Saarbruecker Zeitung

Viele Saarländer lassen sich gegen Grippe impfen

Deutlich mehr Menschen im Saarland lassen sich laut Ärzten und Apothekern aufgrund des Coronaviru­s auf Grippe impfen. Ein Engpass wird befürchtet.

- VON MORITZ SCHEIDEL

Hausärzte und Apotheker im Saarland melden, dass sich deutlich mehr Menschen im Saarland gegen Grippevire­n impfen lassen als in den Vorjahren. Sie befürchten einen Engpass bei Impfstoffe­n. Das Gesundheit­sministeri­um teilt diese Befürchtun­g nicht.

Heute ist es soweit. Er und seine Mitarbeite­rinnen können durchatmen. Endlich. Für zwei Wochen. Solange nämlich hat seine Arztpraxis nun geschlosse­n. Urlaub. „Gott sei Dank“, sagt er. Und lacht. Vor der Ruhe kommt nunmal der Sturm. So ist das auch bei ihm. Bei Jörg Reinecke, niedergela­ssener Proktologe und Allgemeina­rzt in Saarlouis.

Auch wenn er „kein großes Trara darum machen“möchte, seien die vergangene­n Tage stressig gewesen. Sehr sogar. Denn viele Patienten seien bei ihm gewesen, weil sie sich impfen lassen wollten, berichtet Reinecke. So viele, dass sich „schon Staus gebildet“hätten.

Zustände, die ihn dazu bewogen hätten, dem ein oder Patienten eine Impfung auszureden. „Manchen musste ich sagen, sie sind jung und gesund, lassen sie die Impfung doch für jemanden übrig, der es notwendige­r braucht“, berichtet Reinecke. Nicht alle seien damit glücklich gewesen, hätten „sehr verärgert“reagiert. Nur, was hätte er anderes tun sollen? 110 Impfungen habe er bereits durchgefüh­rt. Bei einer bestellten Menge, die für gerade einmal 120 Impfungen ausreiche. Höchstens.

Und nein, Reinecke ist nicht der einzige Arzt, dem es so geht. Im Gegenteil. Das berichtet ein Mann, der qua seines Amtes einen guten Überblick über die aktuelle Situation in den Arztpraxen besitzt. Michael Kulas, Vorsitzend­er des Saarländis­chen Hausärztev­erbandes, außerdem niedergela­ssener Hausarzt in Ittersdorf. In allen Praxen sei die „Nachfrage deutlich größer als in den Jahren zuvor“, bilanziert er. Auch in seiner Praxis. Vom 1. Juli 2019 bis zum 31. März 2020 haben sich im Saarland laut Gesundheit­sministeri­um 145 817 impfen lassen. Ähnlich war es vom 1. Juli 2018 bis zum 31. März 2019 (144 670). „In dieser Saison werden die Zahlen auf alle Fälle steigen“, prophezeit Kulas.

Anruf bei Susanne Koch, Vorsitzend­e des Apothekerv­ereins im Saarland. Stellt sich die Situation in den Apotheken genauso dar? Antwort: „Ja, definitiv“. Die Tendenz zum Impfen steige in diesem Jahr enorm, sagt Koch. Yasmin Hussun, Inhaberin der Stadtapoth­eke in Saarbrücke­n bestätigt das. Sie spricht von einem „Impfwahnsi­nn“der aktuell in Deutschlan­d herrsche. Auch im Saarland. Was sie damit meine? „Naja. Der Ansturm ist heftig gewesen. Ich habe im Vergleich zum vergangene­n Jahr gefühlt das Doppelte herausgege­ben“, sagt die Pharmazeut­in. Die Folge? „Aktuell habe ich keinen Grippeimpf­stoff mehr im Haus.“Dabei seien die Präparate „erst Mitte September ausgeliefe­rt“worden, wie Hussun erklärt. Doch schnell sei der Impfstoff weggewesen. „Nach zehn Tagen“, erinnert sich Hussun, die daraufhin eine weitere Ration bestellte. Die dann nach fünf Tagen aufgebrauc­ht gewesen sei. „2019 hat die Anzahl der bereits jetzt ausgegeben­en Impfstoffe bis Ende November gereicht“, sagt Hussun. Nun stehe sie Anfang Oktober ohne Impfstoff da. Warte auf neuen. „Ich stehe bei jeder Firma auf der Warteliste – hoffe, dass er irgendwie

„Der Ansturm ist heftig gewesen. Ich habe im Vergleich zum vergangene­n Jahr gefühlt das Doppelte herausgege­ben.“

Yasmin Hussun Apothekeri­n aus Saarbrücke­n

freigegebe­n wird“, sagt die Pharmazeut­in.

Christian Charissé, ebenfalls Apotheker, aber in Homburg, dort in der Rats-Apotheke, sieht sich mit der gleichen Situation konfrontie­rt. Auch er habe „nichts mehr auf Lager und schon tausende Grippeimpf­stoffe verteilt“. In erster Linie an Ärzte, aber auch an Patienten, die mit einem Rezept zu ihm kämen.

Fragt man nach den Gründen für die massiv gestiegene Nachfrage nach Grippeimpf­ungen, muss man bei keinem der Befragten lange auf eine Antwort warten. Es liege „eindeutig an der Corona-Situation“, sagt Kulas. Der Saarlouise­r Arzt Reinecke stellt wegen der Pandemie ebenfalls eine „große Verunsiche­rung bei seinen Patienten fest“. In diese Kerbe schlägt auch die Apothekeri­n Hussun. „Die Menschen wollen noch mehr auf Nummer sicher gehen“.

Sie tun damit also das, wozu die Politik ja auch rät. Darunter auch die Landesregi­erung im Saarland, wie das Saar-Gesundheit­sministeri­um auf SZ-Anfrage bestätigt: „Die

Grippeschu­tzimpfung sollte in jedem Fall – gerade wegen der Covid-19 Pandemie – durchgefüh­rt werden“, sagt eine Sprecherin und verweist auf eine „Empfehlung der Ständische­n Impfkommis­sion“, die die Grippeschu­tzimpfung in diesem Jahr „allen Altersgrup­pen“nahelegt.

Nach Angaben der Ständigen Impfkommis­sion werden für die Saison 2020/21 in Deutschlan­d rund 26 Millionen Dosen Grippeimpf­stoff verfügbar sein. Deutlich mehr also als in den vergangene­n Jahren. Rund 18 Millionen Dosen hat das Paul-Ehrlich-Institut bereits freigegebe­n. „Wir rechnen mit keinem Engpass“, teilt das Saar-Gesundheit­sministeri­um mit.

Anders sehen das die von uns befragten Ärzte und Apotheker. Unisono äußern sie ihre Sorge, dass der Impfstoff bald ausgehen könnte. Am deutlichst­en wird der Saarlouise­r Arzt Reinecke: „Die Bundesregi­erung und Krankenver­sicherunge­n machen wahnsinnig viel Werbung für die Grippeimpf­ung. Doch dafür wurde einfach zu wenig produziert,“kritisiert er.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA In diesem Jahr wollen sich deutlich mehr Menschen impfen lassen als noch in den Jahren zuvor. Auch im Saarland. Die Ärzte und Apotheker sehen in der Corona-Pandemie die Ursache dafür – und befürchten, dass der Grippeimpf­stoff womöglich bald ausgehen könnte.

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