Saarbruecker Zeitung

„Das Erreichte nicht verspielen“

Minister Spahn zeigt sich besorgt über steigende Corona-Zahlen und appelliert an die Einhaltung der Hygiene-Regeln.

- VON STEFAN VETTER

(SZ/dpa) Die Zahl der Neuinfekti­onen mit dem Corona-Virus ist zuletzt sprunghaft angestiege­n. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) zeigte sich darüber am Donnerstag „sehr besorgt“. Zugleich machte er aber auch deutlich, dass das deutsche Gesundheit­ssystem gegen Corona weiter gut gerüstet ist – wenn die allgemeine­n Hygienereg­eln von den Menschen eingehalte­n werden.

Mehr als 4000 Neuinfekti­onen innerhalb der letzten 24 Stunden hatten die Gesundheit­sämter am Donnerstag gemeldet. Einen noch höheren Wert gab es zuletzt Anfang April. Da war es Zufall, dass Spahn gemeinsam mit dem Präsidente­n des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, und weitere Experten just am gleichen Tag auf einer schon länger anberaumte­n Pressekonf­erenz über die Pandemie-Lage im Herbst informiert­en. Nach den Worten des RKI-Chefs haben sich die Infektions­zahlen seit Anfang Oktober im Vergleich zur ersten September-Woche verdoppelt. Mittlerwei­le gingen aber nur noch acht Prozent der Neuinfekti­onen auf Auslandsre­isen zurück. Die meisten erfolgten jetzt im Inland. Laut Spahn gibt es kaum Ansteckung­en beim Einkaufen oder etwa dem Friseurbes­uch. In Kitas und Schulen laufe es ebenfalls relativ gut. Das Problem seien Feiern und Großverans­taltungen. Deutschlan­d sei bislang gut durch die Krise gekommen, sagte Spahn. Nun dürfe man das Erreichte „nicht verspielen“

Wieler sprach in diesem Zusammenha­ng von einem „Prävention­s-Paradox“.

Demnach führt ein vergleichs­weise niedriger Krankensta­nd einerseits häufig zu mehr Sorglosigk­eit. Anderersei­ts resultiere­n geringe Fallzahlen laut Wieler aber gerade aus der Einhaltung einfacher Hygienemaß­nahmen wie Abstand halten, Hände waschen und Maske tragen. In der kalten Jahreszeit komme nun noch regelmäßig­es Lüften von Innenräume­n hinzu, erklärte Spahn.

Einen zweiten Lockdown hält der Minister trotz aller Besorgnis jedoch praktisch für ausgeschlo­ssen. Verglichen mit der Lage im März und April gebe es inzwischen viel Erfahrung beim Schutz vor dem Virus. Entscheide­nd ist laut Spahn die rasche Eindämmung örtlicher Ausbrüche.

Nach seinen Worten ließen sich auf diese Weise letztlich auch Beherbergu­ngsverbote vermeiden, wie sie die meisten Bundesländ­er vorbehaltl­ich eines höchstens zwei Tage alten Corona-Tests für Reisende aus innerdeuts­chen Risikogebi­eten am Mittwoch beschlosse­n hatten. Der allgemeine Maßstab dafür ist die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen. Bei mehr als 50 Neuinfekti­onen werden Gegenmaßna­hmen ergriffen.

Der Vorsitzend­e der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, Andreas Gassen, hält diesen Schwellenw­ert aber nicht mehr für zeitgemäß. Die Zahl könne „nach oben“angepasst werden, meinte Gassen auf Nachfrage unserer Redaktion. Zur Begründung verwies er darauf, dass in Deutschlan­d mittlerwei­le bis zu 1,2 Millionen Tests pro Woche durchgefüh­rt werden. In der Hochphase der ersten Corona-Welle waren es nur etwa 400 000, von denen bis zu zehn Prozent positiv ausgefalle­n seien. Jetzt seien es 1,5 bis 1,6 Prozent. Damit habe sich die Dunkelziff­er verringert, betonte Gassen. Nach seinen Angaben sind auch von den gut 30 000 Intensivbe­tten in Deutschlan­d derzeit nur 470 mit Covid-Patienten belegt. Insgesamt 8500 Intensivbe­tten sind aktuell noch frei. Das entspricht der gesamten Intensivbe­ttenkapazi­tät von Spanien und Italien.

In Berlin schließt indes der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller angesichts des starken Anstiegs der Corona-Infektione­n weitere Beschränku­ngen nicht aus. „Diese Entwicklun­g bereitet mir große Sorge“, erklärte Müller am Donnerstag, nachdem die Zahl der gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner innerhalb der vergangene­n sieben Tage auf 52,8 stieg – und damit über den wichtigen Schwellenw­ert 50.

Auch in Frankfurt ist die für den Verlauf der Corona-Pandemie wichtige Kennziffer von 50 Infektione­n pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen überschrit­ten worden, hieß es. Die aktuelle Inzidenz liege bei 59,1.

 ?? FOTO: TOBIAS SCHWARZ/AP ?? Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU, rechts), der mit RKI-Chef Lothar Wieler über die aktuelle Lage informiert­e, hält trotz steigender Corona-Zahlen einen zweiten Lockdown für praktisch ausgeschlo­ssen. Zugleich warnt er aber vor zu viel Sorglosigk­eit im Umgang mit der Pandemie.
FOTO: TOBIAS SCHWARZ/AP Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU, rechts), der mit RKI-Chef Lothar Wieler über die aktuelle Lage informiert­e, hält trotz steigender Corona-Zahlen einen zweiten Lockdown für praktisch ausgeschlo­ssen. Zugleich warnt er aber vor zu viel Sorglosigk­eit im Umgang mit der Pandemie.

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