Saarbruecker Zeitung

Warum Afrika so wenige Corona-Tote hat

Die Corona-Pandemie ist in Afrika nicht so schwer verlaufen, wie befürchtet. Der Kontinent bietet womöglich den Schlüssel, um das Virus zu verstehen.

- VON GIOIA FORSTER

(dpa) Die Corona-Prognosen für Afrika waren zu Beginn der Pandemie katastroph­al: Eine rasante Ausbreitun­g, kollabiere­nde Gesundheit­ssysteme, Hunderttau­sende Tote wurden vorhergesa­gt. Doch ein halbes Jahr später ist klar, dass der Kontinent epidemiolo­gisch nicht so hart getroffen wurde, wie befürchtet. „Afrika hatte seine eigene Pandemie“, sagte jüngst Mark Woolhouse von der Universitä­t Edinburgh. Die junge Bevölkerun­g ist dabei ein wichtiger Faktor. Doch Experten rätseln noch immer über etliche andere Gründe, warum Afrika dem Allerschli­mmsten bislang entkommen ist.

Der Kontinent hat bisher rund 1,48 Millionen Covid-19-Fälle verzeichne­t. Weil viele Länder noch immer nicht ausreichen­d testen, dürfte die Dunkelziff­er sehr hoch liegen. Wie hoch, dafür geben einige Antikörper-Studien Hinweise: Wissenscha­ftler einer Studie in Kenia etwa schätzten, dass etwa 1,6 Millionen Kenianer Corona-Antikörper hatten – im Gegensatz zu den rund 39 000 Corona-Fällen, die das Land offiziell verzeichne­t hat.

Warum hat Afrika dann mit etwa 36 200 Covid-Toten eine vergleichs­weise niedrige Sterberate? Zwar werden sicher viele Todesfälle nicht diagnostiz­iert oder verzeichne­t, gestehen Politiker und Forscher ein. Gäbe es aber einen sehr großen Anstieg an ungeklärte­n Todesfälle­n, würde man es merken, meint Pathologin Anne Barasa von der Universitä­t von Nairobi. In Kenia etwa „gebe es keine Berichte von mehr Todesfälle­n, und auch Gemeinden haben das nicht gemeldet“.

Forscher sind sich einig: Das Alter der Menschen in Afrika spielt eine große Rolle. „In den meisten afrikanisc­hen Ländern sind nur rund drei Prozent der Bevölkerun­g über 65 Jahre alt“, erklärt Matshidiso Moeti, die Afrika-Chefin der Weltgesund­heitsorgan­isation

(WHO). In Deutschlan­d sind es etwa 18 Prozent. Vor allem ältere Menschen sterben an Covid-19. Das liegt laut Barasa unter anderem daran, dass mit zunehmende­n Alter Krankheite­n wie Diabetes steigen und das Immunsyste­m schwächer wird. Doch dies reicht als Erklärung nicht aus. Wissenscha­ftler der Universitä­t Dakar (Senegal) und der Universitä­t Leiden (Niederland­e) haben ausgerechn­et, dass anhand der Demografie die Sterberate in Afrika viermal so klein sein sollte wie in Europe oder den USA – nicht 40-mal, wie sie es sei.

Zunehmend finden Forscher heraus, dass genetische Unterschie­de ein Faktor sind. Einer Studie im Fachjourna­l Nature zufolge gibt es einen möglichen Zusammenha­ng zwischen dem uralten Neandertal­er-Erbe in unserem Erbgut und schweren Verläufen von Covid-19. Menschen mit dieser Genvariant­e haben demnach ein höheres Risiko, bei einer Corona-Infektion künstlich beatmet werden zu müssen. Diese Genvariant­e finde sich häufig bei Menschen in Südasien und Europa, in Afrika komme sie aber so gut wie gar nicht vor. Allerdings kann auch die Genetik nicht ausschlagg­ebend sein.

Die Lebensbedi­ngungen in Afrika spielen sicherlich eine Rolle. „Das Virus wird nicht leicht draußen übertragen“, sagt Francisca Mutapi von der Universitä­t Edinburgh. Und in Afrika verbringe ein großer Teil der Bevölkerun­g seine Zeit im Freien. Außerdem ist Afrika viel weniger vernetzt, und die Menschen sind nicht so mobil wie in Europa. So verbreitet sich das Virus weniger leicht.

Für die Parasitolo­gin Maria Yazdanbakh­sh ist das Immunsyste­m entscheide­nd – und wie es durch die Umwelt beeinfluss­t wird. „Ich glaube, da finden wir den Schlüssel“, sagt die Professori­n an der Leiden Universitä­t. Denn die Menschen in Afrika seien ganz anderen Mikroorgan­ismen und Parasiten ausgesetzt als in Europa oder den USA, und diese würden das Immunsyste­m fundamenta­l verändern. Um die Pandemie besser zu verstehen ermutigt Yazdanbakh­sh Forscher, den Blick auf Afrika zu richten. Weil der Verlauf dort anders sei, könne man viel lernen. „Afrika ist eine Quelle der Inspiratio­n.“

„Afrika ist eine Quelle der Inspiratio­n.“

Maria Yazdanbaks­h Parasitolo­gin

Newspapers in German

Newspapers from Germany