Saarbruecker Zeitung

„Es gleicht einer Operation am offenen Herzen“

Im Museum für Vor- und Frühgeschi­chte arbeiten Restaurato­ren an den Wandfreske­n, die beim Abriss einer Kirche im saarländis­chen Mechern gefunden wurden.

- VON NICOLE BARONSKY-OTTMANN Produktion dieser Seite: Susanne Brenner, Michael Emmerich

Renate Albrecht sitzt auf einem kleinen Hocker und setzt unter Scheinwerf­erlicht vorsichtig und behutsam mit einem sehr kleinen Spachtel zuerst Kitt, anschließe­nd eine Lösung auf die weißen Stellen der römischen Wandmalere­ien im Museum für Vor- und Frühgeschi­chte in Saarbrücke­n.

Renate Albrecht ist Restaurato­rin der Firma Trommer aus Weilburg und schon seit Anfang Oktober im Museum tätig. „Es gleicht einer Operation am offenen Herzen“, erklärt Thomas Martin, Sammlungsl­eiter im Museum für Vor- und Frühgeschi­chte. Denn das Restaurier­en geschieht während des Normalbetr­iebs des Museums, vor den Augen der Besucher. Normalerwe­ise sollte man die Restaurato­ren bei ihrer Arbeit nicht ansprechen, denn sie müssen sich sehr konzentrie­ren. Am kommenden Sonntag, 11. Oktober, ist das anders. Denn am „Europäisch­en Tag der Restaurier­ung“stehen die Fachleute für Fragen parat, unterstütz­t vom Museumsper­sonal.

Dann kann man sich auch über die römischen Fresken selbst erkundigen. Denn die zählen zu den aufregends­ten römischen Fresken nördlich der Alpen. Sie wurden 1970 beim Abriss der Dorfkirche im saarländis­chen Mechern entdeckt.

Unter der Dorfkirche befanden sich nicht nur eine, sondern gleich zwei römische Villen. Die ältere war bereits in der Antike abgerissen worden, wurde überbaut. Um die Fundamente des „Neubaus“zu erhöhen, hatte man damals einfach die bemalten Mauern der älteren Villa im unteren Bereich stehen lassen,

Thomas Martin den Platz zwischen den Mauern mit Bauschutt aufgefüllt und planiert. So blieben die farbenfroh­en Malereien über Jahrhunder­te geschützt und erstaunlic­h gut erhalten, ganz ähnlich wie in Pompeji.

Aber als man die Fresken im Jahr 1970 abgenommen hat, sind sie leider zerbrochen. „Man darf nicht vergessen, dass es damals noch keine Fachleute waren, die die Funde geborgen haben“, erklärt Thomas Martin. Bruchstell­en, Firniss, Verschmutz­ungen und Ablagerung­en haben im Laufe der Jahre die Darstellun­gen beeinträch­tigt, viele wunderschö­ne Details, wie farbenfroh­e florale Muster oder Darstellun­gen von Gladiatore­n, Tieren oder Mahlzeiten, waren nicht mehr gut erkennbar. Und dann kam auch noch Corona. Aber das war für das Museum ausnahmswe­ise ein Glücksfall. Denn die aktuelle Restaurier­ung wird ermöglicht durch finanziell­e Förderung der Ernst-von Siemens-Kunststift­ung im Rahmen einer Corona-Sonderförd­erlinie.

Deshalb werden die Malereien nun nach 50 Jahren zum ersten Mal wieder bearbeitet. Und was sich bei den Restaurier­ungs-Techniken von Kunstwerke­n in den vergangene­n Jahrzehnte­n getan hat, kann man nun nachverfol­gen. „Zuerst wird mit Lösungsmit­teln gearbeitet. Das ist geruchsint­ensiv“, berichtet Renate Albrecht. Dann werden Ergänzunge­n

früherer Restaurier­ungen „zurückgear­beitet“, abgetragen und geglättet, Fehlstelle­n gekittet. „Und dann wird farblich retuschier­t. Dafür setzen wir mit dem Pinsel ganz feine Punkte auf die vorigen Fehlstelle­n, aber nicht auf die Originalsu­bstanz“, erklärt sie weiter.

Daraus ergibt sich eine Restaurier­ung, die, wenn man sie ganz nah betrachtet, als solche zu erkennen ist, aber mit etwas Abstand zu einem Ganzen wird. „Es ist ein bisschen wie bei der Kunstricht­ung des Pointillis­mus“, erklärt Thomas Martin lachend. Der Farbauftra­g ist wasserlösl­ich und dadurch rückgängig zu machen. Auch das ist dem Sammlungsl­eiter und der Restaurato­rin ganz wichtig. „Denn so eine Restaurier­ung soll ungefähr 50 Jahre halten. Und dann soll man noch sehen können, was Retusche und was Original ist“, sagt Renate Albrecht.

Die Besucher können sich die Fortschrit­te, aber auch die Unterschie­de in den römischen Wandmalere­ien genau anschauen. Vier zusammenhä­ngende Darstellun­gen, darunter auch die Gladiatore­n, sind bereits fertig, an zwei weiteren wird derzeit gearbeitet, drei weitere werden noch warten müssen. Denn für ein Feld benötigen die Restaurato­ren bis zu zwei Monate. So kann man sich bis Ende Oktober noch vor Ort die spannende Arbeit der Restaurato­ren anschauen. Aber ansprechen darf man sie nur am kommenden Sonntag.

„Man darf nicht vergessen, dass es damals

noch keine Fachleute waren, die die Funde

geborgen haben“

erklärt, warum die Fresken teilweise

zerbrochen sind

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FOTO: THOMAS MARTIN/MUSEUM FÜR VOR- UND FRÜHGESCHI­CHTE SAARBRÜCKE­N Restaurato­r Kay Mehner von der Firma Trommer arbeitet mittels Punktretus­chen an Gladiatore­n-Fresken aus einer römischen Villa, deren Reste in Mechern bei Merzig entdeckt wurden.
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FOTO: THOMAS MARTIN/MUSEUM FÜR VOR- UND FRÜHGESCHI­CHTE Ganz schön viel zu restaurier­en: Ein Fragment eines Wandbildes aus der Römervilla von Mechern.
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VOR- UND FRÜHGESCHI­CHTE SAARBRÜCKE­N/HERCEG. ?? Restaurato­rin Renate Albrecht entfernt vorsichtig den Schmutzfil­m von den Wandmalere­ien.
FOTO: MUSEUM FÜR VOR- UND FRÜHGESCHI­CHTE SAARBRÜCKE­N/HERCEG. Restaurato­rin Renate Albrecht entfernt vorsichtig den Schmutzfil­m von den Wandmalere­ien.

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