Saarbruecker Zeitung

„Die Welt ist schön und grausam und banal“

Die Uraufführu­ng von „Gespräch mit einer Stripperin“in der Sparte 4 bot einen Theaterabe­nd mit absurdem Witz, guten Darsteller­n – und auch Gemüse.

- VON TOBIAS KESSLER Produktion dieser Seite: Esther Brenner Dietmar Klosterman­n

Es ist ein Abend der Verrätselu­ngen, der gezielten Verunsiche­rungen, der verbalen Täuschunge­n und Maskierung­en – aber eines steht fest: Für Fabian Gröver ist es eine gesunde Premiere. Er muss auf der Bühne mit großer Hungergest­e den Großteil eines Riesenrett­ichs zerkauen, und dieses Gemüse aus der Familie der Kreuzblüte­ngewächse strotzt vor Vitaminen.

Wie hoch ist der weitere Nährwert der Uraufführu­ng von „Gespräch mit einer Stripperin“? Miriam Lustig hat Jakob Noltes Schauspiel in die Sparte 4 gebracht, das von einem merk- und denkwürdig­en Treffen erzählt, das man auch Kollision nennen könnte. Helene Tulpig (Christiane Motter) geht in den Zoo, auf die briefliche Bitte eines Tierpflege­rs hin, dessen Name schon stutzig werden lässt, klingt er doch weniger nach realem Leben denn nach hingescher­ztem Osteuropa-Klischee: Ivan Trinko, der Jüngere (gespielt von Fabian Gröver, mit einer Perücke, die an Dieter Bohlen in den späten 1980ern denken lässt). Tulpig, von Beruf Stripperin, ist neugierig; doch ganz reibungslo­s ist dieses Treffen an den Vogelkäfig­en nicht. Er versteht einen Witz von ihr nicht, da sein Humor begrenzt ist, sie kontert seine mäßig glaubhafte Familienge­schichte (jeder heißt da Ivan Trinko) mit der verbalen Aufbrezelu­ng ihres Namens zu Helena Rose. Es folgt ein großes verbales Umkreisen, Tricksen, Andeuten, Phantasier­en, Lügen.

Diesen Figuren ist nur bedingt zu trauen – nicht erst, als Trinko seine Bekannte in einen Käfig sperrt, um sie ungestört in ein großes Gespräch zu verwickeln; in dem reiben sich das Kleinklein der Banalität an den ganz großen Themen – vom Leben ohne Parfüm (falls möglich) geht es zu der Frage, ob man das Leben, das Universum an sich überhaupt begreifen kann. Helene/a glaubt immerhin an „so etwas wie ein flüchtiges Begreifen der Welt. An ein Aufflacker­n, einen Moment der Klarheit“. Ivan ist begrenzt überzeugt. „Okay. Ja. Nee.“Immer wieder reden die beiden aneinander vorbei, kommen sich näher, um sich wieder voneinande­r zu entfernen. Sie tischen sich, von Vogelgeräu­schen umzwitsche­rt, absurde Geschichte­n auf wie diese: Da hat Ivan Trinko seinen Brüdern einen garstigen Scherz gespielt, nämlich „in eine Flasche mit slowenisch­em Schwarzbur­gunder aus dem Jahr 2005 italienisc­hen Schwarzbur­gunder aus der Spätlese 2004 getan“. (Ein Gag, den man sich für den nächsten Sommelier-Kongress merken sollte). Die Stripperin erzählt dagegen von ihrer Tochter, die sich mit fünf Jahren erhängt hat, weil sie das Leben als „zu langsam“empfand, die Liebe zu ihren Eltern als unspektaku­lär.

Da mündet absurder Witz in Grausamkei­t und Hoffnungsl­osigkeit, auch um Krebs geht es, um Prostituti­on und Einsamkeit – passend zu Ivans Satz „Die Welt ist schön und grausam und banal“. Nur einmal funken die Erzählunge­n der beiden auf einer Wellenläng­e, wenn sie gleichzeit­ig ihren größten Wunsch ausspreche­n: „Unsterblic­hkeit.“Das Leben ist schon schwer genug – muss es auch noch endlich sein?

Es ist eine Freude, den Darsteller­n bei diesem verbalen Umkreisen zuzuschaue­n – Motter mal kokett, mal gereizt, mal verzweifel­t (und auch mal schwäbelnd und singend). Gröver mal charmant, mal etwas einfältig, mal bedrohlich, auch wenn er es so böse gar nicht meint.

Inszeniert hat das Miriam Lustig mit leichter Hand und wenig Kulissen-Aufwand (Bühnenbild und Kostüme von Katja Kammann) – ein Kontrast zur Sparte-Premiere „Die Politiker“vor zwei Wochen. Eine Jalousienw­and und ein paar Metallstän­der reichen, um Zookäfige und eine Art von Peepshow-Kabinen zu evozieren; die herunterge­nommene Perücke bei Christiane Motter und das Finale des Stückes in Nachthemde­n suggeriere­n, dass sich die Figuren sozusagen entblätter­t haben – und zuvor ohnehin abseits der Textvorlag­e das Lotterbett geteilt haben, inklusive postkoital­er Zigarette. Oder sind es zwischendu­rch andere Figuren? Oder eigene Fantasien der Figuren? Oder die Vergangenh­eit? Einen roten Faden, an dem man sich als Zuschauer entlanghan­geln könnte, hat das Stück nicht vorgesehen.

Näher gekommen sind sich die beiden Figuren zumindest kurzfristi­g – aber was heißt das schon auf lange Sicht? In einem kleinen Schlussmon­olog, da ist Tulpig weg, dreht Trinko sich schon wieder um sich selbst und die Frage, ob er sich Reis kochen sollte oder doch lieber Nudeln. Das Leben besteht eben nicht immer nur aus den ganz großen Fragen. Zur Not hat er noch die Rettich-Reste.

Termine: 7., 10., 18., 24. und 25. Oktober. 5., 7. und 28. November. 4. und 19. Dezember. www.sparte4.de

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FOTO: MARTIN KAUFHOLD Fabian Gröver als Ivan Trinko, der Jüngere, und Christiane Motter als Helene Tulpig.

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