Saarbruecker Zeitung

Macron bremst Reformen in Frankreich

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Frankreich zweifelt. Hinter der Fassade der Grande Nation kommt ein Land zum Vorschein, dessen Selbstbewu­sstsein ins Wanken geraten ist. Zu groß und zu vielfältig sind die Herausford­erungen, denen sich Frankreich stellen muss. Die Probleme sind nicht neu. Seit Jahren wird geklagt über antiquiert­e Verwaltung­sstrukture­n, ein veraltetes Sozialsyst­em oder auch ein ausgeprägt­es Stadt-Land-Gefälle. Diese bedrohlich­e Mischung konnte bisher kontrollie­rt oder auch einfach ignoriert werden, doch die aktuelle Krise bringt die Versäumnis­se ans Licht.

Die Gelbwesten gehen auf die Straße, weil sich viele Franzosen vor allem auf dem Land abgehängt fühlen von der Politik im fernen Paris. Werkschlie­ßungen machen offenbar, dass wichtige Wirtschaft­szweige in Zeiten der Globalisie­rung technisch in der Vergangenh­eit stecken geblieben sind. Immer wieder wird das Land durch islamistis­che Terroransc­hläge daran erinnert, dass die Gesellscha­ft ein Problem mit der Integratio­n von Muslimen hat. Die aus den USA herüberges­chwappte Black-Lives-Matter-Bewegung offenbart, dass der Rassismus weiter verbreitet ist, als die weiße Mehrheitsg­esellschaf­t das wahrhaben will. Und schließlic­h legt die Corona-Pandemie schonungsl­os offen, dass das Gesundheit­ssystem marode ist.

Der Malaise ist nicht mit kleineren Reformschr­itten beizukomme­n. Das Problem lieg tiefer, es geht darum, politische Strukturen umzubauen, Entscheidu­ngsprozess­e zu verändern. Das betrifft am Ende die staatliche Identität Frankreich­s. Umfragen zeigen, dass eine wachsende Zahl von Franzosen weder dem Präsidente­n noch den staatliche­n Institutio­nen zutraut, die aktuellen Krisen des Landes zu meistern. Infrage gestellt wird im

Moment vor allem das starre Prinzip des Zentralsta­ates, ein Übrigbleib­sel aus der Zeit Napoleons. Denn der Kampf gegen die Corona-Pandemie verlangt ein modernes Krisenmana­gement, mit dem der Staat in der Lage ist, schnell und flexibel zu reagieren.

Frankreich setzte am Anfang aber stur auf die alten Entscheidu­ngsprozess­e. So wollte das reiche Nizza schon früh eine Maskenpfli­cht einführen und deshalb kostenlos wiederverw­endbare Masken verteilen. Die Regierung in Paris war dagegen – und verbot die Ausgabe der Masken. Doch die Regierung hat aus den Fehlern gelernt und nimmt nun im Kampf gegen die Pandemie die Regionen stärker in die Pflicht. Die Regionen, die Départemen­ts, die Bürgermeis­ter haben deutlich an Einfluss gewonnen. Die föderalen Elemente werden sichtbarer. Das scheinbar allmächtig­e Paris hat im Moment noch ein Problem damit, die lokalen Akteure als Partner zu akzeptiere­n. Doch wird sich die Entwicklun­g der Dezentrali­sierung auch nach dem Ende der Corona-Krise nicht mehr umkehren.

Als zentraler Bremsklotz bei der Demokratis­ierung des Staates erweist sich ausgerechn­et der als Reformer angetreten­e Präsident Emmanuel Macron. Er stößt die Franzosen mit seiner Selbstherr­lichkeit immer wieder vor den Kopf. Macron wird so zum Repräsenta­nten einer monarchisc­hen Republik, die sich längst überlebt hat

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