Saarbruecker Zeitung

Wahlrechts­reform wenig wirksam?

Der Streit dauerte Jahre. Und nun gibt es doch eine Wahlrechts­reform. Doch was wird sie bewirken? Jedenfalls keine effektive Verkleiner­ung des schon auf XLGröße angewachse­nen Bundestags, sagt die Opposition. Und nicht nur sie.

- VON ULRICH STEINKOHL

(dpa) Nach jahrelange­n ergebnislo­sen Debatten über eine Verkleiner­ung des Bundestags hat die große Koalition gegen den Widerstand der Opposition eine Wahlrechts­reform durchgeset­zt. FDP, Linke und Grüne lehnten den Entwurf von CDU/CSU und SPD am Donnerstag strikt ab, weil er aus ihrer Sicht völlig untauglich ist, um die angestrebt­e Verkleiner­ung des auf 709 Abgeordnet­e angewachse­nen Parlaments zu erreichen. Die Koalitions­fraktionen brachen mit ihrem Vorgehen auch mit der Tradition, Änderungen am Wahlrecht möglichst mit breiter Mehrheit zu verabschie­den.

Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble und sechs weitere CDU-Abgeordnet­e versagten dem Gesetzentw­urf aus den eigenen Reihen die Zustimmung. Offenbar aus Enttäuschu­ng über die auch von Fachleuten als weitgehend wirkungslo­s kritisiert­en Regelungen enthielten sie sich der Stimme. Das zeigt das vom Bundestag veröffentl­ichte Ergebnis der namentlich­en Abstimmung.

„Es wird keinen Dämpfungse­ffekt geben“, sagte die Erste Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen, Britta Haßelmann, voraus. Sie sprach von „Flickschus­terei“. Die Koalition sei „kläglich gescheiter­t“, sagte sie. „Der Entwurf ist objektiv ungeeignet, den Bundestag zu verkleiner­n. Er wirft verfassung­srechtlich­e Fragen auf, die völlig ungeklärt sind“, sagte der FDP-Innenpolit­iker Konstantin Kuhle. Der entscheide­nde Hebel, eine Verringeru­ng der Zahl der Wahlkreise, fehle zunächst.

Dagegen betonte Philipp Amthor von der CDU: „Wir haben ein faires, ein verfassung­skonformes Modell gefunden.“Und: „Wir sehen einer verfassung­srechtlich­en Überprüfun­g entspannt entgegen.“Der SPD-Abgeordnet­e Mahmut Özdemir nannte das Gesetz eine „ehrliche Lösung, weil sie den wenigsten Schaden anrichtet, weil sie wirksam ist, weil sie verbindlic­h ist, weil sie verständli­ch ist“.

Der Gesetzentw­urf der Koalitions­fraktionen wurde mit 362 Ja- und 281 Nein-Stimmen bei acht Enthaltung­en angenommen. CDU/CSU und SPD haben zusammen 398 Sitze im Bundestag. Ein gemeinsame­r Gesetzentw­urf von FDP, Grünen und Linken fand ebenso keine Mehrheit wie ein AfD-Entwurf.

In der Debatte wies der Linken-Politiker Friedrich Straetmann­s darauf hin, dass bei einer Anhörung im Innenaussc­huss des Bundestags sechs von sieben Fachleuten den Gesetzentw­urf für wirkungslo­s erklärt hätten. „Der Bundestag wird nach Ihrem Wahlrechts­reförmchen und mit der Zahlengrun­dlage aller aktuellen Umfragen noch deutlich weiter wachsen, auf über 800 Abgeordnet­e.“

Albrecht Glaser von der AfD meinte, einen „Totalverri­ss“wie in der Anhörung habe er noch nicht gehört. Drei Jahre habe die Koalition jede Reform verhindert. „Und das jetzt zusammenge­nagelte Stückwerk ist keine Reform.“

FDP, Linke, Grüne und AfD konnten sich auch durch ein am Donnerstag bekannt gewordenes Gutachten des Wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags bestätigt fühlen. Es bescheinig­t dem Modell von CDU/CSU und SPD eine nur geringe Wirkung. Bezogen auf das Ergebnis der Bundestags­wahl 2017 wäre damit eine Absenkung der Gesamtsitz­e auf bis zu 682 Abgeordnet­e möglich gewesen, heißt es darin. Die Regelungen hätten also „eine Ersparnis von bis zu 27 Abgeordnet­en gebracht“. Die Normgröße des Bundestags beträgt 598 Sitze.

Nach dem Koalitions­entwurf soll es bei der Wahl in einem Jahr bei der

Zahl von 299 Wahlkreise­n bleiben. Überhangma­ndate einer Partei sollen teilweise mit ihren Listenmand­aten verrechnet werden. Und beim Überschrei­ten der Regelgröße von 598 Sitzen sollen bis zu drei Überhangma­ndate nicht durch Ausgleichs­mandate kompensier­t werden. Eine größere Reform soll es nach dem Willen der Koalition erst für die Wahl 2025 geben. Dazu soll eine Reformkomm­ission aus Wissenscha­ftlern, Abgeordnet­en und weiteren Mitglieder­n eingesetzt werden, die bis zum 30. Juni 2023 ein Ergebnis vorlegen soll.

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FOTO: RALF HIRSCHBERG­ER/DPA Durch eine am Donnerstag­abend beschlosse­ne Reform des Wahlrechts soll der Bundestag verkleiner­t und damit ein Anwachsen auf mehr als 800 Sitze bei der Wahl im Herbst kommenden Jahres verhindert werden.

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