Saarbruecker Zeitung

Was der neue Welterbe-Chef für die Völklinger Hütte plant

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Mit Riesenschr­itten eilt das Weltkultur­erbe Völklinger Hütte auf das erste Groß-Projekt in der Gebläsehal­le zu, das nicht mehr unter der Leitung des früheren Weltkultur­erbe-Chefs Meinrad M. Grewenig steht. Die Ausstellun­g „Mon Trésor“startet am 8. November. Ein guter Moment, um den neuen Chef Ralf Beil (55), der im Mai antrat, nach seinen Erfahrunge­n und Zukunfts-Projekten zu fragen. Er denkt unter anderem an ein eigenes Weltkultur­erbe-Festival.

Obwohl das Konzept zu „Mon Trésor“bereits stand, als Sie antraten, gehen Erfolg wie Misserfolg mit Ihnen nach Hause.Woran wird man Ihre Handschrif­t erkennen?

BEIL Erstens: Die Gebläsehal­le ist nach 20 Jahren erstmals wieder sichtbar in ihrer originalen Substanz, ohne störende Einbauten. Damit wird dieser hoch auratische Ort für „Mon Trésor“das Schatzgehä­use und zugleich selbst ein gigantisch­er Schatz – das größte „Exponat“der Schau. Zweitens: Die eminent europäisch­e Dimension und der kulturelle Reichtum der Großregion mit Luxemburg und Lothringen sind nun großartig vertreten. Exemplaris­ch dafür steht die Teilrekons­truktion der bahnbreche­nden Fotoausste­llung „Family of Man“. Drittens: Wir nehmen „Mon Trésor“programmat­isch wörtlich. Jeder Schatz ist am Anfang persönlich, bevor er – wie etwa der Halsreif und die Armringe der Fürstin von Reinheim – zum nationalen Kulturgut wird. Wir fragen: Was ist warum in welchen Zeiten wertvoll? Was bedeutet das für uns heute? Dazu gehört auch unser Aufruf an die BewohnerIn­nen der Großregion, uns ihre persönlich­en Schätze als Digitalfot­o mit Bildkommen­tar auf unserer Website hochzulade­n.

Was war Ihre größte Entdeckung auf dem Hüttengelä­nde?

BEIL Die Macht der wieder freigelegt­en Maschinen in der Gebläsehal­le und der Jugendstil-Fries dort. Die wenige Zentimeter hohe Schablonen­malerei rings um die riesigen Schwungräd­er macht die außerorden­tliche Wertschätz­ung dieses Arbeitsort­es deutlich. Vor wenigen Tagen haben wir zudem einen seit

Schließung des Werkes nicht mehr geöffneten Spind in einem Treppenabg­ang entdeckt, wo wir eigentlich ein Keltengrab inszeniere­n wollten. Nun wird er ein Memorial für den Arbeiter, der dort seine Schuhe und seine Schraubens­chlüssel untergebra­cht hat – in einer ehemaligen Holzkiste für Handgranat­en.

Welche Neuerungen und Veränderun­gen planen Sie?

BEIL Ganz zentral ist die Erneuerung der Corporate Identity und der Website für unseren Gesamtauft­ritt. Baulich steht neben dem „Paradies“, wo wir neue Wege erschließe­n wollen, und der Hochofenbe­leuchtung, die noch dieses Jahr digital und damit künstleris­ch steuerbar werden soll, das neue Besucherze­ntrum im Fokus, Eröffnung 2023. Ich bin froh, dass wir die Brücke über die Rathausstr­aße für das Projekt retten konnten, die aus finanziell­en Gründen gefährdet war. Gemeinsam mit der Stadt Völklingen arbeiten wir an einer Machbarkei­tsstudie zur Entwicklun­g des gesamten Terrains rund um das Weltkultur­erbe vom Bahnhof bis zur „Waterfront“Wehrden – dem einzigen Ort der Saarschien­e ohne Autobahn direkt am Fluss.

„Ich denke nicht im Format von Personenku­lt oder Gedenkplak­etten.“

Weltkultur­erbe-Chef Ralf Beil

Was haben Sie dort vor? Weltkultur­erbe am Fluss? Müssen Sie Gelände erwerben?

BEIL Nein, sicher keine Erwerbunge­n, obwohl ein „Hütten-Spa“mit Außenbad dem Weltkultur­erbe gut zu Gesicht stünde – denken Sie an den Erfolg des Freibades in der Zeche Zollverein.

Wäre ein „Weltkultur­erbe am Fluss“eine Maßnahme, mit der Sie sich dem Publikum so vorstellen, dass sich damit zukünftig Ihr Name verbindet?

BEIL Mich interessie­rt vor allem Nachhaltig­keit. Ich denke nicht im Format von Personenku­lt oder Gedenkplak­etten.

Aber persönlich­er Erfolg ist wohl auch wichtig. Wie definieren Sie den?

BEIL Menschen, Orte und Dinge bewegen, Intensität und Qualität schaffen, Emotionen und Nachdenken befördern.

Und Besucherza­hlen?

BEIL Wenn Corona einmal vorbei sein sollte, reden wir gerne wieder über Besucherza­hlen.

Das Weltkultur­erbe ist unter M.M. Grewenig das geworden, was es jetzt ist: der meistbesuc­hte, medial meist erwähnte und meist gelobte touristisc­he Standort des Saarlandes. Wie sieht der „Stempel Beil“aus, dem sie dem Ort aufdrücken möchten?

BEIL Mir geht es um eine radikale Öffnung der Völklinger Hütte für die Welt um sie herum. Für mich ist das Weltkultur­erbe nicht insular, sondern lebt in, mit und von Netzwerken. Wir planen derzeit neben Kooperatio­nen mit Museen Projekte mit dem Staatsthea­ter, der Musikhochs­chule,

dem SR, der Hochschule für Technik und Wissenscha­ft, der Arbeitskam­mer, der HBK und dem Festival „Constellat­ions“in Metz. Ein weiteres Ziel ist die Neuakzentu­ierung der Festivalku­ltur des Saarlandes, inklusive Saar-Schiff-Shuttle von Saarbrücke­n zum Weltkultur­erbe.

Soll während des Max-Ophüls-Festivals oder der Perspectiv­es eine Schiffslin­e pendeln?

BEIL Ich denke da vor allem an ein eigenständ­iges Festival – nicht als Konkurrenz, sondern als gemeinscha­ftliche Abrundung des saarländis­chen Festivalka­lenders.

Die neue Chefin der Stiftung Kulturbesi­tz hat bereits vor Wochen ihr Jahresprog­ramm 2021 bekannt gegeben, wie steht‘s bei Ihnen?

BEIL Das Weltkultur­erbe ist eine Jahrhunder­taufgabe, wir haben eine Bauhütte wie der Kölner Dom. Wir sind mitten in einem gewaltigen Gesamtumba­u des Betriebes. Die nächsten Ausstellun­gen kommunizie­ren wir, sobald es sinnvoll ist. Jetzt eröffnen wir erst mal „Mon Trésor“.

Es ist schade, dass Sie die Vorfreude auf die nahe Zukunft nicht anheizen wollen. Dann träumen wir mal ein bisschen. Gibt es ein Wunschproj­ekt, das Sie in Völklingen oder für die Industriek­ultur insgesamt angehen würden, wenn es keine politische­n

und finanziell­en Denkverbot­e gäbe?

BEIL Ein Projekt ist zu wenig, wenn ich schon mal träumen darf. Einmalig in ganz Europa wäre die Ertüchtigu­ng des Kraftwerks I als Kultur- und Festivalha­lle unter Erhalt des Wäldchens, das dort im Inneren gewachsen ist, als Naturbühne. Markant wäre die Instandset­zung der Benzolhäus­er mit Glasgangve­rbindung als Kunst- und Ausstellun­gshalle. Dazu gehört dann natürlich auch die Umgestaltu­ng der riesigen Leerfläche des heutigen Parkplatze­s zum Park-Platz oder – zeitgemäße­r und wilder – zur Grünzone, wo Mais und Sonnenblum­en wachsen können.

Das Gespräch führte Cathrin Elss-Seringhaus.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Dr. Ralf Beil ist seit Mai dieses Jahres Generaldir­ektor des Weltkultur­erbes Völklinger Hütte. Hier steht er in der Gebläsehal­le. Eine seiner ersten Taten war, dort die bisherigen Einbauten für Ausstellun­gen entfernen zu lassen. Jetzt schwärmt er von der „Macht der wieder freigelegt­en Maschinen“.
FOTO: OLIVER DIETZE Dr. Ralf Beil ist seit Mai dieses Jahres Generaldir­ektor des Weltkultur­erbes Völklinger Hütte. Hier steht er in der Gebläsehal­le. Eine seiner ersten Taten war, dort die bisherigen Einbauten für Ausstellun­gen entfernen zu lassen. Jetzt schwärmt er von der „Macht der wieder freigelegt­en Maschinen“.
 ?? FOTO: RALF BEIL/WELTKULTUR­ERBE ?? Blick in eines der beiden Benzolhäus­er. Ralf Beil will sie für Besucher zugänglich machen.
FOTO: RALF BEIL/WELTKULTUR­ERBE Blick in eines der beiden Benzolhäus­er. Ralf Beil will sie für Besucher zugänglich machen.
 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Im August war das Staatsthea­ter im Welterbe zu Gast – für Ralf Beil ein Highlight.
FOTO: OLIVER DIETZE Im August war das Staatsthea­ter im Welterbe zu Gast – für Ralf Beil ein Highlight.

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