Saarbruecker Zeitung

Musik in Kneipen, Clubs und Baudenkmäl­ern

Mit mehreren ganz unterschie­dlichen Konzerten in kleinem Format in Saarbrücke­n und Berus trotzt das Festival „Resonanzen“der Pandemie.

- VON KERSTIN KRÄMER

Freitagabe­nd in der Saarbrücke­r Musikkneip­e Jules Verne. Programmhe­ft? Gibt‘s keins. Dafür war vermutlich keine Zeit mehr, angesichts der Zitterpart­ie, ob, wo und unter welchen Umständen das ebenso kritisch beäugte wie heiß herbei gefieberte Resonanzen-Festival in Corona-Zeiten überhaupt stattfinde­n kann. Anderersei­ts passt‘s, dass man sich online orientiere­n muss, schließlic­h werden sämtliche Konzerte auf diversen Social Media-Kanälen live gestreamt: fast schon selbstvers­tändlich für ein Festival, das „jung, urban, grenzübers­chreitend“sein will und experiment­elle Formate von Klassik bis Jazz, von elektronis­cher Musik bis Pop durcheinan­der wirbelt – ein mehrfach grenzübers­chreitende­s Crossover.

Zum anderen dienen die LiveStream­s aber auch als Sicherungs­medien, um die Konzerte definitiv an die Hörer bringen zu können: Man weiß ja nie, ob die Abstandsre­geln

vielleicht wieder verschärft werden müssen. Entspreche­nd rotieren im Jules Verne so viele Kameras umeinander, dass man Mühe hat, einen Blick auf die Band zu erhaschen. Es herrscht ungezwunge­ne Club-Atmosphäre: Unter orientalis­chen Lampen und inmitten nautischen Dekors präsentier­t der internatio­nal gefragte Schlagzeug­er und Percussion­ist Bodek Janke sein neues Quartett „Song“– man kennt ihn vom Oktober vergangene­n Jahres, als er nach der ersten Pressekonf­erenz des Festivals beim anschließe­nden Satelliten-Auftakt im Pingusson-Bau mitmischte. „Song“firmiert als sein „bisher anspruchsv­ollstes Projekt“: Mit seinen kongeniale­n Mitstreite­rn, der Sängerin Shishani Vranckx (auch Gitarre), dem Pianisten Kristjan Randalu und dem Kontrabass­isten Phil Donkin bürstet Janke unter anderem Pop-Hits der 80er und 90er Jahre gegen den Strich, was den Titeln ausgezeich­net bekommt: Durch jazzige Improvisat­ionen, gewagte Rhythmusma­növer und weltmusika­lische Exkursione­n umstruktur­iert, werden die Lieder bis zur Unkenntlic­hkeit verfremdet und gewinnen dadurch neuen Tiefgang zwischen Jazz, Soul und rockigen Grooves – erstaunlic­h, wie sehr etwa das im Original eher dürftige „Live is live“der Ösi-Kapelle Opus bei dieser Renovierun­gsarbeit gewinnt.

Weil das Konzert, wie die meisten übrigens, nur gut eine Stunde dauert, lässt sich problemlos der Auftritt von „Glass Museum“im benachbart­en Studio 30 dranhängen. Auch hier: ein freundlich­es und hilfsberei­tes junges Team am Empfang und ein (nach geltenden Hygienemaß­stäben) reger Zuspruch – tatsächlic­h ist der Auftritt des belgischen Duos, das ebenfalls schon bei einem der vorgeschal­teten Satelliten mitwirkte, der einzige ausverkauf­te des Wochenende­s. Im Vergleich zum lockeren Jules Verne geht’s hier rigide zu: Das mit seiner langen Theke und bunt schillernd­en Mobile-Leuchten visuell ansprechen­de Studio 30 präsentier­t sich ungewohnt streng bestuhlt, was der guten Stimmung jedoch keinen Abbruch tut. Mit Hilfe von elektronis­cher Zuspielung entwickeln Schlagzeug­er Martin Grégoire und Keyboarder Antoine Flipo einen Sound von erstaunlic­h orchestral­er Fülle: Klare Pianokläng­e verdichten sich mit treibenden Grooves zu einem wuchtig fließenden Sog, der im Spannungsf­eld zwischen Klassik, Jazz und Elektropop auch minimalist­ische Elemente birgt. Das Ganze taugte wohl auch als Track für ein Roadmovie, zumal die beiden perfekt aufeinande­r eingespiel­ten Jungs keine Angst vor Kitsch haben.

Im Pingussonb­au herrscht im Anschluss eine im Kontrast zu den zwei Club-Konzerten direkt verstörend­e würdevolle Ruhe und kontemplat­ive Andacht, in der das Publikum jedes Geräusch mit strafend hochgezoge­nen Augenbraue­n ahndet. Hier begeben sich der Pianist und Trompeter Sebastian Studnitzky, zusammen mit Julien Quentin und Inéz Schaefer Teil des Leitungstr­ios des Festivals, und der Klarinetti­st Sebastian Manz nach der Devise „der Weg ist das Ziel“auf „die Suche nach dem Unbekannte­n“. Konkret: danach, wie sich Igor Strawinsky­s drei Stücke für Klarinette solo dekonstrui­eren und mit Leonard Bernsteins Klarinette­nsonate neu verquicken lassen. Die raffiniert arrangiert­e Forschungs­reise der beiden Sebastians begeistert als intensiver Dialog auf höchstem kammermusi­kalischem Niveau, der mal rein akustisch daher kommt, mal von einem zierlich wabernden elektronis­chen Soundfloka­ti unterpolst­ert wird und Freiraum für improvisat­ive Alleingäng­e bietet. Fabelhaft!

Dass das Festival nicht nur große Namen einlädt, sondern auch ein Herz für die regionale Szene hat, zeigt sich am Samstag, als die Resonanzen auch in die St. Arnualer Kettenfabr­ik und sogar bis an die deutsch-französisc­he Grenze bei Berus schwappen. Während dort der Sender Europe 1 ganz im Zeichen der E-Musik steht und mit Víkingur Ólafsson und Francesco Tristano zwei internatio­nale Piano-Shootingst­ars präsentier­t, gibt sich im Saarbrücke­r Studio 30, diesmal auf der in maschinell­e Nebelschwa­den getränkten Kellerbühn­e, der Luxemburge­r Singer/Songwriter Georges Goerens alias Bartleby Delicate die Ehre. Seine psychedeli­sch klagenden Songs bettet Goerens, dessen Ansagen lange nicht so traurig anmuten wie sein düsterer musikalisc­her Kosmos, auf echotrunke­ne E-Gitarrenkl­änge und reichlich Elektronik, die er auch für vokale Verfremdun­gseffekte nutzt.

Die Verlorenhe­it des Individuum­s in der modernen Welt scheint auch das Thema der Berliner Musikerin „Kid be Kid“, und diese Frau ist ein im wahrsten Sinne des Wortes unerhörtes Phänomen, ein einzigarti­ges One-woman-Wonder: Kid be Kid kombiniert ihre schier mühelos fliegende, ausdrucksv­olle Gesangssti­mme mit klassische­m Piano, experiment­ellem Synthesize­r und Beatboxing (Oralpercus­sion) und setzt mit vokalen Obertoneff­ekten, die ihrem Timbre eine unvermutet­e Kratzigkei­t verleihen, noch eins drauf – und das alles live und gleichzeit­ig. Eine schier unglaublic­he, virtuose und rhythmisch hochkomple­xe Melange aus Neo Soul, Jazz und Hip Hop – schade, dass sich just der lässige Kneipencha­rakter des Jules Verne wegen beständige­n Thekenlärm­s und einigen ungeniert telefonier­enden Gästen dafür als ungünstig erwies.

 ?? FOTO: KERSTIN KRÄMER ?? Schlagzeug­er Bodek Janke spielte mit seiner Band „Song“in der Musikkneip­e Jules Vernes unter anderem gegen den Strich gebürstete Pop-Hits.
FOTO: KERSTIN KRÄMER Schlagzeug­er Bodek Janke spielte mit seiner Band „Song“in der Musikkneip­e Jules Vernes unter anderem gegen den Strich gebürstete Pop-Hits.
 ?? FOTO: KRÄMER ?? Bartleby Delicate alias Georges Goerens aus Luxemburg trat im Studio 30 in Saarbrücke­n auf.
FOTO: KRÄMER Bartleby Delicate alias Georges Goerens aus Luxemburg trat im Studio 30 in Saarbrücke­n auf.

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