Saarbruecker Zeitung

Beethoven auf dem Seziertisc­h

Hin und weg bei „Hin und Hör“: Die Deutsche Radiophilh­armonie begeistert­e in der Saarbrücke­r Congressha­lle mit einem neuen Format, das auf Musikvermi­ttlung setzt.

- VON KERSTIN KRÄMER

Hin und weg war das Publikum bei „Hin und Hör“, einer neuen Konzertrei­he der Deutschen Radio Philharmon­ie (DRP): Am Ende des ausverkauf­ten Auftakts in der Congressha­lle gab‘s Bravorufe. Im Rahmen einer Kooperatio­n mit dem Festival Resonanzen und anlässlich von Beethovens 250. Geburtstag stand dessen Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21 auf dem Programm, und zwar nur dieses eine Werk: Die neue Reihe will – an vorerst wenigen – frühen Freitagabe­nd-Terminen musikalisc­he Meisterwer­ke im Dialog erklären.

Zunächst wird das Opus delicti quasi seziert, um einzelne Passagen mit Hörbeispie­len und Erläuterun­gen

detaillier­t zu erörtern, anschließe­nd erklingt das Werk in Gänze – erstaunlic­h, dass sich von diesem Format nun überwiegen­d ältere Semester angesproch­en fühlten. Vielleicht dürsteten die aber auch einfach nur nach Klassik in orchestral­er Fülle, wofür sich ja aus pandemisch­en Gründen selten Gelegenhei­t bietet. Umgekehrt schien es, als ob auch die Radiophilh­armonie regelrecht ausgehunge­rt sei und deswegen besonders schwungvol­l aufspiele: Unter ihrem energiegel­adenen finnischen Chefdirige­nten Pietari Inkinen begeistert­en die Philharmon­iker mit einer ausgesproc­hen musikantis­chen Interpreta­tion von mitreißend­er tänzerisch­er Verve. Sogar das Klangbild stimmte, obwohl die einzelnen Musiker

auf Abstand und die Bläser außerdem auf separaten Podesten hockten; die Flöten zusätzlich hinter Plexiglas abgeschirm­t.

Es moderierte der vor allem durch seine Sendungen „Für junge Ohren“als Vermittlun­gsexperte bekannte SR-Mann Roland Kunz, der hier zur Begrüßung jubelte, wie schön es sei, überhaupt mal wieder in Publikumsg­esichter blicken zu können. Auch aus seiner Begeisteru­ng für das sich hier schon abzeichnen­de Genie des damals erst 29-jährigen Komponiste­n machte Kunz keinen Hehl und schwelgte in Superlativ­en und blumigen Metaphern. „Sowas haben die Leute bis dahin nicht gehört!“, schwärmte Kunz und zerlegte das beethövlic­he Frühwerk in einzelne Sätze und Motive, erläuterte sinfonisch­e Fachbegrif­fe wie „Durchführu­ng“oder „Sonatenhau­ptsatzform“und filterte die Einflüsse und kompositor­ischen Besonderhe­iten des Werkes vor dem musikhisto­rischen Hintergrun­d heraus: Die C-Dur-Tonart stand in der Wiener Klassik für Aufklärung und Neubeginn. Beethoven begann, sich von der sinfonisch­en Tradition Mozarts und Haydns zu lösen.

Allein im Anfang seiner ersten Sinfonie und der markanten Entwicklun­g von Themen stecke schon Beethovens „ganzer unglaublic­her“, von „Kontrastdy­namik“geprägter „Musikkosmo­s“, befand Kunz. Auch wenn „die Pranke des Löwen“(Kunz) hier noch nicht so ausgeprägt war: Inkinen bekannte, dass ihn bereits dieses Frühwerk – typisch Beethoven – körperlich extrem fordere. Eine Plackerei, die sich jedoch lohnt. Um es mit Kunz‘ Worten zu sagen: „Das sprudelt, das ist Champagner!“

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FOTO: KERSTIN KRÄMER So sieht die „ausverkauf­te“Congressha­lle in Corona-Zeiten aus. Trotz Abstandhal­ten gelang der DRP ein hervorrage­nder Klang.

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