Die Party ist vorbei – kann Berlin das Nachtleben stilllegen?
Zwangspause für die Feier-Hauptstadt: Seit dem Wochenende gilt an der Spree eine Sperrstunde zur Corona-Eindämmung. Das löst einige Kritik aus.
(dpa) Gegen Mitternacht geht der Rollladen runter. Eigentlich wird hier sonst bis zum Morgengrauen geraucht, getrunken, geknutscht. Damit ist vorerst Schluss. In Berlin gilt seit der Nacht zum Samstag eine Sperrstunde. Weil immer mehr Menschen sich mit dem Coronavirus infizieren, verschärft die Metropole die Regeln. Wird das etwas bringen?
Die vergangenen Monate haben viel gelehrt. Darüber, was Vorschriften mit Menschen machen – und eine Pandemie mit der Gesellschaft. Es war zu sehen, wie die Politik um Vorgaben stritt. Und wie sich Menschen mit illegalen Partys einen Ausweg suchten. Nun appelliert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor allem an junge Leute, sich an Regeln zu halten. In Großstädten steigt die Zahl neuer Infektionen.
Nun gilt auch in der deutschen (Party-) Hauptstadt: Whiskey Sour gibt‘s nicht mehr die ganze Nacht. Bars, Restaurants und die meisten Geschäfte müssen zwischen 23 Uhr und sechs Uhr schließen. „Ernsthaft: Was soll diese beschissene Sperrstunde eigentlich bringen?“, flucht ein Mann auf Englisch, als er durch den Kiez läuft. Das sehen nicht alle so. „Ich bin froh, dass das jetzt so kommt“, sagt Ryan. „Es ist ja offensichtlich, dass die Leute sich nicht unter Kontrolle haben.“Wieder anders sieht es eine junge Frau. Sie halte das nicht für förderlich, weil sich die Partys einfach ins Private verlagerten – und damit die Kontaktverfolgung schwerer werde. Das Argument fällt auch in der Gastroszene. „Ordnungsbehörden werden große Schwierigkeiten haben, die Hygieneregeln in Privatwohnungen oder in den über 2500 Parks und Gärten der Stadt zu kontrollieren“, warnte die Berliner Clubcommission.
Schon die Kontrolle der Sperrstunde dürfte für die Polizei eine Herausforderung werden. Zwar schlossen Einsatzkräfte in den ersten beiden Sperrstunden-Nächten mehrere Lokale. Medien berichteten aber auch von Imbissen und Bars, die offenblieben – und von Debatten zwischen Polizisten und Betreibern. Für Barbesitzer bedeutet die Sperrstunde weniger Umsatz. Vor allem zwischen 22 Uhr und zwei Uhr verdienen sie Geld. Auch Soziologin Talja Blokland erinnert daran. Einem Teil der Menschen mache die Sperrstunde nicht viel aus, weil sie ohnehin nicht nachts unterwegs seien. Aber es treffe auch Menschen, die nachts ihr Geld verdienen müssten, etwa Taxifahrer und Tellerwäscher. „Es wird argumentiert, dass Partys der Grund für die steigenden Infektionszahlen seien. Das braucht in der Öffentlichkeit klare Belege“, findet die Professorin vom Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung an der Humboldt-Universität. Bars und Cafés seien zudem auch Orte zum Lernen, zur Teilhabe, zum Informationsaustausch.
„Zu glauben, das seien nur Orte zum Feiern, ist soziologisch eine sehr kurz gefasste Vorstellung.“Ihrer Einschätzung nach kann sich die Sperrstunde auch auf das Sicherheitsgefühl in der Stadt auswirken.
Angesichts schon seit Monaten geschlossener Clubs fragt sich mancher, was von der Berliner Szene übrigbleiben wird. Mehrere Gastronomen wollen mit einem Eilantrag vor Gericht gegen die Sperrstunde vorgehen. Der Senat will zwar zügig Hilfen für Wirte beschließen – aber wird das reichen?