Viele Saarländer lassen sich gegen Grippe impfen
Deutlich mehr Menschen im Saarland lassen sich laut Ärzten und Apothekern aufgrund des Coronavirus auf Grippe impfen. Ein Engpass wird befürchtet.
Hausärzte und Apotheker im Saarland melden, dass sich deutlich mehr Menschen im Saarland gegen Grippeviren impfen lassen als in den Vorjahren. Sie befürchten einen Engpass bei Impfstoffen. Das Gesundheitsministerium teilt diese Befürchtung nicht.
Heute ist es soweit. Er und seine Mitarbeiterinnen können durchatmen. Endlich. Für zwei Wochen. Solange nämlich hat seine Arztpraxis nun geschlossen. Urlaub. „Gott sei Dank“, sagt er. Und lacht. Vor der Ruhe kommt nunmal der Sturm. So ist das auch bei ihm. Bei Jörg Reinecke, niedergelassener Proktologe und Allgemeinarzt in Saarlouis.
Auch wenn er „kein großes Trara darum machen“möchte, seien die vergangenen Tage stressig gewesen. Sehr sogar. Denn viele Patienten seien bei ihm gewesen, weil sie sich impfen lassen wollten, berichtet Reinecke. So viele, dass sich „schon Staus gebildet“hätten.
Zustände, die ihn dazu bewogen hätten, dem ein oder Patienten eine Impfung auszureden. „Manchen musste ich sagen, sie sind jung und gesund, lassen sie die Impfung doch für jemanden übrig, der es notwendiger braucht“, berichtet Reinecke. Nicht alle seien damit glücklich gewesen, hätten „sehr verärgert“reagiert. Nur, was hätte er anderes tun sollen? 110 Impfungen habe er bereits durchgeführt. Bei einer bestellten Menge, die für gerade einmal 120 Impfungen ausreiche. Höchstens.
Und nein, Reinecke ist nicht der einzige Arzt, dem es so geht. Im Gegenteil. Das berichtet ein Mann, der qua seines Amtes einen guten Überblick über die aktuelle Situation in den Arztpraxen besitzt. Michael Kulas, Vorsitzender des Saarländischen Hausärzteverbandes, außerdem niedergelassener Hausarzt in Ittersdorf. In allen Praxen sei die „Nachfrage deutlich größer als in den Jahren zuvor“, bilanziert er. Auch in seiner Praxis. Vom 1. Juli 2019 bis zum 31. März 2020 haben sich im Saarland laut Gesundheitsministerium 145 817 impfen lassen. Ähnlich war es vom 1. Juli 2018 bis zum 31. März 2019 (144 670). „In dieser Saison werden die Zahlen auf alle Fälle steigen“, prophezeit Kulas.
Anruf bei Susanne Koch, Vorsitzende des Apothekervereins im Saarland. Stellt sich die Situation in den Apotheken genauso dar? Antwort: „Ja, definitiv“. Die Tendenz zum Impfen steige in diesem Jahr enorm, sagt Koch. Yasmin Hussun, Inhaberin der Stadtapotheke in Saarbrücken bestätigt das. Sie spricht von einem „Impfwahnsinn“der aktuell in Deutschland herrsche. Auch im Saarland. Was sie damit meine? „Naja. Der Ansturm ist heftig gewesen. Ich habe im Vergleich zum vergangenen Jahr gefühlt das Doppelte herausgegeben“, sagt die Pharmazeutin. Die Folge? „Aktuell habe ich keinen Grippeimpfstoff mehr im Haus.“Dabei seien die Präparate „erst Mitte September ausgeliefert“worden, wie Hussun erklärt. Doch schnell sei der Impfstoff weggewesen. „Nach zehn Tagen“, erinnert sich Hussun, die daraufhin eine weitere Ration bestellte. Die dann nach fünf Tagen aufgebraucht gewesen sei. „2019 hat die Anzahl der bereits jetzt ausgegebenen Impfstoffe bis Ende November gereicht“, sagt Hussun. Nun stehe sie Anfang Oktober ohne Impfstoff da. Warte auf neuen. „Ich stehe bei jeder Firma auf der Warteliste – hoffe, dass er irgendwie
„Der Ansturm ist heftig gewesen. Ich habe im Vergleich zum vergangenen Jahr gefühlt das Doppelte herausgegeben.“
Yasmin Hussun Apothekerin aus Saarbrücken
freigegeben wird“, sagt die Pharmazeutin.
Christian Charissé, ebenfalls Apotheker, aber in Homburg, dort in der Rats-Apotheke, sieht sich mit der gleichen Situation konfrontiert. Auch er habe „nichts mehr auf Lager und schon tausende Grippeimpfstoffe verteilt“. In erster Linie an Ärzte, aber auch an Patienten, die mit einem Rezept zu ihm kämen.
Fragt man nach den Gründen für die massiv gestiegene Nachfrage nach Grippeimpfungen, muss man bei keinem der Befragten lange auf eine Antwort warten. Es liege „eindeutig an der Corona-Situation“, sagt Kulas. Der Saarlouiser Arzt Reinecke stellt wegen der Pandemie ebenfalls eine „große Verunsicherung bei seinen Patienten fest“. In diese Kerbe schlägt auch die Apothekerin Hussun. „Die Menschen wollen noch mehr auf Nummer sicher gehen“.
Sie tun damit also das, wozu die Politik ja auch rät. Darunter auch die Landesregierung im Saarland, wie das Saar-Gesundheitsministerium auf SZ-Anfrage bestätigt: „Die
Grippeschutzimpfung sollte in jedem Fall – gerade wegen der Covid-19 Pandemie – durchgeführt werden“, sagt eine Sprecherin und verweist auf eine „Empfehlung der Ständischen Impfkommission“, die die Grippeschutzimpfung in diesem Jahr „allen Altersgruppen“nahelegt.
Nach Angaben der Ständigen Impfkommission werden für die Saison 2020/21 in Deutschland rund 26 Millionen Dosen Grippeimpfstoff verfügbar sein. Deutlich mehr also als in den vergangenen Jahren. Rund 18 Millionen Dosen hat das Paul-Ehrlich-Institut bereits freigegeben. „Wir rechnen mit keinem Engpass“, teilt das Saar-Gesundheitsministerium mit.
Anders sehen das die von uns befragten Ärzte und Apotheker. Unisono äußern sie ihre Sorge, dass der Impfstoff bald ausgehen könnte. Am deutlichsten wird der Saarlouiser Arzt Reinecke: „Die Bundesregierung und Krankenversicherungen machen wahnsinnig viel Werbung für die Grippeimpfung. Doch dafür wurde einfach zu wenig produziert,“kritisiert er.