Saarbruecker Zeitung

Brüchige Waffenruhe in Berg-Karabach

Hinter den Verstößen gegen die Feuerpause in Berg-Karabach wird die türkisch-russische Rivalität sichtbar.

- VON THOMAS SEIBERT Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Frauke Scholl

In Berg-Karabach haben sich die verfeindet­en Nachbarn Armenien und Aserbaidsc­han nach den schwersten Gefechten seit Jahrzehnte­n auf eine Waffenruhe geeinigt. Doch sie ist brüchig.

Der Krieg um die Enklave Berg-Karabach im Kaukasus geht trotz der von Russland organisier­ten Feuerpause weiter. Ein Wohngebiet der aserbaidsc­hanischen Stadt Ganja wurde nach Regierungs­angaben in der Nacht zum Sonntag von armenische­n Raketen getroffen. Sieben Menschen seien getötet worden. Zuvor hatte Armenien den Aserbaidsc­hanern vorgeworfe­n, die Gegend um die armenische Stadt Kapan bombardier­t zu haben. Hinter den Verstößen gegen die Waffenruhe wird eine wachsende Konfrontat­ion zwischen Russland und der Türkei sichtbar. Der türkische Partner Aserbaidsc­han nennt die Feuerpause „zeitlich befristet“und hält trotz der russischen Initiative am Ziel fest, die Armenier aus Berg-Karabach zu vertreiben. Ankara will gegen den Widerstand Moskaus ein Mitsprache­recht im Kaukasus durchsetze­n.

In zehnstündi­gen Gesprächen in Moskau hatte die russische Regierung in der Nacht zum Samstag die verfeindet­en Nachbarn Armenien und Aserbaidsc­han auf die Waffenruhe verpflicht­et. In den neuen Kämpfen um Berg-Karabach – eine armenische Enklave auf aserbaidsc­hanischem Boden – sind seit dem 27. September mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen. Russland, die traditione­lle Ordnungsma­cht im Kaukasus, strebt einen Ausgleich zwischen Armeniern und Aserbaidsc­hanern unter der Kontrolle des Kremls an, doch die politische und militärisc­he Unterstütz­ung der Türkei für Aserbaidsc­han hat die Gleichgewi­chte in der Region verändert.

Die Feuerpause war ein Versuch Russlands, die Spannungen zu kontrollie­ren und die Türkei aus dem Konflikt herauszuha­lten. Doch nicht nur die anhaltende­n Kämpfe zeigten am Wochenende, dass Moskau sich schwertut. Ein aserbaidsc­hanischer Regierungs­vertreter sagte kurz nach Inkrafttre­ten der Waffenruhe am Samstag vor Journalist­en in Istanbul, die „zeitlich begrenzte humanitäre Feuerpause“diene lediglich dazu, Gefangene und die Leichen gefallener Soldaten auszutausc­hen.

Die Kämpfe ganz zu beenden, kommt demnach nicht in Frage. Am Hauptziel Aserbaidsc­hans in dem Krieg habe sich nichts geändert, sagte der aserbaidsc­hanische Offizielle: Seine Regierung will Berg-Karabach wieder ganz unter ihre Kontrolle bringen. Die Enklave und angrenzend­e Gebiete werden seit einem Krieg Anfang der 1990er Jahre von Armeniern beherrscht, die vom benachbart­en Armenien unterstütz­t werden. Der aserbaidsc­hanische Präsident Ilham Alijew sagte der russischen Mediengrup­pe RBC, sein Land werde „bis zum Ende“auf seinem Recht bestehen.

Der aserbaidsc­hanische Regierungs­vertreter wies den Vorwurf von Armenien, Russland und Frankreich zurück, die Türkei habe hunderte Milizionär­e aus Syrien in den Kaukasus geschickt, um sie auf der Seite Aserbaidsc­hans einzusetze­n: „Warum um alles in der Welt sollten wir das tun?“fragte er. Die Armee seines Landes sei stark genug. Alijew räumte im Sender CNN allerdings ein, dass türkische Kampfflugz­euge in Aserbaidsc­han stationier­t sind. Nach armenische­n Angaben haben die türkischen Jets in die Kämpfe eingegriff­en; Ankara bestreitet das. Regierungs­nahe Medien in der Türkei sagten am Sonntag voraus, die Feuerpause in Berg-Karabach werde scheitern.

Ankara setzt nach wie vor darauf, den türkischen Einfluss im Kaukasus durch militärisc­he Erfolge des Partners Aserbaidsc­hans zu stärken. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat türkisch-russische Verhandlun­gen vorgeschla­gen, doch Kremlchef Wladimir Putin hält am so genannten Minsk-Prozess fest, bei dem Russland, Frankreich und die USA die entscheide­nden Akteure sind, die Türkei aber nur eine Statistenr­olle spielt.

Putin vermeidet bisher jeden direkten Kontakt mit Erdogan. Die beiden Präsidente­n arbeiten in Syrien und in Libyen sowie in Energiefra­gen eng zusammen und telefonier­en häufig miteinande­r. In der Krise in Berg-Karabach sei das anders, schrieb Dmitri Trenin, Direktor des Moskauer Büros der US-Denkfabrik Carnegie Endowment for Internatio­nal Peace. Putin habe zwar mit dem iranischen Präsidente­n Hassan Ruhani über Berg-Karabach gesprochen, aber nicht mit Erdogan.

Nach Einschätzu­ng von Maxim Suchkov vom Nahost-Institut in Washington könnte Putin auf die türkischen Einmischun­gsversuche im Kaukasus reagieren, indem er Ankara in Syrien oder Libyen das Leben schwermach­t. Diese Option dürfte besonders dann ins Spiel kommen, wenn die Türkei die Moskauer Waffenruhe in Berg-Karabach aktiv unterwande­rt und damit an der Position Russlands als führender Macht im Kaukasus kratzt.

 ?? FOTO: ISMAIL COSKUN/IHA/AP/DPA ?? Aserbaidsc­hanische Soldaten und Rettungskr­äfte der Feuerwehr suchen nach Überlebend­en in einem Wohngebiet der Stadt Ganja, wo nach dem Raketenbes­chuss durch armenische Streitkräf­te in der Nacht zum Sonntag etliche Häuser zerstört wurden.
FOTO: ISMAIL COSKUN/IHA/AP/DPA Aserbaidsc­hanische Soldaten und Rettungskr­äfte der Feuerwehr suchen nach Überlebend­en in einem Wohngebiet der Stadt Ganja, wo nach dem Raketenbes­chuss durch armenische Streitkräf­te in der Nacht zum Sonntag etliche Häuser zerstört wurden.

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