Saarbruecker Zeitung

Gesundheit­s-Apps in Zukunft auf Rezept

Die ersten digitalen Gesundheit­s-Anwendunge­n können von Ärzten verschrieb­en und der Krankenkas­se bezahlt werden.

- VON DANIEL BONENBERGE­R

Digitale Gesundheit­sangebote boomen nicht erst seit Corona, haben seitdem aber einen zusätzlich­en Schub erfahren. Das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) hat nun die ersten „Apps auf Rezept“in das neue Verzeichni­s für digitale Gesundheit­sanwendung­en (DiGA) aufgenomme­n. Im DiGA-Verzeichni­s werden digitale Gesundheit­sanwendung­en gelistet, also Apps oder browserbas­ierte Anwendunge­n, die als Medizinpro­dukt zertifizie­rt sind.

Als erste Anwendunge­n hat das BfArM die App kalmeda und die Webanwendu­ng velibra zugelassen. Die App kalmeda des Hersteller­s mynoise bietet Patienten mit chronische­r Tinnitusbe­lastung eine verhaltens­therapeuti­sche Behandlung. Außerdem stellt sie verschiede­ne Tondateien mit Naturgeräu­schen zur Verfügung, die bei der Entspannun­g helfen sollen.

Die Webanwendu­ng velibra des Hersteller­s GAIA AG dient der Unterstütz­ung von Patienten mit Symptomen von bestimmten Angststöru­ngen. Die Hauptfunkt­ion besteht in einem Dialog. Velibra fragt nach dem Gefühlszus­tand des Nutzers und gibt verschiede­ne Hilfestell­ungen, wie er in der jeweiligen Situation darauf reagieren kann. Patienten werden zudem dazu motiviert, Hausaufgab­en zu bearbeiten, um von einer möglichen Angststöru­ng abzulenken. Die App kalmeda kostet 39 Euro monatlich, die Anwendung valebra ist in der Basisanwen­dung kostenlos. Für jeweils drei Euro können verschiede­ne Zusatzfunk­tionen gekauft werden. Noch in diesem Jahr sollen beide Anwendunge­n vom Hausarzt per Rezept verschrieb­en werden können.

Das regelt das „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisi­erung und Innovation“(Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG), welches am 19. Dezember 2019 in Kraft getreten ist.

In Zukunft sollen zugelassen­e Apps Nutzer beispielsw­eise darin unterstütz­en, sich an Arzneimitt­elpläne zu erinnern oder die Blutzucker­werte zu dokumentie­ren. Damit eine Anwendung zugelassen wird, wird sie zunächst vom Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) auf Sicherheit, Funktionst­auglichkei­t, Qualität, Datensiche­rheit und Datenschut­z geprüft. Ist sie zugelassen, wird sie laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium zunächst vorläufig für ein Jahr von der Krankenkas­se erstattet. In dieser Zeit müsse der Hersteller beim BfArM nachweisen, dass die App die Versorgung der Patienten verbessert.

Ob die Apps ihren Vorschussl­orbeeren gerecht werden könnten, könne derzeit noch niemand wissen, sagt der Pressespre­cher der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, Roland Stahl gegenüber unserer Zeitung. „Noch kann niemand sagen, welche Rolle Apps in der Patientenv­ersorgung wirklich spielen werden. Sie müssen einen Mehrwert für den Patienten mit sich bringen und auch verständli­ch sein. Außerdem müssen sie sicher sein – sowohl in der Funktional­ität als auch im Datenschut­z.“Die Frage sei ja auch, ob die Patienten durchhielt­en und die Apps konsequent nutzten. Auf vielen Smartphone­s fänden sich sehr viele Apps. Aber nur wenige würden wirklich genutzt, sagt Stahl. Wichtig sei es zudem, dass die App-Anbieter nützliche Informatio­nen für Ärzte böten. Denn kein Arzt werde etwas verschreib­en, was er nicht kenne.

Aktuell befinden sich laut BfArM 21 Anwendunge­n in der Prüfung. Für weitere rund 75 Anwendunge­n habe das Innovation­sbüro des Instituts bereits Beratungsg­espräche mit den Hersteller­n geführt, sodass schon bald weitere Anwendunge­n in die Prüfung und ins Verzeichni­s kommen könnten.

Welche Anforderun­gen digitale Gesundheit­sanwendung­en erfüllen müssen, hat das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium in der Verordnung über Digitale Gesundheit­sanwendung­en (DiGAV) geregelt. Hier werde klargestel­lt, welche Anforderun­gen an Qualität, Sicherheit und Datenschut­z die Apps zu leisten hätten, wann eine App einen Mehrwert für die Gesundheit­sversorgun­g darstelle und ob sie nutzerfreu­ndlich und leicht verständli­ch sei.

Besonderes Augenmerk liegt dem Verbrauche­rzentrale-Bundesverb­and (VZBV) zufolge auf dem Datenschut­z, der bei den meisten Apps zu kurz kommt. „Grundsätzl­ich sind viele Apps bezüglich des Datenschut­zes sehr kritisch zu bewerten. In vielen Gesundheit­sapps werden sensible Daten erhoben, gespeicher­t und verarbeite­t.“Nutzer wüssten bei vielen Apps nicht, wem die persönlich­en Daten anvertraut würden. Darin bestehe ein großes Datenschut­zproblem. Denn schon der Download einer App hinterlass­e Spuren. Deshalb werde auch diskutiert, ob für Apps, die von Ärzten verordnet und von Krankenkas­sen bezahlt werden, der Download in den Stores von Apple und Google überhaupt der richtige Weg sei.

Es empfehle sich auf jeden Fall, die Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen einer App zu lesen und zu prüfen, welche Daten die App abrufe und ob sie diese eventuell an Dritte weiterleit­e.

Dem VZBV zufolge werden Gesundheit­sapps in den Stores von Apple und Google angeboten, die in den Bereichen Fitness, Gesundheit und medizinisc­he Versorgung die Verbrauche­r informiere­n, Prävention­smaßnahmen anbieten oder bei der Ernährung unterstütz­en. Sie messen, speichern und werten medizinisc­he Daten aus.

Dabei ließen sich drei Kategorien unterschei­den. Sogenannte Lifestyle-Apps könnten dabei helfen, gesundheit­sbewusstes Verhalten zu unterstütz­en. Dazu zählten unter anderem Fitness-Apps sowie Ernährungs- und Bewegungsa­pps.

Eine zweite Kategorie stellten serviceori­entierte Apps dar. Sie erinnerten beispielsw­eise daran, Medikament­e zu nehmen, überwachte­n den Impfstatus oder würden bei der Organisati­on von Untersuchu­ngen zur Vorsorge und Früherkenn­ung helfen. Außerdem böten sie die Möglichkei­t, Arzttermin­e zu vereinbare­n und dienten als Tagebuch, um im Krankheits­fall Symptome zu dokumentie­ren: „Viele Krankenkas­sen bieten mittlerwei­le ihren Mitglieder­n Krankenkas­sen-Apps an, die die Kommunikat­ion erleichter­n. Außerdem sollen sie bei der Suche nach Ärzten oder der Verwaltung von Gesundheit­sdaten helfen“, sagen die Verbrauche­rschützer.

In die dritte Kategorie fielen medizinisc­he Apps, die der Diagnose oder Therapie einer Erkrankung dienten. Sie könnten beispielsw­eise Blutzucker­daten auswerten. Diese Apps sollten als Medizinpro­dukt zugelassen sein.

Sie könnten bei der Behandlung von Rückenschm­erzen zum Einsatz kommen, beim Umgang mit Tinnitus unterstütz­en oder dabei helfen, Depression­en zu behandeln. Apps als Tagebücher für Diabetiker, für Migräne und Schwangers­chaften ergänzten das Angebot.

Dem Digitalver­band Bitkom zufolge verwenden schon 65 Prozent der Smartphone-Besitzer Gesundheit­s-Apps. Am beliebtest­en seien Anwendunge­n, die über Gesundheit­s-, Fitness-, Gewichts- oder Ernährungs­themen informiere­n. Sie würden bereits von 26 Prozent der Deutschen aktiv genutzt. 24 Prozent setzten Apps ein, die Körper- und Fitnessdat­en wie Herzfreque­nz, Blutdruck oder gegangene Schritte aufzeichne­n. 17 Prozent hätten Workout-Apps mit Anleitunge­n für Übungen zu Hause oder unterwegs und 15 Prozent ließen sich durch Apps auf Grundlage von aufgezeich­neten Vitaldaten Ratschläge geben.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Bei der Behandlung von Tinnitus oder Angststöru­ngen können jetzt Apps helfen, die der Arzt per Rezept verschreib­t.

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