Eine kleine Revolution in den Gerichtssälen
Am Landgericht in Saarbrücken können Prozessbeteiligte mittlerweile per Video zugeschaltet werden. Anwälte sind angetan.
„Hören Sie uns?“Bevor es losgeht, muss der Vorsitzende Richter Olaf Weber erst einmal dafür sorgen, dass er überall verstanden wird. Denn die Beteiligten, die sich an diesem Dienstag vor der 7. Zivilkammer des Saarbrücker Landgerichts über den Namen von Dating-Portalen streiten, sitzen nicht alle im Verhandlungssaal 121. Einige sind per Video zugeschaltet, aus Berlin und Paris. Es dauert ein bisschen, bis alle sich technisch eingerichtet haben und die störenden Nebengeräusche in dem Büro in Paris verstummt sind, aber dann läuft es, Weber hat die Sache im Griff.
Was in Unternehmen seit Jahren eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich Videokonferenzen, kommt in der Justiz einer kleinen Revolution gleich. Die gesetzliche Möglichkeit gibt es seit Jahren, hier und da machten Richter auch Gebrauch davon, aber es war umständlich und die Richter brauchten technische Hilfe. Das hat sich mit Corona geändert. „Sehr entschlossen“habe die Landesregierung gehandelt, sagt Landgerichtspräsident Hans-Peter Freymann. Dadurch habe direkt zu Beginn der Krise ein System zur Verfügung gestanden, das Videokonferenzen „in breitem Umfang und ohne nennenswerte technische Hürden“ermögliche.
Fünf Verhandlungssäle am Landgericht sind inzwischen technisch dafür ausgestattet. Wo in anderen Verhandlungssälen über der Richterempore das Kreuz hängt, wurden überdimensionale Flachbildschirme an die Wand gedübelt, auf denen die zugeschalteten Anwälte und sonstigen Prozessbeteiligten zu sehen sind. Die Richter haben das gleiche Bild auf einem Laptop. Wer zugeschaltet ist, sieht alle anderen Akteure ebenfalls per Video. Möglich macht das eine 360-Grad-Kamera in der Mitte des Saals.
Aus den bisherigen Verfahren, die vor dem Landgericht über Video stattfanden, ragt nach Ansicht der Justiz eines besonders hervor: der Streit um naturschutzrechtlich erforderliche Ausgleichsflächen für Windkraftanlagen, auf dem Spiel stand ein zweistelliger Millionenbetrag.
Die 7. Zivilkammer erörterte die wettbewerbs- und kartellrechtlichen Fragen in einer Videokonferenz, an der ein Dutzend Personen teilnahmen. Für Strafprozesse gibt es bislang noch keine vergleichbaren gesetzlichen Möglichkeiten zum
Einsatz von Videotechnik.
Die Zustimmung sei nicht nur in der Richterschaft, sondern auch in der Anwaltschaft und bei den Sachverständigen groß, sagt Gerichtspräsident Freymann. Ein Kölner Anwalt und Fachmann für Wettbewerbs-, Urheber- und Medienrecht warf im April – nachdem er an einer Video-Verhandlung am Saarbrücker Landgericht teilnahm – in einem Internet-Beitrag sogar die Frage auf, ob das Gericht nun „das modernste Gericht Deutschlands“sei. Auch der Präsident des Saarländischen Anwaltvereins (SAV), Olaf Jaeger, ist überzeugt, dass das Saarland bei diesem Thema weit vorne ist.
Justiz-Staatssekretär Roland Theis (CDU) sagte, Videokonferenztechnik mache Verfahren für Bürger und Wirtschaft schneller. Das Landgericht habe eine Vorreiterrolle, die den Justiz-Standort Saarland attraktiv mache. „Das wollen wir weiter ausbauen.“Landgerichtspräsident Freymann bestätigt: „Nach den gemachten Erfahrungen gehe ich davon aus, dass wir auch künftig in deutlich stärkerem Umfang als noch in der ‚Vor-Corona-Zeit‘ von den gesetzlichen Möglichkeiten, Videokonferenztechnik im Gerichtsalltag einzusetzen, Gebrauch machen werden.“
SAV-Präsident Olaf Jaeger sagt, überall dort, wo es zum Beispiel um rechtliche Erörterungen gehe, seien Videokonferenzen sinnvoll – da müsse man dann nicht durch die halbe Republik fahren und könne Zeit und Kosten sparen. Allerdings gibt Jaeger zu bedenken, dass Videokonferenzen im Gericht auch Grenzen hätten, und zwar immer dann, wenn der „Faktor Mensch“eine Rolle spiele. Bei schwierigen Vergleichsverhandlungen zum Beispiel müsse man sich in die Augen sehen können. Oder wenn es darum gehe, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen. „Ich will sehen, ob der Schweiß auf der Stirn hat“, sagt Jaeger.