Saarbruecker Zeitung

Ein deutliches Zeichen aus Berlin nach Minsk

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Angela Merkel empfängt Swetlana Tichanowsk­aja im Kanzleramt. Das war kein Staatsbesu­ch, noch nicht. Die im Exil lebende belarussis­che Opposition­sführerin bekam keinen gemeinsame­n Presseterm­in mit der Kanzlerin, militärisc­he Ehren sowieso nicht. Nur ein Foto. Und eine Stunde Zeit. Sie ist ja auch nicht gewählt. Aber was Angela Merkel da gestern gemacht hat, war trotzdem ein deutliches Zeichen an Machthaber Lukaschenk­o in Minsk: Tichanowsk­aja ist unsere Gesprächsp­artnerin. Du nicht. Und da die Kanzlerin derzeit auch den EU-Vorsitz innehat, war das auch ein europäisch­es Zeichen.

An Klarheit hat es in Berlin und Brüssel im Fall Belarus von Anfang an nicht gefehlt: Die „Wiederwahl“Lukaschenk­os im August wurde wegen der massiven Wahlfälsch­ungen nicht anerkannt, sein Vorgehen gegen friedliche Demonstran­ten auf das Schärfste verurteilt. Auch waren die deutschen und europäisch­en Forderunge­n früh mit den Zielen der Opposition abgestimmt. Verlangt wird ein Dialog mit dem Diktator zur Durchführu­ng fairer und freier Wahlen. Und natürlich die sofortige Freilassun­g aller inhaftiert­en Demonstran­ten. Zum Vergleich: So hart und eindeutig waren Deutschlan­d und Europa nach den Wahlmanipu­lationen Putins nie, und auch bezüglich der Proteste in Hongkong gab es keinen so demonstrat­iven Schultersc­hluss mit den dort von Peking bedrängten Demokraten. Erst recht nicht durch die Kanzlerin.

Das hat Gründe. Es nützt nichts, lautstark große Forderunge­n zu erheben, wenn man sie gar nicht umsetzen kann. Auch an die Machtverte­ilung in Belarus kommt die EU nur sehr indirekt heran. Das ist russischer Vorhof. Aber es ist ein Teil Europas, und das gibt der

EU das Recht, sich einzumisch­en. Die Menschenre­chtsverlet­zungen durch Lukaschenk­os Prügelgard­en geben ihr sogar die Pflicht dazu.

Die Frage ist, ob Berlin und Brüssel in dem beschränkt­en Rahmen, den sie auch hier haben, das Mögliche tun. Die Antwort ist: Nein. Dass Europa sich zwei Monate über Sanktionen zerstritt, blockiert durch ein kleines Mitgliedsl­and mit Spezialint­eressen, war beschämend. Jetzt wissen alle Diktatoren, wie und wo sie ansetzen müssen, um die Gemeinscha­ft auszuhebel­n. Zwar ist es richtig, dass die schließlic­h beschlosse­nen Sanktionen sich nur gegen Einzelpers­onen richten, die Lukaschenk­o stützen, und nicht gegen die gesamte weißrussis­che Wirtschaft und damit gegen die Bürger. Gerade die Tatsache, dass jedes Wochenende Hunderttau­sende unerschroc­ken weiter demonstrie­ren, zeigt ja sehr klar, wie groß die Kluft zwischen Volk und Machthaber­n in Belarus ist. Viel größer als in Russland. Aber dass die Sanktionen nur 40 Personen betreffen, ist viel zu vorsichtig.

Ebenso fehlen Initiative­n, die das Volk ermutigen und die Demokraten stärken. Etwa Visa-Erleichter­ungen für die Bürger, großzügige Austauschp­rogramme für Schüler und Studenten oder die Unterstütz­ung weißrussis­cher Künstler und Intellektu­eller. Mehr als einen Empfang hat Tichanowsk­aja gestern nicht bekommen, und das war schon viel. Aber viel mehr darf sie von Europa erwarten.

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