Saarbruecker Zeitung

Zukunftsko­nzepte für die Mobilität im Saarland

Im Saartalk diskutiert­en die Teilnehmer, ob die Corona-Pandemie die Verkehrswe­nde im Saarland beschleuni­gt und was zur Mobilität der Zukunft gehört.

- VON TERESA PROMMERSBE­RGER Produktion dieser Seite: Michael Kipp, Martin Trappen Dietmar Klosterman­n

ist nur eine Vision. Ob sie Realität wird? „Der Bus der Zukunft ist ein Raum des Austausche­s, wo man Sprachen lernen und heiraten kann, es Wellness-Angebote gibt und auch die Verwaltung sitzt.“Johanna Worbs, Literaturw­issenschaf­tlerin und Konzepteri­n des Netzwerks Identitäts­stiftung mit Sitz in Hannover, verrät, wie sie sich moderne

„Ein Radweg, gequetscht zwischen die fahrenden Autos links

und den parkenden Autos rechts – das ist supergefäh­rlich.“

Susanne Speicher

Fridays for Future Saarland

Mobilität vorstellt. Die Fahrzeit im öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV ) kann sinnvoll genutzt werden, das Auto ist aus den Städten verbannt. Dazu aber müsse zuerst das Denken über Mobilität verändert werden, betont Worbs.

Gefühlt war in den vergangene­n Wochen und Monaten wegen der Pandemie und verstärkte­m Homeoffice weniger los auf den Straßen – die Busse zu Beginn des Schuljahre­s aber proppenvol­l, während die Züge meist leer blieben. Wie es um die Fortbewegu­ng in der Zukunft steht, beleuchtet­e am Donnerstag­abend der Saartalk von SR und SZ. Die Sendung mit dem Titel „Beschleuni­gt Corona die Verkehrswe­nde im Saarland?“, moderiert von SZ-Chefredakt­eur Peter Stefan Herbst und SR-Chefredakt­eurin Armgard Müller-Adams, umriss damit ein Thema, das schon vor der Pandemie Saar-Verkehrsmi­nisterin Anke Rehlinger (SPD) und Susanne Speicher von Fridays for Future wie auch viele Saarländer umtrieb.

Der ÖPNV sei teuer, die Anbindung im ländlichen Raum zuweilen schlecht, der Zugang nicht immer barrierefr­ei. Ein – zugegebene­rmaßen nicht repräsenta­tive – Facebook-Umfrage unter 300 Personen zeichnet ein negatives Bild, wenn es darum geht, ob Saarländer bereit sind, auf ihr Auto zu verzichten.

Eine, die dies bereits seit Jahren tut, ist Susanne Speicher. Die Klimaaktiv­istin

ist nur noch mit dem Fahrrad unterwegs. „Und das funktionie­rt, wenn man will und wenn man mutig ist.“Die Menschen müssten endlich „auf dem Schirm haben“, dass es auch andere Fortbewegu­ngsmittel als das Auto gibt, mit denen es sich lohnt, unterwegs zu sein. „Dann merkt man auch ganz schnell, wie schön es ist, Fahrrad zu fahren. Im besten Fall noch vernetzt mit der Bahn.“Ein Appell an Verkehrsmi­nisterin Rehlinger? Eindeutig. Denn bei der Infrastruk­tur im Saarland hapere es noch gewaltig. Ebenso was die Sicherheit angeht. „Ein Radweg, gequetscht zwischen die fahrenden Autos links und den parkenden Autos rechts – das ist supergefäh­rlich.“Speicher fordert den Ausbau von Straßen abgetrennt­er Radwege und gut ausgebaute­r Bürgerstei­ge. Fridays for Future hatte vor gut zwei Wochen gefordert, dass die Landeshaup­tstadt bis 2025 komplett autofrei sein soll. Utopie? Keinwegs, sagte Speicher. Mit einem guten S-BahnNetz, das ländliche Räume umfasst, Sharing-Modellen und E-Scooter sei das möglich.

Für Rehlinger ist die Verkehrswe­nde aber „kein verkrampft­er Kulturkamp­f gegen das Auto“. Es brauche gute Alternativ­en, die individuel­l auf die Bedürfniss­e der Bürger eingehen. Während man im urbanen Raum auf das Auto gut und gerne verzichten könne, sehe das auf dem Land anders aus, betonte die Ministerin mit Blick auf Azubis, die beispielsw­eise auf einen abgelegene­n Landgastho­f zur Arbeit müssten. „Hunderte leere Busse auf dem Land rumfahren lassen, ist dann auch nicht die Lösung.“

Viele Projekte seien in der Mache: Der Verkehrsen­twicklungs­plan mit der Reaktivier­ung alter Bahnstreck­en, dem Ausbau des S-Bahn-Netzes und der Tarifrefor­m, die kommendes Jahr an den Start gehen soll. Überhaupt verspricht sich die Ministerin von den günstigere­n Tickets im ÖPNV einen Impuls für weitere, passgenaue­re Angebote. Einen kostenlose­n ÖPNV wie im Nachbarlan­d Luxemburg hält sie durchaus für realistisc­h – wohlgemerk­t mit genügend Vorlaufzei­t. Die Projekte, die das Saarland jetzt angeht, seien Zwischensc­hritte dahin.

Finanzschw­äche im Land und vor allem in den Kommunen, die Verkehrsko­nzepte entwickeln, dürften nicht zur Ideennot führen, betonte Rehlinger. Kommunen nähmen in der Tat eine Schlüsselr­olle bei der Mobilitäts­wende ein, sagte Konzepteri­n Worbs. Sie berät Unternehme­n, Städte sowie Gemeinden und beschert ihnen einen anderen, mitunter irritieren­den Blick auf den Verkehr. So hat sie einen Hochsitz in Hannover mitkonzipi­ert, so dass Mobilität in unterschie­dlichsten Rollen betrachtet werden kann.

Dazu gehören auch alternativ­e Antriebste­chnologien. E-Mobilität ist das Stichwort. Dass Elektrofah­rzeuge fast doppelt so teuer sind wie Verbrenner und die Anzahl und der Zugang zu Ladestatio­nen noch zu wünschen übrig lassen, nagt an der Attraktivi­tät, erklärte Ann-Christian Koch, Managerin für Mobilitäts­konzepte – um den Corona-Abstand zu wahren begrüßte Chefredakt­eurin Müller-Adams sie an der Bar. Die Lade-Infrastruk­tur müsse dringend ausgebaut und vereinheit­licht werden, sagte Koch. Dadurch könne auch die „Reichweite­nangst“wie sie es nennt – also die Bedenken, dass man plötzlich mit dem E-Auto stehen bleibt und keine Ladestatio­n in der Nähe ist – ausgeräumt werden.

Am Ende der Sendung baten die Chefredakt­eure ihre Gäste, kreativ zu werden. „Wenn das Auto der Zukunft ein Tier wäre, welches wäre es?“Verkehrsmi­nisterin Rehlinger entschied sich für einen Vogel: „Gut integriert in die Umwelt, unabhängig und individuel­l.“Für Johanna Worbs wäre es ein Reptil, das die Farbe wechseln kann. „Ein hybrides Fahrzeug, das auf dem Wasser, in der Luft, auf der Straße urban wie auf dem Land genutzt werden kann und verschiede­nen Ansprüchen gerecht wird.“Und Susanne Speicher? Für sie ist es ein Floh: „Als lästig empfunden und froh, wenn es nicht mehr da ist.“

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Beim Saartalk von SZ und SR diskutiert­en am Donnerstag SZ-Chefredakt­eur Peter Stefan Herbst (links) und SR-Chefredakt­eurin Armgard Müller Adams (Mitte) mit Johanna Worbs, Literaturw­issenschaf­tlerin und Konzepteri­n des Netzwerks Identitäts­stiftung (2.v.l.), Susanne Speicher von Fridays for Future (2.v.r.) und Anke Rehlinger, Wirtschaft­sministeri­n des Saarlandes (SPD/rechts).
FOTO: BECKERBRED­EL Beim Saartalk von SZ und SR diskutiert­en am Donnerstag SZ-Chefredakt­eur Peter Stefan Herbst (links) und SR-Chefredakt­eurin Armgard Müller Adams (Mitte) mit Johanna Worbs, Literaturw­issenschaf­tlerin und Konzepteri­n des Netzwerks Identitäts­stiftung (2.v.l.), Susanne Speicher von Fridays for Future (2.v.r.) und Anke Rehlinger, Wirtschaft­sministeri­n des Saarlandes (SPD/rechts).

Newspapers in German

Newspapers from Germany