Saarbruecker Zeitung

Ärger um Notlagenta­rif bei Privatkass­en

Die Bundesregi­erung stellt Verbesseru­ngen für Versichert­e mit Zahlungspr­oblemen in Aussicht. Die Linke beklagt indes ein „neues Gesundheit­sprekariat“.

- VON STEFAN VETTER

Der sogenannte Notlagenta­rif der privaten Krankenver­sicherung (PKV ) soll für Mitglieder mit finanziell­en Problemen wenigstens ein Minimum an gesundheit­licher Versorgung gewährleis­ten. Doch in der Praxis gelingt offenbar häufig nicht einmal das. Die Bundesregi­erung stellt nun Nachbesser­ungen in Aussicht.

Ein Beispiel für die Problemati­k: Thomas Heinrich (Name von der Redaktion geändert) musste in seinem Leben schon einige Schicksals­schläge verkraften. Mehrere Herzinfark­te sowie Operatione­n am Knie und ein schwerer Bandscheib­envorfall haben dem selbststän­digen Versicheru­ngskaufman­n gesundheit­lich hart zugesetzt. An auskömmlic­he Einkünfte war nicht mehr zu denken. Als auch noch seine Rücklagen zur Neige gingen, folgte der finanziell­e und soziale Absturz. Zu spüren bekommt Heinrich das auch bei seiner privaten Krankenver­sicherung. Weil der Selbststän­dige mit seinen Beitragsza­hlungen in Rückstand geriet, wurde er in den Notlagenta­rif umgestuft. Damit ist der Leistungsu­mfang deutlich reduziert. Im Prinzip werden nur noch die Kosten für akute Erkrankung­en und Schmerzbeh­andlungen beglichen. Bei Heinrich fließt aber trotzdem kein Geld, weil der Versichere­r die Leistungen mit den Beitragsrü­ckständen verrechnet. Dem Versichert­en bleibt so eigentlich nur die „Wahl“, die Kosten doch aus eigener Tasche zu stemmen, oder gleich auf eine Behandlung zu verzichten. In der gesetzlich­en Krankenver­sicherung (GKV) gibt es zwar auch einen Notlagenta­rif, aber eine solche Aufrechnun­g ist dort ausgeschlo­ssen.

Dabei ist Heinrich kein Einzelfall. Zum 30. Juni waren in der privaten Krankenver­sicherung rund 96 000 Menschen im Notlagenta­rif versichert, wie die Bundesregi­erung jetzt auf eine Anfrage der Linksfrakt­ion mitteilte. Das sind zwar rund 6000 weniger als noch vor zwei Jahren. Allein zwischen 2018 und Ende 2019 ist jedoch die durchschni­ttliche Verweildau­er im Notlagenta­rif von 17,4 auf 20 Monate gestiegen. Für viele Privatvers­icherte wird es also offenbar immer schwierige­r, ihre Zahlungspr­obleme

möglichst rasch zu überwinden, um anschließe­nd wieder in einen normalen Tarif zurückkehr­en zu können.

Der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der Linken, Achim Kessler, sieht darin eine bedenklich­e Entwicklun­g.

Versichert­e blieben immer länger im Notlagenta­rif und bildeten „ein neues Gesundheit­sprekariat“, sagte Kessler unserer Redaktion. „Eine besonders dreiste Nummer ist es von der PKV, den Versichert­en die Arztrechnu­ng nicht mehr zu bezahlen, wenn sie wegen Schulden im Notlagenta­rif gelandet sind, auch bei akuten Schmerzen.“Das führe de facto zu einer „völligen Leistungsv­erweigerun­g““, kritisiert­e der Linken-Politiker.

Dagegen verweist die Bundesregi­erung in ihrer Stellungna­hme ausdrückli­ch auf ein Urteil des Bundesgeri­chtshofes aus dem Jahr 2018, in dem die Verrechnun­g alter Beitragssc­hulden mit den Kostenerst­attungsans­prüchen

des Versichert­en durch die privaten Krankenkas­sen im Notlagenta­rif für rechtens erklärt wurde. Gleichwohl könnte es zu Korrekture­n kommen. Denn in der Stellungna­hme heißt es weiter: „Im Rahmen aktueller Gesetzesvo­rhaben prüft die Bundesregi­erung derzeit einen möglichen gesetzlich­en Anpassungs­bedarf mit Blick auf die Aufrechnun­gspraxis im Notlagenta­rif“.

Thomas Heinrich hält das für überfällig: „Das Urteil des Bundesgeri­chtshofes führt den Sinn des Notlagenta­rifs völlig ad absurdum. Ich habe nun keinerlei Versicheru­ngsschutz mehr, sondern tilge gegebenenf­alls nur Schulden“.

Bundesweit sind etwa 96 000 PKV-Mitglieder im Notlagenta­rif

versichert.

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