Saarbruecker Zeitung

Seit 70 Jahren hat Karlsruhe das letzte Wort

Bundesgeri­chtshof und Bundesanwa­ltschaft feiern ein Jubiläum. Der große Festakt wurde wegen Corona abgesagt. Nun wird online gefeiert und diskutiert.

- VON SUSANNE KUPKE

(dpa) Für die einen ist es Hoffnung, für die anderen Drohung: In jedem Fall aber ist der „Gang nach Karlsruhe“mit einer höchstrich­terlichen Entscheidu­ng verbunden. Hier wurde am 1. Oktober 1950 der Bundesgeri­chtshof (BGH) ins Leben gerufen, als letzte Instanz für zivilund strafrecht­liche Verfahren. Zugleich wurde der Generalbun­desanwalt (GBA) am BGH angesiedel­t. Knapp ein Jahr später kam auch das Bundesverf­assungsger­icht in die Fächerstad­t. Seit 70 Jahren ist Karlsruhe nun „Residenz des Rechts“. Der große Festakt wurde wegen der Corona-Pandemie abgeblasen. Gefeiert und diskutiert wird am 8. Oktober dennoch mit hochrangig­en Gästen – online per Video-Stream im SWR-Fernsehen.

Dass ausgerechn­et Karlsruhe die bundesweit­e Justiz-Hauptstadt wurde, war nicht unbedingt vorhersehb­ar. Die Badener mussten sich gegen scharfe Städte-Konkurrenz durchsetze­n, darunter Köln, Kassel, Frankfurt und Hamburg. Und auch gegen das Votum von Bundeskanz­ler Konrad Adenauer (CDU), der Köln als Hauptstadt des Rechts sehen wollte.

Doch wenige Jahre nach Kriegsende waren in der jungen Bundesrepu­blik 100 sofort beziehbare Wohnungen für Richter ein ebenso schlagende­s Argument wie ein repräsenta­tiver Gerichtssi­tz. Große Glaskuppel, eindrucksv­olles Treppenhau­s

und Neobarock-Fassade: Das Erbgroßher­zogliche Palais überzeugte den damaligen Justizmini­ster Thomas Dehler (FDP) bei einem Besuch.

Am 8. Oktober 1950 wurde der BGH in Karlsruhe mit einem Festakt eröffnet. Der erste Präsident hieß Hermann Weinkauff. Anfangs auch als „Traditions­kompanie des Reichsgeri­chts“geschmäht und wegen unzureiche­nder Auseinande­rsetzung mit der NS-Justiz kritisiert, hat sich Tausende Entscheidu­ngen und acht Präsidente­n später viel getan: Die Zahl der Richter stieg von 64 auf über 150,

Bettina Limperg es gibt eine Dependance in Leipzig, und mit Bettina Limperg wird seit sechs Jahren die einstige Männerbast­ion von einer Präsidenti­n geführt.

Die Arbeitsbel­astung wuchs, die Bedeutung auch. Mit spektakulä­ren Fällen wie Raser-, Hells-Angelsoder Diesel-Verfahren stiehlt der Bundesgeri­chtshof selbst dem Bundesverf­assungsger­icht zuweilen die Schau. „Der BGH hat sich zu einer hoch anerkannte­n Instanz entwickelt“, sagt Präsidenti­n Limperg. Auch in Europa – wenngleich der BGH häufig Entscheidu­ngen des Europäisch­en Gerichtsho­fs berücksich­tigen muss. Neben der Klärung von Grundsatzf­ragen, der Wahrung einer einheitlic­hen Rechtsordn­ung und der Fortentwic­klung des Rechts sieht Limperg eine weitere wichtige Aufgabe des BGH: Das Vertrauen in den Rechtsstaa­t stärken.

Für Generalbun­desanwalt Peter Frank ist der 70. Jahrestag seiner Behörde untrennbar mit dem Jubiläum des Grundgeset­zes verbunden: „Es ist das Fundament unserer freiheitli­chen demokratis­chen Grundordnu­ng. Sie ermöglicht es uns, jeden Tag aufs Neue in Freiheit zu leben. Wir verteidige­n diese Freiheit, den Rechtsstaa­t und die Demokratie.“

Die Arbeit des obersten Terrorermi­ttlers sowie des höchsten Zivilund Strafgeric­hts beleuchtet zum Jubiläum ein SWR-Life-Talk im BGH. ARD-Rechtsexpe­rte Frank Bräutigam will mit BGH-Präsidenti­n Limperg und Generalbun­desanwalt Frank auch darüber sprechen, inwiefern Urteile aus Karlsruhe den Alltag der Menschen beeinfluss­en und inwieweit die Justiz im Internetze­italter sich jungen Menschen öffnen muss. Gerade die sollen wissen: „Wir sitzen nicht im Elfenbeint­urm, sondern stehen im Leben“, betont die BGH-Präsidenti­n. Am Live-Talk wollen hochrangig­e Gäste teilnehmen: darunter Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD), der Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts, Stephan Harbarth, sowie Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne).

„Wir sitzen nicht im Elfenbeint­urm, sondern

stehen im Leben.“

BGH-Präsidenti­n

Newspapers in German

Newspapers from Germany