Ärger um Notlagentarif bei Privatkassen
Die Bundesregierung stellt Verbesserungen für Versicherte mit Zahlungsproblemen in Aussicht. Die Linke beklagt indes ein „neues Gesundheitsprekariat“.
Der sogenannte Notlagentarif der privaten Krankenversicherung (PKV ) soll für Mitglieder mit finanziellen Problemen wenigstens ein Minimum an gesundheitlicher Versorgung gewährleisten. Doch in der Praxis gelingt offenbar häufig nicht einmal das. Die Bundesregierung stellt nun Nachbesserungen in Aussicht.
Ein Beispiel für die Problematik: Thomas Heinrich (Name von der Redaktion geändert) musste in seinem Leben schon einige Schicksalsschläge verkraften. Mehrere Herzinfarkte sowie Operationen am Knie und ein schwerer Bandscheibenvorfall haben dem selbstständigen Versicherungskaufmann gesundheitlich hart zugesetzt. An auskömmliche Einkünfte war nicht mehr zu denken. Als auch noch seine Rücklagen zur Neige gingen, folgte der finanzielle und soziale Absturz. Zu spüren bekommt Heinrich das auch bei seiner privaten Krankenversicherung. Weil der Selbstständige mit seinen Beitragszahlungen in Rückstand geriet, wurde er in den Notlagentarif umgestuft. Damit ist der Leistungsumfang deutlich reduziert. Im Prinzip werden nur noch die Kosten für akute Erkrankungen und Schmerzbehandlungen beglichen. Bei Heinrich fließt aber trotzdem kein Geld, weil der Versicherer die Leistungen mit den Beitragsrückständen verrechnet. Dem Versicherten bleibt so eigentlich nur die „Wahl“, die Kosten doch aus eigener Tasche zu stemmen, oder gleich auf eine Behandlung zu verzichten. In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gibt es zwar auch einen Notlagentarif, aber eine solche Aufrechnung ist dort ausgeschlossen.
Dabei ist Heinrich kein Einzelfall. Zum 30. Juni waren in der privaten Krankenversicherung rund 96 000 Menschen im Notlagentarif versichert, wie die Bundesregierung jetzt auf eine Anfrage der Linksfraktion mitteilte. Das sind zwar rund 6000 weniger als noch vor zwei Jahren. Allein zwischen 2018 und Ende 2019 ist jedoch die durchschnittliche Verweildauer im Notlagentarif von 17,4 auf 20 Monate gestiegen. Für viele Privatversicherte wird es also offenbar immer schwieriger, ihre Zahlungsprobleme
möglichst rasch zu überwinden, um anschließend wieder in einen normalen Tarif zurückkehren zu können.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Achim Kessler, sieht darin eine bedenkliche Entwicklung.
Versicherte blieben immer länger im Notlagentarif und bildeten „ein neues Gesundheitsprekariat“, sagte Kessler unserer Redaktion. „Eine besonders dreiste Nummer ist es von der PKV, den Versicherten die Arztrechnung nicht mehr zu bezahlen, wenn sie wegen Schulden im Notlagentarif gelandet sind, auch bei akuten Schmerzen.“Das führe de facto zu einer „völligen Leistungsverweigerung““, kritisierte der Linken-Politiker.
Dagegen verweist die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme ausdrücklich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2018, in dem die Verrechnung alter Beitragsschulden mit den Kostenerstattungsansprüchen
des Versicherten durch die privaten Krankenkassen im Notlagentarif für rechtens erklärt wurde. Gleichwohl könnte es zu Korrekturen kommen. Denn in der Stellungnahme heißt es weiter: „Im Rahmen aktueller Gesetzesvorhaben prüft die Bundesregierung derzeit einen möglichen gesetzlichen Anpassungsbedarf mit Blick auf die Aufrechnungspraxis im Notlagentarif“.
Thomas Heinrich hält das für überfällig: „Das Urteil des Bundesgerichtshofes führt den Sinn des Notlagentarifs völlig ad absurdum. Ich habe nun keinerlei Versicherungsschutz mehr, sondern tilge gegebenenfalls nur Schulden“.
Bundesweit sind etwa 96 000 PKV-Mitglieder im Notlagentarif
versichert.