Brüchige Waffenruhe in Berg-Karabach
Hinter den Verstößen gegen die Feuerpause in Berg-Karabach wird die türkisch-russische Rivalität sichtbar.
In Berg-Karabach haben sich die verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan nach den schwersten Gefechten seit Jahrzehnten auf eine Waffenruhe geeinigt. Doch sie ist brüchig.
Der Krieg um die Enklave Berg-Karabach im Kaukasus geht trotz der von Russland organisierten Feuerpause weiter. Ein Wohngebiet der aserbaidschanischen Stadt Ganja wurde nach Regierungsangaben in der Nacht zum Sonntag von armenischen Raketen getroffen. Sieben Menschen seien getötet worden. Zuvor hatte Armenien den Aserbaidschanern vorgeworfen, die Gegend um die armenische Stadt Kapan bombardiert zu haben. Hinter den Verstößen gegen die Waffenruhe wird eine wachsende Konfrontation zwischen Russland und der Türkei sichtbar. Der türkische Partner Aserbaidschan nennt die Feuerpause „zeitlich befristet“und hält trotz der russischen Initiative am Ziel fest, die Armenier aus Berg-Karabach zu vertreiben. Ankara will gegen den Widerstand Moskaus ein Mitspracherecht im Kaukasus durchsetzen.
In zehnstündigen Gesprächen in Moskau hatte die russische Regierung in der Nacht zum Samstag die verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan auf die Waffenruhe verpflichtet. In den neuen Kämpfen um Berg-Karabach – eine armenische Enklave auf aserbaidschanischem Boden – sind seit dem 27. September mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen. Russland, die traditionelle Ordnungsmacht im Kaukasus, strebt einen Ausgleich zwischen Armeniern und Aserbaidschanern unter der Kontrolle des Kremls an, doch die politische und militärische Unterstützung der Türkei für Aserbaidschan hat die Gleichgewichte in der Region verändert.
Die Feuerpause war ein Versuch Russlands, die Spannungen zu kontrollieren und die Türkei aus dem Konflikt herauszuhalten. Doch nicht nur die anhaltenden Kämpfe zeigten am Wochenende, dass Moskau sich schwertut. Ein aserbaidschanischer Regierungsvertreter sagte kurz nach Inkrafttreten der Waffenruhe am Samstag vor Journalisten in Istanbul, die „zeitlich begrenzte humanitäre Feuerpause“diene lediglich dazu, Gefangene und die Leichen gefallener Soldaten auszutauschen.
Die Kämpfe ganz zu beenden, kommt demnach nicht in Frage. Am Hauptziel Aserbaidschans in dem Krieg habe sich nichts geändert, sagte der aserbaidschanische Offizielle: Seine Regierung will Berg-Karabach wieder ganz unter ihre Kontrolle bringen. Die Enklave und angrenzende Gebiete werden seit einem Krieg Anfang der 1990er Jahre von Armeniern beherrscht, die vom benachbarten Armenien unterstützt werden. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew sagte der russischen Mediengruppe RBC, sein Land werde „bis zum Ende“auf seinem Recht bestehen.
Der aserbaidschanische Regierungsvertreter wies den Vorwurf von Armenien, Russland und Frankreich zurück, die Türkei habe hunderte Milizionäre aus Syrien in den Kaukasus geschickt, um sie auf der Seite Aserbaidschans einzusetzen: „Warum um alles in der Welt sollten wir das tun?“fragte er. Die Armee seines Landes sei stark genug. Alijew räumte im Sender CNN allerdings ein, dass türkische Kampfflugzeuge in Aserbaidschan stationiert sind. Nach armenischen Angaben haben die türkischen Jets in die Kämpfe eingegriffen; Ankara bestreitet das. Regierungsnahe Medien in der Türkei sagten am Sonntag voraus, die Feuerpause in Berg-Karabach werde scheitern.
Ankara setzt nach wie vor darauf, den türkischen Einfluss im Kaukasus durch militärische Erfolge des Partners Aserbaidschans zu stärken. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat türkisch-russische Verhandlungen vorgeschlagen, doch Kremlchef Wladimir Putin hält am so genannten Minsk-Prozess fest, bei dem Russland, Frankreich und die USA die entscheidenden Akteure sind, die Türkei aber nur eine Statistenrolle spielt.
Putin vermeidet bisher jeden direkten Kontakt mit Erdogan. Die beiden Präsidenten arbeiten in Syrien und in Libyen sowie in Energiefragen eng zusammen und telefonieren häufig miteinander. In der Krise in Berg-Karabach sei das anders, schrieb Dmitri Trenin, Direktor des Moskauer Büros der US-Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace. Putin habe zwar mit dem iranischen Präsidenten Hassan Ruhani über Berg-Karabach gesprochen, aber nicht mit Erdogan.
Nach Einschätzung von Maxim Suchkov vom Nahost-Institut in Washington könnte Putin auf die türkischen Einmischungsversuche im Kaukasus reagieren, indem er Ankara in Syrien oder Libyen das Leben schwermacht. Diese Option dürfte besonders dann ins Spiel kommen, wenn die Türkei die Moskauer Waffenruhe in Berg-Karabach aktiv unterwandert und damit an der Position Russlands als führender Macht im Kaukasus kratzt.