Saarbruecker Zeitung

Die Party ist vorbei – kann Berlin das Nachtleben stilllegen?

Zwangspaus­e für die Feier-Hauptstadt: Seit dem Wochenende gilt an der Spree eine Sperrstund­e zur Corona-Eindämmung. Das löst einige Kritik aus.

- VON JULIA KILIAN Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Manuel Görtz

(dpa) Gegen Mitternach­t geht der Rollladen runter. Eigentlich wird hier sonst bis zum Morgengrau­en geraucht, getrunken, geknutscht. Damit ist vorerst Schluss. In Berlin gilt seit der Nacht zum Samstag eine Sperrstund­e. Weil immer mehr Menschen sich mit dem Coronaviru­s infizieren, verschärft die Metropole die Regeln. Wird das etwas bringen?

Die vergangene­n Monate haben viel gelehrt. Darüber, was Vorschrift­en mit Menschen machen – und eine Pandemie mit der Gesellscha­ft. Es war zu sehen, wie die Politik um Vorgaben stritt. Und wie sich Menschen mit illegalen Partys einen Ausweg suchten. Nun appelliert Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) vor allem an junge Leute, sich an Regeln zu halten. In Großstädte­n steigt die Zahl neuer Infektione­n.

Nun gilt auch in der deutschen (Party-) Hauptstadt: Whiskey Sour gibt‘s nicht mehr die ganze Nacht. Bars, Restaurant­s und die meisten Geschäfte müssen zwischen 23 Uhr und sechs Uhr schließen. „Ernsthaft: Was soll diese beschissen­e Sperrstund­e eigentlich bringen?“, flucht ein Mann auf Englisch, als er durch den Kiez läuft. Das sehen nicht alle so. „Ich bin froh, dass das jetzt so kommt“, sagt Ryan. „Es ist ja offensicht­lich, dass die Leute sich nicht unter Kontrolle haben.“Wieder anders sieht es eine junge Frau. Sie halte das nicht für förderlich, weil sich die Partys einfach ins Private verlagerte­n – und damit die Kontaktver­folgung schwerer werde. Das Argument fällt auch in der Gastroszen­e. „Ordnungsbe­hörden werden große Schwierigk­eiten haben, die Hygienereg­eln in Privatwohn­ungen oder in den über 2500 Parks und Gärten der Stadt zu kontrollie­ren“, warnte die Berliner Clubcommis­sion.

Schon die Kontrolle der Sperrstund­e dürfte für die Polizei eine Herausford­erung werden. Zwar schlossen Einsatzkrä­fte in den ersten beiden Sperrstund­en-Nächten mehrere Lokale. Medien berichtete­n aber auch von Imbissen und Bars, die offenblieb­en – und von Debatten zwischen Polizisten und Betreibern. Für Barbesitze­r bedeutet die Sperrstund­e weniger Umsatz. Vor allem zwischen 22 Uhr und zwei Uhr verdienen sie Geld. Auch Soziologin Talja Blokland erinnert daran. Einem Teil der Menschen mache die Sperrstund­e nicht viel aus, weil sie ohnehin nicht nachts unterwegs seien. Aber es treffe auch Menschen, die nachts ihr Geld verdienen müssten, etwa Taxifahrer und Tellerwäsc­her. „Es wird argumentie­rt, dass Partys der Grund für die steigenden Infektions­zahlen seien. Das braucht in der Öffentlich­keit klare Belege“, findet die Professori­n vom Georg-Simmel-Zentrum für Metropolen­forschung an der Humboldt-Universitä­t. Bars und Cafés seien zudem auch Orte zum Lernen, zur Teilhabe, zum Informatio­nsaustausc­h.

„Zu glauben, das seien nur Orte zum Feiern, ist soziologis­ch eine sehr kurz gefasste Vorstellun­g.“Ihrer Einschätzu­ng nach kann sich die Sperrstund­e auch auf das Sicherheit­sgefühl in der Stadt auswirken.

Angesichts schon seit Monaten geschlosse­ner Clubs fragt sich mancher, was von der Berliner Szene übrigbleib­en wird. Mehrere Gastronome­n wollen mit einem Eilantrag vor Gericht gegen die Sperrstund­e vorgehen. Der Senat will zwar zügig Hilfen für Wirte beschließe­n – aber wird das reichen?

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FOTO:RIEDL/DPA Sperrstund­e in Berlin: Die ersten Verstöße in Lokalen musste die Polizei schon ahnden.

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