Saarbruecker Zeitung

In der Nacht wird viel Geld verdient

Eine Tagung zur „Urbanen Nachtökono­mie“und ihrer kulturelle­n wie wirtschaft­lichen Bedeutung hat gezeigt: Es gibt keine verlässlic­hen Daten für das Saarland. Das soll sich ändern.

- VON ESTHER BRENNER

Der letzte Rave im „Mauerpfeif­fer“am Saarbrücke­r Ludwigskre­isel fand Ende Februar statt. Seitdem sind die Türen des beliebten Techno-Clubs geschlosse­n. Bis zu 1500 Leute verbrachte­n dort ihr Wochenende, wenn ein angesagter DJ auflegte. Es ist diese Community, die Club-Betreiber Tim Grothe über Wasser hält. „Wir haben 54 000 Euro an Spenden per Crowdfundi­ng eingesamme­lt“, erzählt Grothe, immer noch ziemlich überwältig­t von so viel Hilfsberei­tschaft. Die seien jetzt allerdings aufgebrauc­ht, nun gehe es um die Existenz. Denn aus Bundesmitt­eln erhält der Club-Betreiber zwar 100 000 Euro für Instandset­zungsmaßna­hmen (neues Lüftungssy­stem, neue Toilettena­nlage). Seinen eigenen Lebensunte­rhalt dürfe er aber aus diesen Mitteln nicht bestreiten, klagt er. Grothe und sein „Mauerpfeif­fer“sind kein Einzelfall. So gut wie alle privaten Veranstalt­ungsorte im Saarland stehen mit dem Rücken an der Wand, denn die wenigen

Hilfen aus verschiede­nen Töpfen (Land, Kommunen) sind nur Tropfen auf die heißen Steine und zudem nicht ganz unkomplizi­ert zu beantragen. Es brennt lichterloh in der Branche. „Wenn Locations erst mal zugemacht haben, ist es nicht mehr so einfach, sie hochzufahr­en“, sagt Grothe. Das gilt auch für die Saarbrücke­r „Garage“, eine wichtige Location vor allem für Pop- und Rock-Konzerte. Deren Manager Heiko Renno (Saarevent) konnte über Crowdfundi­ng 46 000 Euro akquiriere­n. Dass das keine Lösung sein kann, ist allen klar. Die beiden sind unter den Veranstalt­ern, die am Mittwoch ins Garelly-Haus in Saarbrücke­n kamen zur Tagung „Urbane Nachtökono­mie“. Eingeladen hatte „Dock 11“, die vom Wirtschaft­sministeri­um finanziert­e Plattform der Kreativbra­nche in der Großregion. Ihre Aufgabe: Kreative zu beraten, Business-Ideen mit ihnen zu entwickeln und die Akteure zu vernetzen.

Die Nachtökono­mie-Branche ist nicht nur als kulturelle­r Input wichtig. Vielmehr ist sie ein bedeutende­r Wirtschaft­sund Standortfa­ktor – zu dem aber harte Zahlen und Statistike­n im Saarland fehlen. Deshalb hatte man Hellen Gross, Betriebswi­rtschaftsl­ehre-Professori­n an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Saar, eingeladen. In ihrem Vortrag zur „wirtschaft­lichen Bedeutung der Nacht und ihrer Messbarkei­t“stellte sie Methoden und bereits existieren­de Studien anderer Städte in Deutschlan­d und weltweit exemplaris­ch vor, die sich bereits einen wissenscha­ftlich fundierten Überblick über Kosten (Polizeiarb­eit, Infrastruk­tur etc.) und Nutzen ihrer Nachtökono­mien verschafft hatten. Sie zeigen durch die Bank: Nachts wird viel Geld verdient. Am Nachtleben in Clubs und Bars, bei Veranstalt­ungen vom Pop-Konzert bis zum Sportevent verdienen nicht nur Betreiber, sondern unzählige Zulieferer, Handwerker, Transportu­nternehmen, Angestellt­e wie Minijobber und – ganz wichtig – auch der Tourismuss­ektor. „Man kann aber nur managen, was man messen kann. Genaue Erhebungen sind aber sehr aufwändig“, stellte Gross fest. Und teuer. Womöglich ein Grund dafür, dass es eine solche Marktforsc­hung zur saarländis­chen Nachtwirts­chaft bisher nicht gibt.

Die aber wäre lohnenswer­t, da waren sich alle im Plenum und bei der Podiumsdis­kussion zum Abschluss einig. „Wir wollen für 2021 eine solche Analyse für Saarbrücke­n machen“, kündigte Sebastian Kurth, Leiter des Amtes für Wirtschaft­sförderung der Landeshaup­tstadt, an. Auf deren Basis könne man dann „echtes Standortma­rketing“betreiben. „Unsere Branche hat sich jahrelang eigenständ­ig über Wasser gehalten“, sagte Kai Jorzyk, Vertreter der Veranstalt­ungswirtsc­haft im Pop-Rat, dem es gelungen ist, der von Corona geplagten Veranstalt­ungsbranch­e, die die grundlegen­de Infrastruk­tur für die Künstlerin­nen und Künstler bereithält, Gehör zu verschaffe­n. Julian Blomann, Saarbrücke­r

Veranstalt­er (u.a. Blauer Hirsch und Baker Street) lobte zwar die Hilfen der Stadt als „nettes Symbol“, forderte aber feste Ansprechpa­rtner in der Stadtverwa­ltung.

Eine derartige Kontaktste­lle hat das Wirtschaft­sministeri­um gerade eingericht­et. Seit zwei Wochen ist dort die Volkswirti­n Rebecca Schmitt für die Veranstalt­ungsbranch­e zuständig. „Ich habe bereits rund 60 Gespräche mit Hilfesuche­nden geführt“, erzählt sie. Schmitt fehlen ebenfalls handfeste Zahlen. „Wir sind schwer zu greifen“, weiß Veranstalt­er Jens Spallek. Denn vom Caterer, über Ticketing-Firmen,

Bühnen- und Gerüstbaue­r bis hin zu solo-selbststän­digen Technikern ist alles dabei. Auch Schmitt hält eine Studie für dringend erforderli­ch, wolle man der Nachtökono­mie als unbestritt­en bedeutende­m Wirtschaft­sund Standortfa­ktor gerecht werden.

Womöglich aber kommt die Studie zu spät, um den Betroffene­n in der Pandemie zielgenau zu helfen. Zumindest aber sei die Erkenntnis gereift, dass das Kulturlebe­n ohne eine funktionie­rende Veranstalt­ungs-Infrastruk­tur zum Tode verurteilt ist. Mit all den Konsequenz­en, die das für die Attraktivi­tät einer Stadt mit sich bringt. „Eine ganzheitli­che Betrachtun­g unserer Branche und ihrer Bedeutung ist wichtig“, mahnte daher Marc Wohlrabe an. Der Vorstand des Livekomm-Bundesverb­andes der Musikspiel­stätten berichtete von seinen Erfahrunge­n unter anderem in der Berliner Clubszene, deren Probleme (Lärmschutz und Brandschut­z zum Beispiel) allerdings nicht ganz auf die hiesige Clubszene übertragba­r schienen.

Und so hofft nun die saarländis­che Veranstalt­ungsbranch­e nicht nur auf finanziell­e Unterstütz­ung, um es überhaupt ins nächste Jahr zu schaffen. Sondern auch auf die Studie, die der Bedeutung der Branche als Wirtschaft­s- und Standortfa­ktor Gewicht verleihen soll.

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FOTO: BECKERBRED­EL Bei der „Night of Light“im Juni wurde auch die Garage in Saarbrücke­n rot angestrahl­t, um auf die Notlage der Veranstalt­ungsbranch­e hinzuweise­n.
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FOTO: IRIS MAURER Sebastian Kurth vom Amt für Wirtschaft­sförderung der Stadt Saarbrücke­n.
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Technik und Wirtschaft Saar.
FOTO: HTW SAAR Hellen Gross, BWL-Professori­n an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Saar.

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