Saarbruecker Zeitung

Der Multiinstr­umentalist, der aus Israel kam

David Windmüller wuchs in Tel Aviv auf und kam als Teenager nach Saarbrücke­n, wo er erst mal „faule Jahre“verbrachte, wie er sagt.

- VON SEBASTIAN DINGLER

Unter den Saarbrücke­r Musikern ist David Windmüller unter mehreren Gesichtspu­nkten eine Besonderhe­it. Der 31-Jährige spielt mehrere Instrument­e auf hohem Niveau, obwohl er nie eine Musikhochs­chule besucht hat. Anders als sein Vater Yaron Windmüller, der seit Jahren an der Saarbrücke­r Musikhochs­chule Gesang lehrt.

David wächst in Israel auf und kommt erst im Alter von 16 Jahren nach Deutschlan­d. Seinen schwarzen Humor beweist er mit dem bösen Scherz: „Ohne Hitler würde es mich nicht geben.“Denn Windmüller­s Großeltern lernten sich auf einem Schiff kennen, auf der Flucht aus Nazi-Deutschlan­d.

Er selbst betrachtet sich als Jude, aber nicht als praktizier­end religiös. In Israel aufzuwachs­en sei schon etwas ganz anderes gewesen. Als er 1988 geboren wird, tobt gerade die Intifada, der gewaltsame Aufstand der Palästinen­ser. „Wenn das so deine ersten Erinnerung­en sind, dass es auch mal heißt, geht am Wochenende nicht raus, meidet Busse und Plätze, das ist dann schon anders als eine Kindheit in Deutschlan­d.“

Die Mentalität sei etwas kühler in Israel, das Misstrauen stark: „Wenn einem jemand auf der Straße entgegenko­mmt, guckt man schon: Hält er eine Tasche, hat er einen Gürtel an?“Dabei sei es für David in Tel Aviv auch ganz normal gewesen, arabische Freunde zu haben. Die meisten Muslime dort seien auch froh, in Israel zu leben, denn in den Ländern drum rum gebe es keine Demokratie und weniger Rechte. „Das wissen hier viele nicht. Gerade in Deutschlan­d geht’s einem so gut, dass man sich oft Probleme sucht. Dann heißt es Free Palestine oder Free Tibet, und es wird von Themen geschwätzt, von denen man gar keine Ahnung hat.“

Musikalisc­h geht es für David mit dem Klavier los: „Mit vier habe ich wohl zum ersten Mal ein Klavier gehört und muss wohl meine Eltern so hart genervt haben, dass sie eines gekauft haben.“Aber der klassische Unterricht verleidet ihm zunächst die Lust am Instrument. Mit 13 bekommt David seine erste Gitarre und hört Aerosmith und Eminem, „einfach typisch für das Alter“.

Drei Jahre später lässt er sich seine markanten Dreadlocks wachsen. Das bringt viele auf die falsche Fährte, denn Reggae ist gar nicht seine Musik. „Ich hatte nie ein Bob-Marley-Plakat im Zimmer.“Zu dieser Zeit mag er Dream Theater oder die längst vergessene Progrock-Band UK.

Heute steht Windmüller auf das perfektion­istische Fusion-Kollektiv Snarky Puppy oder den britischen Multiinstr­umentalist­en Jacob Collier. Doch zurück in die Jugendjahr­e: Mit 16 gibt es den schon erwähnten Einschnitt, Deutschlan­d statt Israel. Das kommt so: „Ich habe alles schleifen lassen, nur noch Computersp­iele gezockt.“

Da macht ihm sein Vater ein Angebot:

„Er rief mich an und meinte, er hätte die Idee, dass ich zu ihm komme.“David bekommt 24 Stunden Bedenkzeit, dann sagt er zu. Zwei Monate später fliegt er nach Deutschlan­d, obwohl er zu dem Zeitpunkt kein Deutsch spricht. Auf dem Otto-Hahn-Gymnasium wiederholt er eine Klasse, auch um die Sprache zu lernen. Aber mit dem Schulsyste­m kann er sich auch hier nicht anfreunden. Zumal seine Hauptbesch­äftigung weiterhin die Computersp­iele bleiben.

Dann kommt der Tag, wo die Zockerei ein Ende hat: „Es war mir schockarti­g klargeword­en, wie viel Zeit, Energie und Ressourcen das verbraucht. Das ging mir kalt den Rücken runter – dass ich jahrelang zehn Stunden am Tag mit nichts verbracht hatte!“Er löscht sämtliche Spiele von seinem Rechner und lässt ab da die Finger davon.

Dennoch beginnen bei David, wie er sagt, seine „Faultier-Jahre“: „Um 15 Uhr aufstehen und nix machen.“Musik spielt erstmal nur eine Nebenrolle: Seine erste Band mit Michael Schaefer sowie Dominic Steffen heißt Multiple Choice, Inèz Schaefer singt dort manchmal, die just die Co-Chefin des neuen Resonanzen-Festivals ist.

Windmüller wohnt in einer Wohngemein­schaft, wo auch David Kassung lebt. Die beiden gründen die Band Professor Aldente, zu der später Finn Tödte und Max Popp dazustoßen. Mit 20 Jahren kommt ein weiterer Umschwung. Windmüller­s erster Job als Aufbauhelf­er bei Konzerten und Tagungen am Schloss erlaubt es ihm, die Miete der ersten eigenen Wohnung zu bezahlen.

Mit seiner Herzensban­d Professor Aldente geht es aufwärts. Der Witz: Er, Tödte und Popp sind alle drei Multiinstr­umentalist­en, wechseln sich an Schlagzeug, Bass, Gitarre und Keyboard ab. Windmüller eignet sich derweil Kenntnisse in Studioprod­uktion an, dabei helfen ihm Francesco Cottone, David Scheidt und Bernie Götz.

Durch Zufall kommt er zur Zweiten Chance, heute sein Arbeitspla­tz. Der Verein kümmert sich sozial benachteil­igte Jugendlich­e – ein Tonstudio, wo sie sich kreativ ausleben können, fördert deren Entwicklun­g. „Mein Chef Saeid Teimouri kannte mich als Musiker und fragte, ob ich nicht einen 400

Euro-Job haben möchte.“

Heute arbeitet Windmüller 30 Stunden als musikalisc­her Leiter in der Einrichtun­g im Nauwieser Viertel. Neben Professor Aldente spielt er Klavier bei der Swing-Band Metropuls oder wird als Sessionmus­iker gebucht. In jüngster Zeit ist er als Audio-Ingenieur im Künstler Netzwerk Resarevoir Audiovisuä­l tätig, das unter anderem die beeindruck­end hochwertig­en Livestream­s Quasi.live produziert. Windmüller ist dort angekommen, wo er letztlich hin wollte: Sein Leben der Musik zu widmen – „in allen Facetten“.

Am Samstag, 10. Oktober, spielt David Windmüller mit Professor Aldente im Rahmen des Festivals Resonanzen im Studio 30. Infos hierzu und zum Festival, das noch bis Sonntag läuft auf der Internetse­ite www.resonanzen­festival.de

„Das ging mir kalt den Rücken runter – dass ich jahrelang zehn Stunden am Tag mit nichts verbracht hatte!“David Windmüller über den Moment, als er die Spiele von seinem Computer löschte

 ?? FOTO: DINGLER ?? David Windmüller ist Musiker und Produzent. Sein Arbeitspla­tz ist das Studio der Zweiten Chance. Am Samstag spielt er beim Resonanzen-Festival.
FOTO: DINGLER David Windmüller ist Musiker und Produzent. Sein Arbeitspla­tz ist das Studio der Zweiten Chance. Am Samstag spielt er beim Resonanzen-Festival.

Newspapers in German

Newspapers from Germany