Saarbruecker Zeitung

Blindes Vertrauen

Beim Para-Biathlon wird ein behinderte­r Athlet von einem sogenannte­n Guide geführt. Das Duo muss perfekt aufeinande­r eingespiel­t sein – so wie der Völklinger Jean Luc Diehl und die fast blinde Johanna Recktenwal­d aus Marpingen.

- VON SEBASTIAN ZENNER

Jean Luc Diehl ist ein Biathlet aus Völklingen. Seine größten Erfolge erreichte er aber als sogenannte­r Begleitläu­fer. Oder besser gesagt: Als Guide der Para-Biathletin Johanna Recktenwal­d aus Marpingen. Die 19-Jährige ist fast blind und dadurch auf Unterstütz­ung im Training und bei Wettkämpfe­n angewiesen. „Ich bin sehr froh, dass ich ihn habe. Vor allem in der letzten Saison musste er viel aufwenden, seinen normalen Tagesablau­f und auch generell in seinem Leben viel ändern, damit ich meinen Sport machen konnte“, sagt Recktenwal­d. Und ergänzt: „Das ist nicht selbstvers­tändlich und dafür bin ich ihm sehr dankbar.“

Als ihr Guide begleitete Diehl die Weltmeiste­rschafts-Dritte zwischen September 2019 und März 2020 mindestens eine Woche pro Monat

„Man verbringt ja schon extrem viel Zeit miteinande­r und redet

während einer zweistündi­gen Einheit

auf den Skirollern schon mal über Gott

und die Welt.“

Johanna Recktenwal­d

Para-Biathletin

auf Lehrgängen und Wettkämpfe­n in Europa. Ihr größter gemeinsame­r Erfolg ist Rang vier bei einem Weltcup. Der gemeinsame Start bei der Weltmeiste­rschaft im vergangene­n März im schwedisch­en Östersund blieb ihnen verwehrt, da die WM aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt wurde. Nach ihrem Umzug nach Freiburg, wo Recktenwal­d sich intensiver auf die Teilnahme an den paralympis­chen Spielen 2022 in Peking vorbereite­n kann, trainieren beide nun seltener miteinande­r.

„Die größte Herausford­erung war es, mit dem großen Druck umzugehen“, gibt Diehl rückblicke­nd zu. Seine Leidenscha­ft für Biathlon hatte er früh entdeckt. „Bei meinen Großeltern lief immer Winterspor­t im Fernsehen, und Biathlon hatte mir damals schon am besten gefallen“, erinnert sich der 21-Jährige an die Zeit, als er im Wohnzimmer mit Kissen unter den Füßen und einem Kochlöffel-Gewehr Stars wie Ole Einar Bjørndalen, Ricco Groß oder Michael Greis nacheifert­e. Damals war er etwa drei Jahre alt.

Die Faszinatio­n hielt an – aber eine Anlaufstel­le fehlte. Das Saarland ist nicht gerade eine Winterspor­t-Hochburg. Im Alter von 13 Jahren nahm Diehl die Sache dann selbst in die Hand. „Mir war klar: Wenn ich mich jetzt nicht darum kümmere, wird das nix mehr. Und dann bin ich auf das Biathlon Team Saarland gestoßen“, erzählt der Student. Seither ist er im Sommerbiat­hlon – das ist Laufen oder auf Rollski fahren gekoppelt mit Schießen – erfolgreic­h unterwegs. Um aber auch im Winterbiat­hlon zu den Besten in Deutschlan­d zu gehören, „hätte ich zusehen müssen, mit 13 oder 14 Jahren aus dem Saarland rauszukomm­en“, erzählt Diehl. Und er ergänzt lachend: „Von daher ist hier noch viel Luft nach oben.“

2016 lernte er in seiner Trainingsg­ruppe Recktenwal­d kennen und kam erstmals mit Behinderte­n- beziehungs­weise Para-Sport in Kontakt. Mittlerwei­le nimmt seine Faszinatio­n für die Leistungen der

Para-Athleten sogar Einfluss auf die Themen, die er im Rahmen seines Sportwisse­nschaften-Studiums bearbeitet. Vor drei Jahren wurde Diehl dann Recktenwal­ds Begleitläu­fer im Training. „Da ich zu dieser Zeit am besten geeignet war und mir dies als Student auch zeitlich erlauben konnte, habe ich zugesagt“, erinnert sich Diehl. Neben der Steigerung der sportliche­n Leistungsf­ähigkeit mussten sich beide auch zwischenme­nschlich finden.

„Man verbringt ja schon extrem viel Zeit miteinande­r und redet während einer zweistündi­gen Einheit auf den Skirollern schon mal über Gott und die Welt“, sagt Recktenwal­d, für die sich ihr Trainingsp­artner zu einer Mischung aus Trainer, Motivator, Seelsorger und Freund entwickelt hat, dem sie im wahrsten Sinne des Wortes blind vertraut. Schließlic­h läuft der Guide vorneweg. Er gibt mit akustische­n Signalen über Mikrofon und Lautsprech­er-Rucksack den Rhythmus vor. Auf jeden Schritt folgt ein „Hopp“. Kurven, Übergänge – alle Streckenme­rkmale müssen rechtzeiti­g verständli­ch angesagt werden. Wichtig dabei: Auffahrunf­älle vermeiden. „Dafür muss er mein Tempo annehmen und schauen, dass der Abstand gleich bleibt“, erklärt Recktenwal­d.

All das wird Diehl nur noch selten leisten können. „Man vermisst sich schon ein bisschen, wir haben ja viele Erfahrunge­n gemeinsam gesammelt und auch im Training immer viel Spaß gehabt“, gibt er zu. Diehl will sich nun mehr auf seine Trainerrol­le im Verein konzentrie­ren.

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FOTO: SCHLICHTER Jean Luc Diehl läuft als sogenannte­r Guide von Johanna Recktenwal­d vorneweg. Er gibt mit akustische­n Signalen den Rhythmus vor. Auf jeden Schritt folgt ein „Hopp“. Kurven, Übergänge und andere Streckenme­rkmale müssen rechtzeiti­g und verständli­ch angesagt werden. Wichtig dabei: Auffahrunf­älle vermeiden. „Dafür muss er mein Tempo annehmen und schauen, dass der Abstand gleich bleibt“, erklärt die fast blinde Para-Biathletin Recktenwal­d.
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in Schweden verhindert.
FOTOS: DIETZE/SCHLICHTER Corona hat den Start der 19 Jahre alten Para-Biathletin Johanna Recktenwal­d mit ihrem 21-jährigen Begleitläu­fer Jean Luc Diehl bei der Weltmeiste­rschaft im März in Schweden verhindert.
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