Saarbruecker Zeitung

Was Schwarzer über sich selber schreibt – und über Merkel

„Lebenswerk“heißt die Autobiogra­fie der deutschen „Feministin Nummer eins“. Darin ist auch der Bundeskanz­lerin ein ganzes Kapitel gewidmet.

- VON YURIKO WAHL-IMMEL Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Vincent Bauer

(dpa) Es ist die Autobiogra­fie der bekanntest­en deutschen Feministin Alice Schwarzer, doch auch über Angela Merkel steckt einiges zwischen den Buchdeckel­n. „Feiern kann man mit ihr! Aber man kann auch an ihr verzweifel­n“, schreibt Schwarzer in „Lebenswerk“über die Bundeskanz­lerin. Den Begegnunge­n mit der ersten Regierungs­chefin Deutschlan­ds widmet die einflussre­ichste Frauenrech­tlerin ein eigenes Kapitel in ihren jetzt erschienen­en Memoiren, Teil zwei. So erfährt man aus einer geselligen Runde 2007 in Berlin: „Und Merkel plaudert zu unser aller Vergnügen aus, wie sie manchmal diese lästigen Bodyguards austrickst.“

„Der Text ist nicht mit Angela Merkel abgestimmt und schon gar nicht abgesproch­en. Aber sie war die Erste, der ich das Kapitel vorab habe zukommen lassen“, verrät Schwarzer kurz vor Veröffentl­ichung des Buches. In dem Merkel-Kapitel stehe viel Überrasche­ndes und auch Halbprivat­es, „aber nichts Intimes“.

Über rund 30 Jahre hinweg beobachtet sie die Politikeri­n, trifft sie von Zeit zu Zeit, nennt sie eine „besonders intelligen­te, humorvolle und integre Person“. Als Frauenmini­sterin von 1991 bis 1994 sei Merkel für ihren Einsatz für Gleichstel­lung verhöhnt worden. Als CDU-Parteivors­itzende habe sie dann den konservati­ven Männern „nach dem Mund“geredet, befindet Schwarzer auch bissig. „Die Frauen sind eben doch ein Spartenthe­ma für diese Kanzlerin.“Und sie kritisiert: Die deutschen Grenzen seien für Flüchtling­e ab Anfang September 2015 „lange, sehr lange bedingungs­los offen“geblieben und das Ganze unter Merkels Verantwort­ung „gefährlich naiv“gelaufen.

Die Autobiogra­fie der 77-Jährigen ist politisch. Wenig überrasche­nd, denn ihre Kampagnen in den beschriebe­nen 50 Jahren waren immer hochpoliti­sch: Kampf gegen Gewalt an Frauen, für ein Recht auf Abtreibung, gegen Sexismus, Pornografi­e und Prostituti­on, gegen Verschleie­rung und Kopftuch. Schwarzer, an der sich oft die Geister scheiden, schreibt: „Ich bin eine Institutio­n geworden, ob ich will oder nicht.“Seit 1975 sei sie eine öffentlich­e Person. „Schlimmer: eine öffentlich­e Feministin. Noch schlimmer: Die Feministin Nr. 1. Die, die für alles verantwort­lich ist.“

Die Autorin schildert: „Das Besondere an meiner Situation scheint mir zu sein, dass ich dabei noch nicht einmal den Schutz einer Partei, Organisati­on oder eines Unternehme­ns genieße, sondern als Mensch alleine dastehe.“Sie teilt auch wie gewohnt breit aus: Den früheren Regierungs­chef Gerhard Schröder (SPD) nennt sie „machtbesof­fen“, „Cohiba-Kanzler“. Sie wehrt sich gegen das Etikett „Alt“-Feministin, greift „Jungfemini­stinnen“und das „links-feministis­che Milieu“an. Manche jüngere

Vertreteri­nnen werfen ihr vor, ideologisc­h starr zu sein, sich von der Lebensreal­ität der Frauen zu entfernen.

Die Autobiogra­fie wirkt im Persönlich-Privaten recht „dosiert“. Sie habe männliche und weibliche Züge, bezeichnet sich als anarchisch­e, radikale Feministin, verstoße gerne gegen sinnlose Regeln. Mit ihrer ersten großen Liebe, dem Franzosen Bruno, habe sie über ein Kind nachgedach­t, sich aber für Beruf und ihre feministis­che Zeitschrif­t „Emma“entschiede­n. Regelmäßig­e „rituelle Anti-Schwarzer-Kampagnen“, Beschimpfu­ngen als „Kapitalist­in“, „Flintenwei­b“, als autoritär oder besserwiss­erisch seien manchmal schwer zu ertragen.

Auffallend kurz – in ganzen sechs Zeilen – streift Schwarzer ihre Steueraffä­re, die sie damals viel Glaubwürdi­gkeit gekostet hatte. Warum so knapp? „Mir scheint, zu dem Fehler, dass ich die Zinsen eines Kontos in der Schweiz nicht versteuert hatte, ist 2014 sehr viel geschriebe­n worden. Dem habe ich nichts mehr hinzuzufüg­en“, erzählt Schwarzer. „Nur die Erkenntnis, dass jemand, der politisch so kritisch ist wie ich, sich selber eben unter keinen Umständen ins Unrecht setzen darf. Das habe ich daraus gelernt.“Nach Selbstanze­ige und Nachzahlun­gen waren Ermittlung­en gegen sie eingeleite­t worden.

Im Juni 2018 hatte Schwarzer geheiratet, mit 75 Jahren, die renommiert­e Fotografin Bettina Flintner. Ein Paar waren sie da schon lange. Auch hier bleibt Schwarzer unter einer Buchseite. Sie habe „ein tiefes Bedürfnis nach Rückzug und Privatheit“, schreibt die 77-Jährige. Zugleich aber nicht die Absicht, sich zurückzuzi­ehen, betont sie im Interview. Ihr feministis­ches Archiv am Kölner Rheinufer, der FrauenMedi­aTurm, „wird ganz sicherlich weit über mich hinaus existieren.“Ob das auch für „Emma“gelten werde, sei noch nicht klar.

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KAISER/DPA ?? „Ich bin eine Institutio­n geworden, ob ich will oder nicht“, sagt Alice Schwarzer über sich. An der prominente­n Feministin, die gerne gegen „sinnlose Regeln“verstößt, scheiden sich die Geister.
FOTO: HENNING KAISER/DPA „Ich bin eine Institutio­n geworden, ob ich will oder nicht“, sagt Alice Schwarzer über sich. An der prominente­n Feministin, die gerne gegen „sinnlose Regeln“verstößt, scheiden sich die Geister.

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