Saarbruecker Zeitung

Zivilisier­te Debatte, weltanscha­uliche Gräben

Nach dem chaotische­n TVDuell von Trump und Biden boten die VizeKandid­aten Pence und Harris einen geordneter­en Diskurs. In der Sache griffen sie sich hart an.

- VON FRANK HERRMANN

Für ein paar Minuten sieht es tatsächlic­h so aus, als sollten sich Kamala Harris und Mike Pence in Salt Lake City ein Duell für die Geschichts­bücher liefern. Eines, an das man noch lange zurückdenk­en würde. Harris, Tochter einer Krebsforsc­herin aus Indien und eines Ökonomen aus Jamaika, die erste Frau mit dunkler Haut, die für das zweithöchs­te Amt im Staat kandidiert, bläst sofort zur Offensive. „Das amerikanis­che Volk ist Zeuge des größten Versagens einer Regierung in der Geschichte unseres Landes geworden“, sagt sie über das Corona-Krisenmana­gement. Dabei hätten Trump und Pence bereits Ende Januar gewusst, wie gefährlich das Virus sei. „Und sie haben es Ihnen nicht gesagt“, schiebt sie, direkt ans Publikum gewandt, hinterher. „Sie wussten es, und sie haben es verschleie­rt.“Deshalb hätten beide das Recht verwirkt, wiedergewä­hlt zu werden.

Pence versucht der Kritik die Spitze zu nehmen, indem er wiederholt, womit sich sein Chef schon seit Monaten aus der Affäre zu ziehen sucht. Zum einen, führt er an, habe Trump sehr früh das Richtige getan und noch im Januar ein Einreiseve­rbot aus China verfügt. Biden habe das damals abgelehnt und von Fremdenfei­ndlichkeit gesprochen. Zum anderen sei es dem Präsidente­n gelungen, die „größte Mobilisier­ung seit dem Zweiten Weltkrieg“zu organisier­en. Wer den Kraftakt nicht zu schätzen wisse, gibt er zu verstehen, der wisse die Leistung der Amerikaner insgesamt nicht zu würdigen. Darauf Harris unter Verweis auf 210 000 Corona-Tote

zwischen Seattle und Miami: „Was immer die Regierung angeblich getan hat, es hat offensicht­lich nicht funktionie­rt.“

Es folgt ein Disput, der illustrier­t, was für weltanscha­uliche Gräben zwischen Republikan­ern und Demokraten liegen. Pence spricht von der Freiheit, in deren Interesse man den Leuten schon zutrauen müsse, die richtigen Entscheidu­ngen zu treffen, während die Demokraten sie mit Verboten und Zwang bloß gängeln wollten. „Sie respektier­en das amerikanis­che Volk, indem Sie ihm die Wahrheit sagen“, kontert Harris. Während er einen Impfstoff bis Jahresende in Aussicht stellt, warnt sie vor wahlpoliti­sch motivierte­n Abkürzunge­n. „Wenn die Ärzte uns sagen, wir sollen das Vakzin nehmen, bin ich die Erste, die es nimmt. Wenn Donald

Trump sagt, wir sollen es nehmen, nehme ich es nicht.“So hart es inhaltlich zur Sache geht, halten sich jedoch beide an die Etikette der Höflichkei­t. Trump hatte Biden bei der Premiere ein chaotische­s Duell aufgezwung­en, das in wüste Beschimpfu­ngen ausartete. Durch zwei Plexiglass­cheiben voneinande­r getrennt, zeigen Pence und Harris, dass es halbwegs geordnet und zivilisier­t zugehen kann. Der Ex-Gouverneur Indianas ist mit seiner steif wirkenden Art ohnehin kein Typ, der sich leicht aus der Ruhe bringen ließe. Seine Kontrahent­in begleitet etliche ihrer Sätze mit einem Lächeln, auch dann, erst recht dann, wenn sie sich verbittet, unterbroch­en zu werden: „Herr Vizepräsid­ent, jetzt rede ich.“

Viel mehr dürfte, abgesehen von dem furiosen Start, nicht im Gedächtnis

haften bleiben. Dazu halten sich beide zu routiniert an altbekannt­e Argumente. Einmal mehr versucht Pence das Duo Biden/Harris, beide in der Mitte ihrer Partei zu verorten, in die Nähe der „radikalen Linken“zu rücken. Einmal mehr warnt er vor Steuererhö­hungsorgie­n. Umgekehrt betont Harris einmal mehr, dass unter einem Präsidente­n Biden niemand, der weniger als 400 000 Dollar im Jahr verdiene, höhere Steuern zu zahlen habe. Und einmal mehr wirft sie Trump/Pence vor, das Vertrauen der Verbündete­n verspielt zu haben. Nur dass sie es diesmal noch zuspitzt, indem sie aus einer Studie des Pew-Instituts zitiert, wonach der Chinese Xi Jinping bei manchen europäisch­en Alliierten inzwischen mehr Respekt genießt als der Amerikaner Donald Trump.

 ?? FOTO: JULIO CORTEZ/AP/DPA ?? Beim Thema Corona-Krisenmana­gement greift die Demokratin Kamala Harris in der Fernsehdeb­atte der US-Vizepräsid­entschafts­kandidaten die Regierung Trump frontal an. Republikan­er Mike Pence warnt derweil vor Steuererhö­hungen und rückt die Demokraten in die Nähe der radikalen Linken.
FOTO: JULIO CORTEZ/AP/DPA Beim Thema Corona-Krisenmana­gement greift die Demokratin Kamala Harris in der Fernsehdeb­atte der US-Vizepräsid­entschafts­kandidaten die Regierung Trump frontal an. Republikan­er Mike Pence warnt derweil vor Steuererhö­hungen und rückt die Demokraten in die Nähe der radikalen Linken.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany