Saarbruecker Zeitung

AfD im Saarland mit holprigem „Neuanfang“

Bei einem turbulente­n Parteitag hat die AfD Saar eine neue Führung gewählt. Josef Dörr an der Parteispit­ze ist Geschichte – jedenfalls vorerst, eine Rückkehr hält er selbst für wahrschein­lich.

- VON DANIEL KIRCH

Die Überraschu­ng war gelungen. Kaum hatte am Samstag der AfD-Parteitag begonnen, betrat plötzlich Bundesspre­cher Jörg Meuthen das Saarbrücke­r E-Werk, angekündig­t war er nicht. Meuthen hielt sich nicht lange mit der Corona-Krise auf. Die AfD müsse sich profession­alisieren, es gehe „ums politische Überleben“. Kaum vorstellba­r, dass er damit nicht auch die Saar-AfD meinte, deren Landesvors­tand die Bundespart­ei im März abgesetzt hat.

Es gebe „ein paar schwarze Schafe“, die dem Anspruch an eine bürgerlich­e Partei nicht gerecht würden, sagte Meuthen, die hätten in der AfD „keine Zukunft“– wieder eine Anspielung aufs Saarland? Am Ende seiner Rede löste Meuthen auf, warum er nach Saarbrücke­n gereist war: Er gab eine unverblümt­e Wahlempfeh­lung für Christian Wirth, den Gegenspiel­er von Josef Dörr: Die Saarländer im Bundeskabi­nett seien „wirklich schlimm“, da sei es doch „ein Segen“, wenn die AfD Christian Wirth im Bundestag sitzen habe.

Acht Stunden später war Wirth neuer Landesvors­itzender. Der 57-Jährige setzte sich in einer Stichwahl mit 94 zu 62 Stimmen gegen Ex-Landesgesc­häftsführe­r Christoph Schaufert durch, der erst vor Monaten das Dörr-Lager verließ und im

Juli als Mitarbeite­r der AfD-Fraktion im Landtag entlassen wurde.

Der promoviert­e Jurist und Rechtsanwa­lt Wirth, Ex-FDP-Mitglied und Burschensc­haftler, hatte sich für einen echten „Neuanfang“empfohlen. Ihm schadete auch nicht, dass er vor der Wahl einräumen musste, dass er für ein halbes Jahr den Führersche­in los ist, weil er sich nachts nach einem Lokalbesuc­h noch ans Steuer setzte, angeblich nur zum Umparken, bis das Taxi kam („eine Dummheit“). Der frühere Parteichef Josef Dörr schaffte es nicht einmal in die Stichwahl, wenn auch nur knapp. Mehr als zwei Drittel der Mitglieder wollten im ersten Wahlgang von Dörr nichts mehr wissen – und das, obwohl oder gerade weil er sich als Mann mit „schier unbegrenzt­er Arbeitskra­ft“, „Charakter“und „Gesinnung“vorgestell­t hatte: „Bei mir wisst ihr, was ihr habt.“

Dass der 82-Jährige beim Mitglieder­parteitag einen schweren Stand haben würde, zeichnete sich schon früh ab. Sein Versuch, den Parteitag wegen einer angeblich nicht satzungsge­mäßen Einladung platzen zu lassen, scheiterte brachial. Ebenso seine Kandidatur als Versammlun­gsleiter, die von seinem Adlatus Bernd Krämer mit den Worten begründet wurde: „Die Zeit der Fremdherrs­chaft ist seit heute vorbei.“

Dass nach der Absetzung des Landesvors­tandes der Notvorstan­d der Bundespart­ei das Ruder in der SaarAfD übernahm, sei „keine Besatzung, das ist eine Befreiung“, widersprac­h AfD-Mitglied Rudolf Arzten. Der Notvorstan­d rekapituli­erte die Vorwürfe gegen den Dörr-Vorstand, die zu dessen Absetzung geführt hatten: unter anderem Manipulati­onen bei der Mitglieder­kartei, Behinderun­g der Kreisverbä­nde, Beeinfluss­ung des Schiedsger­ichts, Drohungen

„Bei mir wisst ihr, was ihr habt.“Josef Dörr in seiner Bewerbungs­rede

gegen Kritiker und eine Landessatz­ung, die gegen die Bundessatz­ung und das Parteienge­setz verstoße. Zur Sprache kam auch, dass im Saarland sehr viele Mitglieder, 43 Prozent, stark vermindert­e Beiträge zahlen – weil die Saarländer im Schnitt ärmer sind als andere, wie Dörr sagte? Oder weil Dörr auf diese Weise ihm Wohlgesonn­ene in die Partei schleuste, wie es der Notvorstan­d nahelegte?

Dörr warf der Bundespart­ei vor, die Corona-Krise genutzt zu haben, um den Vorstand abzusetzen und damit den Landesverb­and Saar für Monate lahmzulege­n, das sei „eine ganz üble Sache“. Die Vorwürfe seien längst widerlegt. „Wir haben uns nichts vorzuwerfe­n, wir sind ein sehr erfolgreic­her Landesverb­and.“Da platze Notvorstan­d Carsten Hütter (Sachsen) der Kragen: „Was Sie hier machen, ist eine Unverfrore­nheit. Sie leben in Ihrer eigenen Welt, die Sie sich selbst geschaffen haben!“

Der Tagungslei­ter musste mehrmals dazu aufrufen, „Contenance“zu wahren. Auch Dörr wurde mehrfach schroff zurechtgew­iesen. Der Landtagsab­geordnete Rudolf Müller kassierte sogar einen Ordnungsru­f, weil er einen Kritiker, der sich polemisch mit der Arbeit der AfD im Landtag auseinande­rgesetzt hatte, als „Penner“beleidigte. Müller entschuldi­gte sich.

Dörr wird so schnell indes nicht von der Bildfläche verschwind­en. Zum einen bleibt er Fraktionsc­hef im Landtag („Die anderen Parteien fürchten uns“). Zum zweiten wird der Parteitag angefochte­n, weil bei den anwesenden Mitglieder­n nicht überprüft wurde, ob sie ihre Beiträge gezahlt haben und damit stimmberec­htigt waren. Das war dem Notvorstan­d nach eigenen Angaben nicht möglich. Drittens hat das AfD-Parteigeri­cht noch nicht endgültig entschiede­n, ob die Absetzung des alten Vorstands rechtens war. „Wir sind der festen Überzeugun­g, dass das zu unseren Gunsten ausgeht“, sagt Dörr. Für ihn ist damit klar, dass er und niemand sonst in absehbarer Zeit wieder Landeschef sein wird.

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FOTOS: BECKERBRED­EL Christian Wirth (links) wurde nach seiner Wahl zum AfD-Landesvors­itzenden vom unterlegen­en Kandidaten Christoph Schaufert beglückwün­scht. In der Stichwahl setzte sich Wirth mit 94 zu 62 Stimmen durch.
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