„Die Situation für die Kinos spitzt sich weiter zu“
James Bond und andere potenzielle Hits verschoben, dazu Hygieneregeln, die den wirtschaftlichen Betrieb unmöglich machen: Werden im Winter die ersten Kinos sterben?
Ein Kino zu betreiben, kann ein Traumberuf sein. Zurzeit ist es eher ein Albtraumberuf. Kinoschließungen wegen Corona über Monate, dann ein schwieriger Neustart mit großen Hemmnissen: Die Hygiene-Abstandsregeln lassen die Auslastung empfindlich schrumpfen, manche Kinofans trauen sich nur zögerlich in die Filmtheater – und die Verleihe halten ihre publikumsträchtigsten Filme zurück, warten auf Zeiten, in denen Kinos wieder mehr zahlende Kunden empfangen können – wann immer das sein mag.
Viel Hoffnung ruhte Ende August auf Christopher Nolans Zeitreise-Thriller „Tenet“, der zum Symbol einer Wiederbelebung wurde. Doch dass der Film sich unter anderem in den deutschen Kinos mit über einer Million Zuschauern relativ gut schlug, war für das betreffende Studio nicht gut genug: Da in den USA noch viele Kinos geschlossen sind, schleppte sich der Film dort zu einem enttäuschenden, in normalen Zeiten sogar desaströsen Einspielergebnis von aktuell 45 Millionen Dollar (bei einem Budget von 200 Millionen Dollar ohne Marketing). Die Reaktion darauf erschüttert nun auch die kommerziellen deutschen Filmtheater (Arthouseund Kommunal-Kinos können zumindest das gelassener sehen): Bond Nummer 25, „Keine Zeit zu sterben“, wurde noch einmal verschoben, von diesem November auf April 2021 (wir haben berichtet).
„Die Nachricht traf uns natürlich hart“, sagt Claudia Ziegler von Haas Filmtheaterbetriebe (Capitol Saarlouis, Union Illingen, Neues Theater St. Wendel und City Filmstudio Lebach) und spricht wohl auch für die Kolleginnen und Kollegen. „Die Situation für die Kinos spitzt sich dadurch noch weiter zu.“Sofort ist ein weiterer potenzieller Film-Hit der Bond-Taktik gefolgt: Der Science-Fiction-Film „Dune“, der das Weihnachtsgeschäft 2020 hätte beleben können, startet nun erst im Herbst 2021. Steven Spielbergs „West Side Story“ist statt diesem Dezember ein Jahr später zu sehen, ähnlich ist es bei „Jurassic World: Dominion“; das Dino-Spektakel startet statt Juni 2021 erst zur Jahresmitte 2022 (!). In Zeiten wie diesen muss man fast schon dankbar sein, dass diese Filme nicht zwischendurch bei Streaming-Diensten ausgewertet werden (beziehungsweise verramscht, je nach Auffassung) – siehe Disneys „Mulan“beim hauseigenen Anbieter Disney+ – möglicherweise ohnehin ein Test, ob es sich rechnet, Kinos außen vor zu lassen, um beim hauseigenen Streamen mit einer höheren Gewinnspanne zu operieren.
Die nächsten Monate werden brutal für die Kinos und in einigen Fällen wohl über Existenz oder Schließung entscheiden. Können veränderte Abstände die Situation maßgeblich verbessern? Die „AG Kino – Gilde Deutscher Filmkunstheater“konstatiert, dass „in den meisten Bundesländern
„Die Nachricht traf uns natürlich sehr hart.“Claudia Ziegler
(Haas Filmtheater)
ein Abstand von 1,50 Metern zwischen den Besuchern im Saal“vorgeschrieben sei, „so dass die Auslastung auf 25 bis 30 Prozent beschränkt bleibt. Dies kommt praktisch einem Berufsverbot gleich.“Deshalb appelliert die Gilde an die Politik, die Abstandsregeln bundesweit auf einen Sitzplatz zwischen Besuchergruppen zu reduzieren. Eine Reaktion gab es bisher nicht.
Gibt es bei alledem auch gute Nachrichten? Bedingt schon, denn gegenüber den global operierenden Studios und Verleihen, die Großfilme wie Bond weltweit gleichzeitig starten (oder eben weltweit gleichzeitig verschieben), sind heimische Unternehmen flexibler und können in Lücken springen, die die verschobenen
Filme hinterlassen haben. „Kaiserschmarrndrama“etwa, der jüngste Kinofilm um den grantelnden bayerischen Provinzpolizisten Franz Eberhofer – in besseren Zeiten für den August geplant und dann aus dem Programm genommen – startet nun just an dem nicht mehr existenten Bond-Termin, dem 12. November. Besuchermassen wie bei 007 muss man nun nicht erwarten, allerdings zählte der Vorgänger „Leberkäsjunkie“1,2 Millionen Besucher (vor allem wohl im süddeutschen Raum).
Der Verleih ist die Münchener Constantin, die zwei Filme nach vorne zieht, das Unternehmen sieht im programmatisch kargen Kinoherbst offenbar einige Chancen: Die Firma
zeigt die Computerspiel-Verfilmung „Monster Hunter“am 3. Dezember und damit vier Wochen vor dem US-Start, was ungewöhnlich ist – auch wenn das Werk von den „Resident Evil“-Machern eher einen Publikumsfilm der Güteklasse B statt A verspricht. Der Film „Contra“mit Christoph Maria Herbst, inszeniert von Sönke Wortmann („Der bewegte Mann“), soll derweil das Weihnachtsgeschäft beflügeln – der Film geht von Mitte Januar 2021 zurück auf den 23. Dezember. Am selben Tag soll auch der mehrfach verschobene „Wonder Woman 1984“starten. Aber wen würde eine weitere Verschiebung in diesen Zeiten noch ernsthaft überraschen?