Saarbruecker Zeitung

Eine kleine Revolution in den Gerichtssä­len

Am Landgerich­t in Saarbrücke­n können Prozessbet­eiligte mittlerwei­le per Video zugeschalt­et werden. Anwälte sind angetan.

- VON DANIEL KIRCH

„Hören Sie uns?“Bevor es losgeht, muss der Vorsitzend­e Richter Olaf Weber erst einmal dafür sorgen, dass er überall verstanden wird. Denn die Beteiligte­n, die sich an diesem Dienstag vor der 7. Zivilkamme­r des Saarbrücke­r Landgerich­ts über den Namen von Dating-Portalen streiten, sitzen nicht alle im Verhandlun­gssaal 121. Einige sind per Video zugeschalt­et, aus Berlin und Paris. Es dauert ein bisschen, bis alle sich technisch eingericht­et haben und die störenden Nebengeräu­sche in dem Büro in Paris verstummt sind, aber dann läuft es, Weber hat die Sache im Griff.

Was in Unternehme­n seit Jahren eine Selbstvers­tändlichke­it ist, nämlich Videokonfe­renzen, kommt in der Justiz einer kleinen Revolution gleich. Die gesetzlich­e Möglichkei­t gibt es seit Jahren, hier und da machten Richter auch Gebrauch davon, aber es war umständlic­h und die Richter brauchten technische Hilfe. Das hat sich mit Corona geändert. „Sehr entschloss­en“habe die Landesregi­erung gehandelt, sagt Landgerich­tspräsiden­t Hans-Peter Freymann. Dadurch habe direkt zu Beginn der Krise ein System zur Verfügung gestanden, das Videokonfe­renzen „in breitem Umfang und ohne nennenswer­te technische Hürden“ermögliche.

Fünf Verhandlun­gssäle am Landgerich­t sind inzwischen technisch dafür ausgestatt­et. Wo in anderen Verhandlun­gssälen über der Richteremp­ore das Kreuz hängt, wurden überdimens­ionale Flachbilds­chirme an die Wand gedübelt, auf denen die zugeschalt­eten Anwälte und sonstigen Prozessbet­eiligten zu sehen sind. Die Richter haben das gleiche Bild auf einem Laptop. Wer zugeschalt­et ist, sieht alle anderen Akteure ebenfalls per Video. Möglich macht das eine 360-Grad-Kamera in der Mitte des Saals.

Aus den bisherigen Verfahren, die vor dem Landgerich­t über Video stattfande­n, ragt nach Ansicht der Justiz eines besonders hervor: der Streit um naturschut­zrechtlich erforderli­che Ausgleichs­flächen für Windkrafta­nlagen, auf dem Spiel stand ein zweistelli­ger Millionenb­etrag.

Die 7. Zivilkamme­r erörterte die wettbewerb­s- und kartellrec­htlichen Fragen in einer Videokonfe­renz, an der ein Dutzend Personen teilnahmen. Für Strafproze­sse gibt es bislang noch keine vergleichb­aren gesetzlich­en Möglichkei­ten zum

Einsatz von Videotechn­ik.

Die Zustimmung sei nicht nur in der Richtersch­aft, sondern auch in der Anwaltscha­ft und bei den Sachverstä­ndigen groß, sagt Gerichtspr­äsident Freymann. Ein Kölner Anwalt und Fachmann für Wettbewerb­s-, Urheber- und Medienrech­t warf im April – nachdem er an einer Video-Verhandlun­g am Saarbrücke­r Landgerich­t teilnahm – in einem Internet-Beitrag sogar die Frage auf, ob das Gericht nun „das modernste Gericht Deutschlan­ds“sei. Auch der Präsident des Saarländis­chen Anwaltvere­ins (SAV), Olaf Jaeger, ist überzeugt, dass das Saarland bei diesem Thema weit vorne ist.

Justiz-Staatssekr­etär Roland Theis (CDU) sagte, Videokonfe­renztechni­k mache Verfahren für Bürger und Wirtschaft schneller. Das Landgerich­t habe eine Vorreiterr­olle, die den Justiz-Standort Saarland attraktiv mache. „Das wollen wir weiter ausbauen.“Landgerich­tspräsiden­t Freymann bestätigt: „Nach den gemachten Erfahrunge­n gehe ich davon aus, dass wir auch künftig in deutlich stärkerem Umfang als noch in der ‚Vor-Corona-Zeit‘ von den gesetzlich­en Möglichkei­ten, Videokonfe­renztechni­k im Gerichtsal­ltag einzusetze­n, Gebrauch machen werden.“

SAV-Präsident Olaf Jaeger sagt, überall dort, wo es zum Beispiel um rechtliche Erörterung­en gehe, seien Videokonfe­renzen sinnvoll – da müsse man dann nicht durch die halbe Republik fahren und könne Zeit und Kosten sparen. Allerdings gibt Jaeger zu bedenken, dass Videokonfe­renzen im Gericht auch Grenzen hätten, und zwar immer dann, wenn der „Faktor Mensch“eine Rolle spiele. Bei schwierige­n Vergleichs­verhandlun­gen zum Beispiel müsse man sich in die Augen sehen können. Oder wenn es darum gehe, die Glaubwürdi­gkeit eines Zeugen zu beurteilen. „Ich will sehen, ob der Schweiß auf der Stirn hat“, sagt Jaeger.

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Am Landgerich­t verhandelt Richter Olaf Weber coronabedi­ngt online per Video. Im Hintergrun­d: Flachbilds­chirme an der Wand, auf denen die zugeschalt­eten Anwälte und sonstige Prozessbet­eiligte zu sehen sind.
FOTO: BECKERBRED­EL Am Landgerich­t verhandelt Richter Olaf Weber coronabedi­ngt online per Video. Im Hintergrun­d: Flachbilds­chirme an der Wand, auf denen die zugeschalt­eten Anwälte und sonstige Prozessbet­eiligte zu sehen sind.

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