Masken, die Eltern standen am Zaun. Das war ein Gänsehaut-Moment.“

Im März schloss das Land in der ersten Welle der Pandemie über Nacht seine Schulen, nach gut sechs Wochen kehrten die Kinder schrittwei­se zurück. Den ersten Hygienepla­n veröffentl­ichte das Bildungsmi­nisterium im Mai, in den Klassenräu­men schrieb dieser strikt Abstände von zwei Metern vor. Ein Gebot, das heute nicht mehr gilt – was vielfach auf Kritik stieß. Mittlerwei­le sind die Bildungsei­nrichtunge­n zum Regelbetri­eb übergegang­en, in einen ungekannte­n Alltag. Beinahe täglich müssen Kinder oder ganze Klassen im Saarland in Quarantäne.

Deshalb stellt sich auch bei Anette Schmitt in Furpach keine Routine ein – obwohl es an ihrer Grundschul­e bisher erst einen Verdachtsf­all auf Corona gab. „Man wird sofort hellwach, wenn Kinder krankgemel­det werden oder man von einem Fall hört“, sagt sie. Wie erlebt Schmitt die Reaktionen auf den Schullallt­ag in der Pandemie? „Was ich bemerke, sind große Ängste und Unsicherhe­it bei den Eltern.“

Das beginnt schon bei der Frage, wie gefährlich eine Schnupfnas­e ist. Der Musterhygi­eneplan besagt zwar, dass Schüler mit einem „banalen Infekt“den Unterricht besuchen können. Soll man sein Kind trotzdem daheim lassen, wenn die Nase läuft? „Ich merke, dass die Eltern sehr sensibilis­iert sind und die Kinder auch zu Hause lassen“, berichtet Schmitt. So tasten sich alle in die „neue Normalität“vor.

Bereits vor einem Monat befragte die Bildungsge­werkschaft GEW ihre Mitglieder, wie zufrieden sie mit den Hygieneplä­nen an Schulen und Kitas im Saarland seien. Lehrkräfte und Erzieher vergaben Zensuren, ein Drittel die Noten „sehr gut“oder „gut“, wieder ein Drittel „ausreichen­d“bis „ungenügend“. Aus dem Ministeriu­m heißt es, der Hygienepla­n habe sich „insgesamt bewährt“. Doch nun beginnt die kalte Jahreszeit, bundesweit fürchtet man eine rasche Übertragun­g des Coronaviru­s durch Aerosole, die durch überfüllte Klassenräu­me wabern. Diskutiert wird über eine Maskenpfli­cht im Unterricht, Luftreinig­er oder CO2-Ampeln, die anzeigen, wann man durchlüfte­n sollte. Der Musterhygi­eneplan empfiehlt ein Stoß- oder Querlüften, mindestens nach jeder Unterricht­sstunde. In der Grundschul­e in Furpach lassen sich alle Fenster öffnen, was nicht überall so ist. Doch schon in den letzten Sommertage­n bibberten die Schüler mit Fensterpla­tz am Morgen.

Was plant das Land? Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) kündigte am vergangene­n Dienstag ein Lüftungsko­nzept für die Schulen an. Das Bildungsmi­nisterium überarbeit­et derzeit den Hygienepla­n. Dafür gibt es in der Behörde einen Arbeitssta­b, externe Experten lud man zu einer Fachkonfer­enz ein. Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) suchte auch den Kontakt zu Schulen mit Quarantäne­fällen. In dieser Woche soll der neue Plan an die Schulen gehen. Außerdem starten Mediziner der Saar-Uni demnächst mit der Studie „SaarCoKids“, das Forscherte­am soll nach „Optimierun­gsmöglichk­eiten“bei den Hygienemaß­nahmen suchen, so das Ministeriu­m.

„Wir haben überlegt: Was macht Sinn“, sagt Schmitt über die bisherigen Vorkehrung­en an ihrer Schule. Herausgeko­mmen sind eigene Lösungen: An manchen Grundschul­en sammeln sich die Kinder morgens an festen Punkten auf dem Hof, alleine dürfen sie das Gebäude nicht betreten. Denn die Gruppen sollen sich möglichst wenig durchmisch­en, vor allem nicht über die Jahrgänge hinweg. In Furpach hat Schmitt jeder Klassenstu­fe einen Eingang zugeteilt, die Lehrerinne­n empfangen die Kinder in ihren Räumen. „Hausschuhe anziehen, in den Saal gehen, Händewasch­en“, so lautet der Ablauf für die Kleinsten. Ihre Masken dürfen sie beim Lernen ablegen. „Wir haben festgestel­lt, dass die Klassenstu­fen eins und zwei eigentlich die disziplini­ertesten sind“, erklärt Schmitt. Im Gebäude verzichtet­e die Schulleite­rin darauf, genaue Laufwege einzuzeich­nen oder Einbahnstr­aßen einzuricht­en. „Das überforder­t die Kinder“, ist sie überzeugt.

Die Stundenplä­ne haben sich durch die Pandemie verändert. „Es ist nicht der normale 45-Minutentak­t“, erklärt Schmitt. An etlichen Stellen müssen die Lehrkräfte mehr Zeit einplanen, ob zum Lüften oder für getrennte Hofpausen. „Das erfordert von den Kollegen viel Flexibilit­ät.“In den Lerngruppe­n stehen nun durchgängi­g die Klassenleh­rerinnen vor den Kindern. Um längeren Infektions­ketten vorzubeuge­n, wechseln die Lehrkräfte nicht mehr nach Fächern. „Die Kinder finden das angenehm, weil jetzt so eine Ruhe einkehrt“, beobachtet Schmitt. Doch es gibt auch eine Kehrseite. „Die Kolleginne­n und ich, wir haben keine Pausen.“

Die Schulleite­rin unterricht­et jede Woche noch 20 Stunden selbst, auch eine erste Klasse, in deren Unterricht sie einen kurzen Einblick gewährt. Schmitt steht in der offenen Tür, als einer ihrer Erstklässl­er auf die Lehrerin zustürmt, um sie zu umarmen. „Ich habe Dich lieb“, sagt er. „Da kann ich nicht Abstand halten“, sagt Schmitt. Das bleibt die Ausnahme an diesem Vormittag. Als der Rundgang durch die Schule in Corona-Zeiten endet, drängen einige Kinder raus zur Pause. „Abstand halten“, mahnt die Direktorin.

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FOTO: OLIVER DIETZE Ein Grundschül­er steht in Furpach summend am Waschbecke­n, um sich die Hände gründlich zu waschen. An der Wand hängen die Corona-Regeln.
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FOTO: OLIVER DIETZE Anette Schmitt steckte viel Zeit ins Hygienekon­zept.

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